Politik

Im Süden Italiens herrscht tiefe Wirtschafts-Depression

In Sizilien sind noch immer die Folgen der Finanzkrise zu beobachten. Daher wählten auch die Sizilianer neue Parteien.
19.03.2018 23:32
Lesezeit: 2 min

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Im Süden Italiens herrscht eine tiefe Wirtschaftsdepression. Für die Fünf-Sterne-Bewegung kein Grund aufzugeben. Sie will der kriselnden Region mit Förderprogrammen auf die Beine helfen.

Rund 72 Prozent der Wählerstimmen hat die Fünf Sterne-Bewegung in Sizilien bei den Parlamentswahlen vor zwei Wochen erlangt. Grund hierfür ist die anhaltend schlechte wirtschaftliche Lage der Region, analysiert der Journalist Ambrose Evans-Pritchard vom Daily Telegraph. Nach Jahren wirtschaftlicher Depression haben viele Sizilianer das Vertrauen in die traditionellen Parteien verloren.

Politikwissenschaftler bezeichnen das hohe Wahlergebnis als Antwort der Bevölkerung auf die Machtlosigkeit der traditionellen Parteien in der Region. Sizilien ist bis heute landwirtschaftlich geprägt. Knapp 40 Prozent der Arbeitnehmer sind auf den Gemüse- und Obstplantagen oder den Weizenfeldern der Insel tätig. Die Arbeitslosenquote liegt seit Jahrzehnten konstant bei über 20 Prozent. Um die vermehrte Abwanderung in der Bevölkerung zu stoppen und der hohen Arbeitslosigkeit entgegen zu wirken, zahlte der italienische Staat seit den 1950er Jahren Subventionen für die Ansiedelung von Industrieunternehmen. Gezahlt wurden diese Hilfe über die Entwicklungshilfebank „Cassa per il Mezzogiorno". Insbesondere Unternehmen der Chemie und Petrochemie nahmen das Angebot an. Langfristig konnten sie jedoch nicht die gewünschten Arbeitsplätze schaffen. Waren in den 1950er Jahren rund 40.000 Menschen für die Petrochemie tätig, sind es heute noch knapp 9.000. Nach der Lehmann-Pleite im Jahr 2008 sank das Bruttoinlandsprodukt zusätzlich um 15 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte 2014 mit rund 62 Prozent ihren Höchststand. Im vergangenen Jahr war jeder dritte Jugendliche arbeitslos.

Nach Einschätzung des süditalienischen Industrieverbandes ist Sizilien durch diese Entwicklung in die Armutsfalle geraten. So sei das Handwerk seit 2008 um 30 Prozent zurückgegangen und die Bevölkerung pro Jahr um 60.000 Einwohner gesunken. Damit drohe der Region ein Strudel aus sinkenden Steuereinnahmen, zunehmendem Fachkräftemangel und steigenden Sozialbeiträgen.

Im Jahr 2015 wanderten rund 50.000 Italiener unter 40 Jahren aus, um im Ausland zu arbeiten. Knapp die Hälfte von ihnen ging mit Universitätsabschluss. Diese wirtschaftlichen Entwicklungen zu stoppen, umzukehren und damit eine neue Bürgerlichkeit in Italien zu etablieren, hat die Fünf Sterne-Bewegung ihren Wählern im Wahlkampf versprochen. Partei-Gründer Beppe Grillo erklärte das Ansinnen seiner Partei zur Kamikaze-Aktion. „Wenn wir den Weg für die bürgerlichen Parteien frei gemacht haben, haben wir kein Existenzrecht mehr.“

Erreichen will Grillos Partei ihr Ziel durch eine umfassende Gesetzesreform und die Einführung eines monatlichen Grundeinkommens von 780 Euro. Hierdurch sollen besonders junge Akademiker im Land gehalten werden. Für eine Laufzeit von drei Jahren soll künftig jedem Italiener ein Grundeinkommen zustehen. Für den Fall, dass das persönliche Einkommen unter dem Betrag liegt, soll der Staat die Differenz tragen.

Für den belgischen Anthropologen Johann Leman hat die hohe Wahlbeteiligung jedoch einen anderen Grund. So sei die junge Generation nicht mehr bereit, das Establishment länger zu tolerieren. Ähnliches von Diego Bivona, Regionalchef der Wirtschaftsvereinigung Confindustria: „Die Wähler wollten nur eine andere Politik, deshalb haben sie die Fünf-Sterne-Bewegung gewählt. Aber sie erwarten eigentlich nichts von der Partei.“

Als „pure Demagogen“ bezeichnet dagegen Bürgermeister von Siracus, Giancarlo Garozzo, die Partei. So sei die Zustimmung in der Bevölkerung für die Fünf Sterne nur auf das versprochene Grundeinkommen zurückzuführen.

Dieses Versprechen hat der Partei inzwischen starke Kritik entgegengebracht. Nachdem es bei dem Sozialamt in Palermo mehrfach ergebnislos zur Anforderung des Grundeinkommens gekommen war, hatte der Parteivorsitzende Luigi Di Maio gesagt, die Partei unterstütze keine Sofasitzer. Vielmehr sei das Grundeinkommen als flexible Sicherheit gedacht.

Zudem ist die Finanzierung des Grundeinkommens unter Ökonomen umstritten. Laut den Fünf Sternen sollen künftig 50 Milliarden Euro dadurch eingespart werden, dass der Staat Bürokratien abbaut und hierdurch weniger verschwendet als bislang. Dazu kämen staatliche Einnahmen durch mehr und produktivere Beschäftigung und den Kampf gegen die großen Steuerhinterzieher. Nach Berechnungen der Partei würde die Staatsverschuldung binnen zehn Jahren um 40 BIP-Punkte sinken. Die Kosten des Programms schätzen sie auf 15 Milliarden Euro pro Jahr.

Für Stefania Prestigiacomo von Forza Sizilien ist die Aussage ein Angriff auf alle Wähler. So sei die Partei nicht aufgrund des in Aussicht gestellten Grundeinkommens gewählt worden, sondern weil die Not in Folge der Lehmann-Krise in Sizilien höher sei als in anderen Regionen Italiens.

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