Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo liegen die Kern-Probleme der US-Wirtschaft?
Achim Dübel: Das zentrale Problem hat einen Namen, Dutch Disease – die holländische Krankheit. Das Privileg eines jahrzehntelangen Zuflusses billigen Kapitals aus der ganzen Welt hat die Entwicklung der eigenen Exportbasis gehemmt und die des Immobilien- und Dienstleistungssektors, vor allem des Finanzsektors, einseitig gefördert.
Eine stark auf Dienstleistungen ausgerichtete Wirtschaft ist nur aufrecht zu erhalten, wenn entweder die verkleinerte Exportindustrie entsprechend produktiv ist oder wenn man dauerhaften Zugang zu Krediten des Auslands hat. Beides war in den USA der Fall – die verbliebene Industrie und auch die Landwirtschaft – sind heute extrem kapitalintensiv und gleichzeitig verschulden sich die USA seit inzwischen fast vier Jahrzehnten massiv im Ausland. Das Leistungsbilanzdefizit 2015 betrug fast 500 Milliarden Dollar.
Übermäßige Importe und stark steigende Kapitalintensität setzen heimische Arbeitskräfte in gut bezahlten und sicheren Jobs in der Industrie frei, die sich dann neue, schlecht bezahlte und unsicheren Jobs im Dienstleistungssektor suchen müssen. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der amerikanischen Arbeitsverträge sind heute unbefristet.
Zwar haben sich die Gewinnrelationen auch entsprechend zugunsten Dienstleistungsindustrie verschoben, bei den Arbeitnehmern kommt davon nur wenig an, weil sie faktisch nicht sparen (können) und damit nicht an der Kapitalbildung beteiligt sind. In der Finanzindustrie erreicht ein Großteil der hohen Gewinne nicht einmal die Aktionäre. Diese Konstellation ist wiederum ursächlich für die extreme Haushaltsverschuldungs- und Armutsproblematik, die ihrerseits neben den überbordenden Militärausgaben der Hauptgrund für die extrem hohen Staatsschulden sind.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle spielt der Petro-Dollar?
Achim Dübel: Der Petrodollar ist aus historischer Sicht die Ursache der heutigen holländischen Krankheit der USA. Er ersetzte in den 70er Jahren das Währungssystem von Bretton Woods, in dem die Währungen Europas, Australiens und Japans zuvor fest an den Dollar und dieser an Gold gekoppelt waren und die damit als Reservewährungen untereinander zumindest in bestimmten Grenzen austauschbar waren. Das System zerbrach, als die US-Schulden infolge des Vietnamkriegs explodierten und die USA im Alleingang durch die Entkoppelung vom Gold faktische Schuldenschnitte durchsetzten. Großgläubiger damals war Deutschland, das zuvor auf Rückzahlung von Forderungen in Gold durch die USA verzichtet hatte.
Angesichts dieser Tumulte verlieh die Vereinbarung mit den Golfstaaten, den Ölhandel in Dollar zu fakturieren, der neuen Papierwährung relative Stabilität. Die Kehrseite war, dass mit der einseitigen Festlegung auf den Dollar als Handelswährung eine noch extremere Nachfrage nach US-Schuldtiteln als unter Bretton Woods erzeugt wurde, die die Grundlage der heutigen Finanzlastigkeit der US-Wirtschaft legte. Nur im Zusammenhang mit der Dollarschwemme der 70er ist z.B. die Liberalisierung der globalen Kapitalmärkte der 80er Jahre zu verstehen, die Keynes noch in Bretton Woods weitgehend verhindert hatte.
Die Exporteure in die USA wie Saudi-Arabien, Deutschland und Japan brauchten in den 80er Jahren immer neue Finanzanlagen im Dollar, die im Aufstieg befindlichen Investmentbanken produzierten sie. Wichtig war auch die damit immer tiefere Liquidität des US-Kapitalmarktes, die die Illusion eines sicheren Hafens erzeugte und so zu Dollarhaltung nicht nur aus Transaktions- sondern auch aus Vorsichtsmotiven führte. Die Asienkrise Ende der 90er Jahre brachte so einen massiven Schub an Dollar-Anlagen, vor allem aus China, der letztlich die massive Steigerung der Militärausgaben durch die Bush-Regierung finanzierte. Auch ein Peer Steinbrück fühlte sich Mitte der 2000er auf der sicheren Seite, als er mehr als 20 Milliarden Euro an NRW-Steuergeldern in Hypothekenpapiere an der Wall Street anlegte.
Die Metamorphose des Petrodollars zur bevorzugten globalen Handels- und Anlagewährung mit Hilfe der Wall Street wurde von der Fed-Politik billigen Geldes der drei auf Paul Volcker folgenden Zentralbankpräsidenten noch befeuert. All das hat die Überbewertungstendenzen des Dollars und die beschriebenen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen in den USA verschärft.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollte die Welt den Petro-Dollar abschaffen?
Achim Dübel: Nun, ‚die Welt‘ der 2010er Jahre ist offenbar nach wie vor heilfroh über die Existenz eines liquiden globalen Dollar-Kapitalmarktes und der Importmaschine USA, auch wenn sie die Kehrseite – die Finanzierung einer monströsen Militär- und Spionagemaschine und von Dauerkriegen mit hohen Folgekosten, letztlich durch sie selbst – nur widerwillig akzeptiert. Schauen Sie sich die Schizophrenie Chinas an: Das Land finanziert die Militäraktionen seines erbittertsten geopolitischen Gegners gleich vor seiner Haustür im südchinesischen Meer. Russland oder Brasilien, die eine eigenständige Außenpolitik führen wollten, haben sich gleichzeitig durch hohe Dollarverschuldung angreifbar gemacht.
Bis zu den US-Wahlen Anfang des Monats sah es eher so aus, als wollten die USA selbst den globalen Dollarmarkt zumindest regional einschränken. Unter Obama wollte man Russland über Sanktionen vom Dollar-Kapitalmarkt und Russland und China über TTIP und TPP teilweise auch vom auf Dollar basierten Handel ausschließen.
Ein Präsident Trump will nicht nur, wie wohl der überwiegende Teil der Welt, keine Rückkehr zu den alten geopolitischen Blöcken. Er wird mit der Abwendung von den Finanzkriegen Obamas auch das weltweite Vertrauen in die Rolle des Dollars als Schuldenwährung wieder stärken. Etwaige Zollbarrieren werden niedrig ausfallen und auch die globale Kapitalmobilität wird weiter hoch bleiben, und so werden mit den Handels- und Finanzströmen auch die Anreize für globale Dollarhaltung hoch bleiben.
Ein weiterer Punkt kommt hinzu, der den meist ahnungslosen Finanzministern dieser Welt nur schwer begreiflich zu machen ist: zu jedem Sparer muss es einen Schuldner geben, dh. wer immer die Reservewährung der Welt stellt, in der die Exporteure sparen, der muss massiv Schulden aufnehmen, um das System liquide zu halten, und zunehmende eigene Finanzstabilitätsrisiken eingehen. Dieses Problem existierte schon unter dem Bretton Woods-System und wurde nach einem belgisch-amerikanischen Ökonomen als ‚Triffin-Dilemma‘ bezeichnet. Die USA haben die Rolle des globalen Schuldenankers bisher aus geostrategischen Gründen gespielt. Wollen sie sie unter Trump weiter spielen? Wer sonst findet sich bereitwillig, der die Rolle des Dauerschuldners als Ersatz der USA spielen will. Deutschland? China?
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was sollten die USA tun? Wird es ein hartes oder ein „sanftes“ Ende des Petrodollars geben?
Achim Dübel: Die angesprochenen Probleme der USA würden sich durch eine verstärkte Nutzung des Schuldenprivilegs unter Trump nur weiter verschärfen. Zwar würde es bei den angekündigten Steuersenkungen und Ausgabensteigerungen mehr Wachstum geben und auch Trump würde Wege der Umverteilung finden, aber dies würde wieder durch höhere Schulden finanziert werden. Die Schulden der USA würden aber neue Höchststände erreichen, auch weil kein Kongress mehr dem Präsidenten bei ihrer Ausweitung in den Arm fiele. Das Ende des Petrodollars käme dann wahrscheinlich in einem Minsky-Moment, wenn die Überschuldung des Emittenten USA für alle sichtbar würde. Die sich abzeichnenden Zinssteigerungen könnten diesen Moment stark vorziehen, Trump selbst, und viele seiner Berater, haben davor im Wahlkampf gewarnt.
Spätestens jetzt wäre der Augenblick für die USA gekommen, auf ein neues Währungssystem zu drängen und mit dieser Dynamik zu brechen. Die Vorschläge zu einem die USA weniger als der Petrodollar belastenden Bretton Woods II liegen seit langem auf dem Tisch. Sie gehen von Dezentralisierung der für die Reservehaltung notwendigen Schuldenbildung, etwa über Sonderziehungsrechte des IWF, und einer wieder stärkeren Realbindung der Währungen aus.
Aber weder ist Trump der große globale Politikkoordinierer, noch liegt ein solches Abkommen in seinem unmittelbaren auf die Innenpolitik fokussierten wirtschaftspolitischen Interesse. Ein geldpolitischer Alleingang der USA liegt daher im Bereich des Möglichen. Russland und China hatten den Dollar, stark befördert durch Obamas Finanzkrieg, bereits graduell, aber stetig, durch den Ankauf großer Mengen von Gold als Deckung ihrer Währungen angegriffen. Ein Nebeneinander von realgebundenen Währungen mit einer Papierwährung, in der die Schulden immer weiter steigen, ginge aber nicht lange gut. Eine Rückkehr zu einer Realbindung des Dollars oder wenigstens strenger staatlicher Kontrolle der Dollargeldmenge in einer Art Befreiungsakt wäre also denkbar. Diese wäre notwendigerweise mit einem Schuldenschnitt verbunden, einer Aktivität, in der sich der Immobilienmagnat im Weißen Haus, der bereits einige Insolvenzen hinter sich hat, bestens auskennt.
Nur eines scheint angesichts der möglichen verschiedenen Szenarien sicher zu sein: Die Zeiten werden für die Geldpolitik noch turbulenter werden, als sie es schon in den vergangenen Jahren waren. Und einiges deutet auf eine harte Landung des Dollars, so wie wir ihn seit nunmehr 5 Jahrzehnten unter dem Stichwort ‚Petrodollar‘ kannten, in einer nicht allzufernen Zukunft hin.
Achim Dübel ist unabhängiger Finanzmarkt-Berater und Gründer von Finpolconsult. Er hat unter anderem die Weltbank, die EU-Kommission und mehrere Zentralbanken in der Banken-Krise beraten.