„Der französische Staat ist mit sechs Prozent Aktionär bei Euronext - da ist ein gewisser Konflikt sichtbar“, sagte Vorstandschef Carsten Kengeter am Montagabend im Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten (ICFW). Das berichtet Reuters.
Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und Finanzminister Michel Sapin hatten vor der Entstehung eines übermächtigen Börsenkonzerns in Europa gewarnt. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass sich die EU-Kommission das ansieht und die Entstehung einer dominanten Marktposition verhindert“, erklärte Sapin. Analysten sind der Ansicht, dass die Euronext durch die Fusion von Deutscher Börse und LSE noch weiter an den Rand gedrängt würde.
Die europäische Mehrländerbörse Euronext schloss sich 2007 mit der New York Stock Exchange (Nyse) zusammen. 2013 schluckte der US-Konkurrent ICE den fusionierten Konzern und spaltete die Euronext anschließend wieder ab. Die ICE gehe bei Zusammenschlüssen anders vor als Deutsche Börse und LSE. Die ICE habe die Nyse Euronext „zerstückelt, die ihres Erachtens werthaltigen Teile einbehalten und die wertlosen ausgespuckt“, sagte Kengeter. Heute sei die Euronext deshalb nur noch 2,5 Milliarden Euro wert und stehe ohne eigenes Abwicklungshaus da. Die Entwicklung von Paris als Börsen-Standort sei alles andere als positiv.
Kengeter will durch die Fusion von Deutscher Börse und LSE eine „Liquiditätsbrücke" zwischen Main und Themse bauen. „Es gibt keinen europäischen Finanzplatz, der London als Umschlagplatz für Kapital das Wasser reichen kann.“ Durch die Anbindung an die britische Finanzmetropole bekomme die Deutsche Börse mehr „Saft auf unsere hochentwickelten Systeme“, besonders bei der Abwicklung von Derivategeschäften und der Verwahrung von Wertpapieren. Auch Frankreich hätte gerne eine solche Verbindung mit London, erklärte Kengeter. „Paris würde triumphieren, wenn unser Projekt scheitert.“
Durch die Anbindung an London hätten es aus Kengeters Sicht auch deutsche Startups leichter, an Geld zu kommen. In der britischen Hauptstadt gebe es mit der AIM seit 25 Jahren ein Börsensegment für alternative Investments aus 40 Sektoren. „Das ist der große Unterschied zum ehemaligen Neuen Markt, der vielleicht über 1,5 Sektoren ging“, sagte Kengeter. „Wenn wir uns einige der Sachen borgen, könnten wir einen europäischen Technologiemarkt kreieren.“ Im Rhein-Main-Gebiet und in London könne ein Gegenstück zur US-Ideenschmiede Silicon Valley aufgebaut werden.
Der Neue Markt wurde 1997 im Technologie-Boom geschaffen, um jungen Unternehmen Zugang zu frischem Kapital zu geben. Bis 2000 schossen die Kurse von Internet- und IT-Firmen in astronomische Höhen, stürzten nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ dann aber ins Bodenlose. Viele Firmen gingen pleite, Betrugsfälle landeten vor Gericht. 2003 stellte die Deutsche Börse den Neuen Markt ein. Forderungen der Politik, ein neues Börsensegment für Startups in Deutschland einzuführen, hat der Konzern zurückgewiesen. Im vergangenen Jahr führte er stattdessen eine Online-Plattform ein, die junge Firmen mit Kapitalbedarf und risikofreudige Investoren zusammenbringt.