Ein Rückgang des Lebensstandards, Deutschland als "Erdulder" und "verlängerte Werkbank" anderer Länder: Mit drastischen Worten hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor einem Abrutschen der deutschen Industrie im internationalen Wettbewerb gewarnt - und seine Forderung nach mehr staatlichen Eingriffsmöglichkeiten begründet. Er will in Einzelfällen sogar eine Teilverstaatlichung von Firmen ermöglichen. Aus der Opposition kam scharfe Kritik an Altmaiers Konzept.
Derzeit erlebe die Welt eine "rasante Beschleunigung" von Innovationen, sagte Altmaier bei der Vorstellung seiner "Nationalen Industriestrategie 2030" am Dienstag. Bisherige Produktionsverfahren und ganze Industrien würden von neuen Technologien ersetzt. Wer diese Technologien beherrsche, habe die Chance, "vorne mit dabei zu sein". Wer sie aber "verpennt, wird irgendwann die verlängerte Werkbank von anderen sein", warnte Altmaier. Deutschland müsse in dieser veränderten Welt nicht "Erdulder", sondern müsse "Akteur sein.
Manche Länder versuchten, durch "Protektionismus und Interventionismus" ihrem eigenen Wirtschaftsraum Vorteile zu verschaffen, kritisierte Altmaier mit Blick auf die USA und China. Dies sei nicht marktwirtschaftlich. Deutschland und Europa müssten Wege finden, darauf zu reagieren.
Konkret forderte er unter anderem, die Belastung der Unternehmen durch umwelt- und sozialpolitische Weichenstellungen zu minimieren. Als Beispiele nannte Altmaier hohe Strompreise durch die Energiewende und hohe Sozialabgaben. Außerdem müsse der Staat Innovationen und die Ansiedlung von Schlüsseltechnologien in Deutschland und Europa stärker fördern.
Der CDU-Politiker forderte auch, das Wettbewerbsrecht so zu überarbeiten, dass in bestimmten Fällen Firmenzusammenschlüsse leichter möglich sind, um größere Unternehmen entstehen zu lassen, die international "auf Augenhöhe" sein können. Falls Firmen mit Schlüsseltechnologien Übernahmekandidaten werden, sollten europäische Konkurrenten ermutigt werden zuzugreifen. "In Ausnahmefällen" müsse aber eine ausländische Übernahme auch durch eine Teilverstaatlichung verhindert werden können.
Wichtig sei bei alledem ein klarer Rahmen, betonte Altmaier. Der Staat dürfe nicht "nach Gutsherrenart" entscheiden, wann er eingreife, und dürfe dies nur tun, "wo es um die Wurst geht".
Der FDP reicht diese Einschränkung nicht. Es gehe bei Altmaiers Vorschlägen "letztendlich um Planwirtschaft", erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher Reinhard Houben. Stattdessen solle die Wirtschaft bei Steuern und Abgaben entlastet sowie "von bürokratischen Hemmnissen" befreit werden.
Linken-Chef Bernd Riexinger warf Altmaier vor, er handele "nicht im gesellschaftlichen Interesse", sondern überlasse "willfährig weiter Konzernen die Macht". Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte, "statt Großunternehmen zu Megakonzernen aufzublasen, muss sich die Bundesregierung zu klaren ökologischen und sozialen Zielen bekennen".
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) betonte, für ein industriepolitisches Gesamtkonzept der Regierung sei es "höchste Zeit". Altmaiers Papier enthalte "eine Reihe diskussionswürdiger Vorschläge".
Altmaier begrüßte am Dienstag Kritik an seinen Vorschlägen und wünschte sich eine breite Debatte. Am Ende der Diskussion soll seinem Willen nach das Bundeskabinett eine Industriestrategie mitsamt Umsetzungsfahrplan beschließen; zudem soll die Bundesregierung das Thema auch auf europäischer Ebene in den Fokus rücken.