Finanzen

EZB-Chefvolkswirt: Zinsen können weiter sinken

Der Chefvolkswirt der EZB sieht die Möglichkeit gegeben, dass der bei Null liegende Leitzins in den negativen Bereich abgesenkt werden könnte. Sollte es zu wirtschaftlichen Störfeuern oder Beeinträchtigungen der Finanzierungsbedingungen kommen, seien weitere Zinssenkungen eine Option. Dem Ziel einer Stärkung der Kreditvergabe und einer Steigerung der Inflation ist die EZB bisher allerdings nicht nähergekommen.
18.03.2016 11:02
Lesezeit: 2 min

Trotz der auf null gesenkten Zinsen hat die EZB nach Ansicht ihres Chefvolkswirts Peter Praet noch Spielraum für eine geldpolitische Lockerung, wie Reuters meldet. „Wie man bei anderen Notenbanken sieht, haben wir rein technisch noch nicht das untere Ende erreicht“, sagte der Belgier am Freitag der italienischen Zeitung La Repubblica. In einigen Staaten sind die Leitzinsen unter null - etwa in der Schweiz oder auch in Dänemark. Sollte sich Störfeuer von außen ergeben oder die Finanzierungsbedingungen in der Euro-Zone sich nicht wie erhofft verbessern, bleibe eine Zinssenkung eine Option.

Die wieder aufgeflammten Spekulationen auf weitere Zinssenkungen der EZB haben den Aufwärtstrend des Euro am Freitag gestoppt. Die Gemeinschaftswährung fiel bis auf 1,1257 Dollar zurück, nachdem sie am Donnerstag zeitweise auf ein Fünf-Wochen-Hoch von 1,1342 Dollar geklettert war. „Die Aussagen von Praet rücken die Möglichkeit einer weiteren geldpolitischen Lockerung im Euro-Raum sicherlich wieder stärker in den Fokus“, sagte ein Händler. „Einige Anleger nutzen dies und machen nach der jüngsten Euro-Rally Kasse.“

Nach dem umfangreichen Maßnahmenpaket der EZB in der vergangenen Woche hatten sich viele Investoren darauf eingestellt, dass sie nun erst einmal auf neue Geldgeschenke verzichten müssen. Jetzt sehe es so aus, als ob die Notenbanker die Geldschleusen weiter offen hielten, schrieb Antoine Bouvet, Stratege bei der Mizuho Bank, in einem Kommentar. Am Rentenmarkt ließen die Reaktionen auf die Äußerungen Praets ebenfalls nicht lange auf sich warten. Die Rendite der zehnjährigen portugiesischen Staatsanleihen fiel auf ein Sieben-Wochen-Tief von 2,675 Prozent. Deutsche Papiere warfen zeitweise nur noch 0,198 Prozent nach 0,233 Prozent im Schlussgeschäft vom Donnerstag.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte den Leitzins vorige Woche erstmals auf null Prozent gesetzt. Zudem weitete sie das Volumen ihrer Anleihekäufe auf 80 von bislang 60 Milliarden Euro monatlich aus und damit stärker als erwartet. EZB-Chef Mario Draghi kündigte zudem an, künftig im Rahmen des großangelegten Bondprogramms auch Firmenanleihen zu erwerben. Der Strafzins für Geschäftsbanken wurde zudem nochmals verschärft. Der sogenannte Einlagensatz wurde auf minus 0,4 Prozent von bislang minus 0,3 Prozent herabgesetzt.

Damit wird es für die Institute noch teurer, wenn sie überschüssige Gelder über Nacht bei der Notenbank parken. Statt Geld zu horten, sollen sie verstärkt Kredite vergeben und damit der Konjunktur Auftrieb verleihen. Diesem Ziel ist die EZB jedoch auch nach Jahren der kontinuierlich gesteigerten expansiven Geldpolitik nicht wirklich näher gerückt. Stattdessen zeigt sich, dass die Negativzinsen teils schwerwiegende Nebenwirkungen haben, die beispielsweise die Renditemöglichkeiten der Geschäftsbanken belasten. Diese denken deswegen bereits über eine Weitergabe der Kosten an die Kunden nach. Die Negativzinsen haben zudem zur Folge, dass große institutionelle Anleger verstärkt Bargeld oder Gold horten.

*** Bestellen Sie den täglichen Newsletter der Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Die wichtigsten aktuellen News und die exklusiven Stories bereits am frühen Morgen. Verschaffen Sie sich einen Informations-Vorsprung. Anmeldung zum Gratis-Newsletter hier. ***

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionsstau: Kaputte Straßen, marode Schulen – Kommunen am Limit
01.07.2025

Viele Städte und Gemeinden stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Allein die Instandhaltung von Straßen, Schulen und...