Finanzen

Neue EU-Regeln: Versicherungen sollen Staats-Finanzierer werden

Lesezeit: 4 min
23.01.2016 01:43
Das mit Jahresbeginn in Kraft getretene Regelwerk für Versicherungen, Solvency II, schränkt die Möglichkeiten zur Geldanlage besonders in Aktien und Immobilien massiv ein. Die Vorgaben für Investitionen, welche der Staat tätigt, sind dagegen weitaus großzügiger verfasst. Es wird schwerer für Versicherungen, Renditen zu erzielen - was am Ende das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellt.
Neue EU-Regeln: Versicherungen sollen Staats-Finanzierer werden

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Solvency II lenkt die Mittel zu den Staaten und schreibt den Versicherungen bei der Veranlagung in Aktien und Immobilien eine besonders hohe Kapitalunterlegung vor.

Die Bremsen der Veranlagung sind mit Größenordnungen zu beziffern: Die Kapitalunterlegung muss bei der Veranlagung in Aktien bis zu 49 Prozent des Investments betragen – bei Immobilien liegt der Satz bei 25 Prozent. Eben diese Sätze sollen Schocks in gleicher Prozenthöhe abfangen, wenn die entsprechenden Aktien einen Kursverlust erleiden. Diese Vorgaben bedeuten eine enorme Verteuerung der Anlagen und so wurde im Hinblick auf das neue Regelwerk der Aktienbestand der Versicherungen europaweit schon in den vergangenen Jahren reduziert, in vielen Unternehmen von an die 20 Prozent auf weit unter 10 Prozent des veranlagten Vermögens.

Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass Versicherungen interne Modelle mit anderen Sätzen entwickeln, doch werden diese nur unter bestimmten Umständen von der Aufsicht genehmigt. Aktuell wird besonders in Mitteleuropa die 25-Prozent-Regel bei Immobilien diskutiert, da man derartige Schwankungen für unrealistisch hält. Versicherungen veranlagen in erster Linie in risikoarme Nominalwerte, Anleihen und Großkredite mit einer laufenden, sicheren Verzinsung, da sie die kontinuierlich fließenden Einnahmen brauchen. Allerdings muss jedes Vermögen diversifiziert werden und somit ist die Einschränkung bei Aktien und Immobilien problematisch.

Bei Anleihen und Krediten ist das Risiko auch zu bewerten und mit Kapital abzusichern. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Forderungen gegen Staaten und insbesondere Forderungen in Euro gegen EU- und OECD-Staaten gelten als risikolos und müssen daher auch nicht mit Kapital unterlegt werden. Das Regelwerk betont zudem die Veranlagung in langfristige Papiere, sodass sich insgesamt eine extreme Begünstigung der Finanzierung von Staaten ergibt, die folglich auch dominiert.

Die Politik weigert sich bislang, die Bremsen zu lockern. Auch hier mit einer Ausnahme: Bei der Finanzierung von Infrastruktur-Investitionen sollen die Kapitalerfordernisse geringer sein. Der Hintergrund: Die Regierungen wollen durch Infrastruktur-Investitionen das Wirtschaftswachstum ankurbeln, können aber die Projekte nicht aus den defizit- und schuldengeplanten Budgets finanzieren. Somit werden so genannte PPP-Lösungen (public-private-partnerships) gesucht, die „Maastricht-konform“ sind, also nicht das Defizit des Jahres oder den gesamten Schuldenstand des jeweiligen Staates ansteigen lassen. Während einige Zeit von einer deutlichen Senkung der Sätze auf 16 Prozent für die Kapital-Unterlegung von Infrastruktur-Investitionen die Rede war, sind jetzt doch beträchtliche 30 Prozent vorgesehen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Versicherungen in großem Maß Infrastruktur-Investitionen ermöglichen werden, ist gering. Das politische Risiko ist zu groß: Wenn beispielsweise eine Autobahn finanziert wird, dann spielt die Höhe der Maut eine entscheidende Rolle bei der Kalkulation des Projekts. Die Laufzeit der Kredite oder Anleihen erstreckt sich über Jahrzehnte und es gibt keine Garantie, dass nicht eine künftige Regierung die Mautsätze reduziert und Verluste auslöst. Auch Haftungen etwa von EU-Einrichtungen zur Absicherung gegen diese Bedrohung stehen nicht zur Debatte.

Die Vermögensverwalter der Unternehmen sind naturgemäß an einer Streuung der Kapitalien interessiert. Somit spielen die Anleihen von Unternehmen eine stark wachsende Rolle. Allerdings muss die Kapitalunterlegung auf das jeweilige Rating der Firma abgestellt werden, doch liegen die Sätze unter den Erfordernissen bei Aktien.

Durch die schwierige Lage des Kreditapparats ist auch beim traditionell für Versicherungen bedeutsamen Kauf von Bankenanleihen eine genaue Evaluierung des Risikos erforderlich, die zu einem spektakulären Rückgang dieser Kategorie in den Portefeuilles der Assekuranz geführt hat.

Der gesamte Finanzierungsbereich stöhnt unter den niedrigen Zinsen und verschärft die geschilderten, aus Solvency II resultierenden Probleme. Dass die großen Kapitalsammelstellen, die die Versicherungen darstellen, durch Solvency II bei der Veranlagung der Vermögen gebremst werden, ist gerade jetzt besonders problematisch.

Mehrere aktuelle Aspekte sind in diesem Zusammenhang zu beachten:

- Durch den extrem niedrigen Ölpreis sind die Ölländer von Russland bis Saudi-Arabien in finanziellen Schwierigkeiten. Die Folge ist der Verkauf von Aktien durch die großen, aus den früheren Gewinnen gespeisten Fonds. Dieses Phänomen ist mit ein Grund für die aktuelle Baisse an den Börsen. Großanleger, die für einen Ausgleich sorgen könnten, fehlen.

- Der weltweite Anstieg der Immobilienpreise macht für viele den Kauf von Wohnungen oder Eigenheimen unmöglich. Somit rückt die Miete in den Vordergrund.

- Die schwache Konjunktur bremst generell die Investitionstätigkeit. Kreditfinanzierungen sind durch Basel III erschwert. Anleger und vor allem Großanleger, die über Aktien und andere Beteiligungsinstrumente Kapital bereitstellen, wären gefragt.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Versicherungen könnten auch ohne Solvency II nicht plötzlich größere Aktienpakete kaufen. Dagegen spricht ein auf Nachhaltigkeit abgestelltes Risiko-Management. Auch spielen, wie erwähnt, festverzinsliche Nominalwerte immer eine dominante Rolle in der Veranlagungspolitik von Versicherungen. Ohne Solvency II wären Versicherungen aber in größerem Umfang Langfristinvestoren, die nicht auf jede Kursschwankung reagieren.

Solvency II schreibt die Erstellung einer „Solvenz-Bilanz“ vor, die andere Werte und andere Ergebnisse ausweist als die auf HGB/UGB, IFRS und dem Steuerrecht beruhenden Rechenwerke. Der Unterschied ergibt sich aus dem Umstand, dass die „Solvenz-Bilanz“ ausschließlich „ökonomische“ Werte, also Verkehrswerte berücksichtigt und nur dem fair-value-Prinzip folgt.

Die Höhe der Veranlagungen wird folglich durch die Veränderungen auf den Märkten kontinuierlich korrigiert. Zur Illustration: Aktienkurse steigen und fallen ständig. Immobilienpreise unterliegen Konjunkturschwankungen. Die Kurse der Anleihen passen sich Zinsänderungen an, steigen die Zinsen, fallen die Kurse der Papiere mit niedrigen Sätzen, sinken die aktuellen Zinsen, dann verzeichnen die Obligationen mit höheren Sätzen Kursgewinne.

Der jeweilige Wert des Vermögens auf der Aktiv-Seite bestimmt aber das unter Solvency II entscheidende Eigenkapital: Der Überhang der Aktiven über die Verpflichtungen ergibt die Eigenmittel, die folglich auch einer ständigen Veränderung unterworfen sind. Ein dramatischer Preisverfall auf den Märkten kann bedeuten, dass die Eigenmittel nicht mehr zur Absicherung der Risiken ausreichen.

Allerdings verändern sich in der Solvenz-Bilanz nicht nur die Aktiva viel stärker und rascher als in den anderen Rechenwerken, dies gilt auch für die Passiva. Das Solvenz-Kapital unterliegt besonderen Regeln, zu denen unter anderem die erwähnten Unterlegungspflichten bei Aktien und Immobilien gehören, die versicherungstechnischen Rückstellungen sind, nach dem „besten Schätzwert“ anzusetzen und nicht nach dem Vorsichtsprinzip von HGB und UGB.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF. 

Dies ist der zweite Teil der vierteiligen „Solvency II“-Serie

Lesen Sie hier

Teil 1: Neue EU-Regeln: Versicherer werden weniger Risiken absichern

Teil 3: Neue EU-Regeln: Marktwerte für Verträge, die keinen Marktwert haben

Teil 4: Neue EU-Regeln: Versicherer können Risiko-Puffer nur schwer berechnen

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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