Politik

Syrisch-amerikanische Interessengruppe fordert Flugverbotszone im Norden von Syrien

Die Interessengruppe "Syrian American Council" plädiert für die Errichtung einer Flugverbotszone in Nordsyrien. Die Gruppe kritisiert, dass auch die Flüchtlinge in Idlib als “Terroristen” gebrandmarkt werden.
04.03.2020 12:08
Aktualisiert: 04.03.2020 12:08
Lesezeit: 3 min
Syrisch-amerikanische Interessengruppe fordert Flugverbotszone im Norden von Syrien
Syrien, Idlib: Menschen sitzen in einem Zelt auf Matratzen in einer Notunterkunft für Familien. (Foto: dpa) Foto: Anas Alkharboutli

Die in Washington ansässige Interessengruppe "Syrian American Council" (SAC) ruft die US-Regierung und die internationale Gemeinschaft in einer Mitteilung dazu auf, eine Flugverbotszone im Norden Syriens einzurichten. In der Mitteilung heißt es: “Seit dem 1. Dezember wurden mehr als eine Million Menschen im Nordwesten Syriens vertrieben. Viele von ihnen sind aufgrund der ethnischen Säuberungen Russlands und Assads und der international sanktionierten Zwangsumsiedlungsabkommen bereits mehrfach geflohen (...) Dieser Völkermord kann gestoppt werden, wenn die Welt handelt. Globale Staats- und Regierungschefs müssen Menschenrechte, Mitgefühl und die kollektive Menschlichkeit der Welt vor engstem Eigeninteresse, Bigotterie und Hass priorisieren. Wenn Sie nicht handeln, werden diese Gräueltaten fortgesetzt und können überall auf der Welt fortgesetzt werden.”

Der Vorsitzende des SAC, Dr. Zaki Lababidi, sagte dem türkischen regierungsnahen Sender "ahaber" in einem Interview: “Die Türkei muss die gesamte Last dieser humanitären Katastrophe tragen und versucht gleichzeitig, ihre Armee in Idlib zu schützen. In Idlib gibt es etwa drei Millionen Menschen, die aus anderen Gebieten Syriens gekommen sind. Wer wird sich um diese drei Millionen Menschen kümmern? Es leben ja bereits drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei (...) Es ist völlig ausgeschlossen, dass drei Millionen der Menschen, die in Idlib leben, allesamt Terroristen sind. Etwa 50 Prozent dieser Menschen sind Kinder. Man kann sie nicht einfach als Terroristen abstempeln. Die Welt muss der Türkei dabei helfen, dieses Massaker zu stoppen.”

Der ehemalige US-Botschafter in Syrien, Robert Ford, schreibt in einem Gastbeitrag im angesehenen außenpolitischen Magazin Foreign Policy: “In Syriens letzter Hochburg der Opposition werden die schlimmsten Befürchtungen von Millionen von Menschen wahr. Mit Hilfe brutaler russischer Luftangriffe haben syrische Regierungstruppen in den letzten zwei Monaten etwa ein Drittel der Provinz Idlib erobert und über 900.000 der 3,5 Millionen Menschen der Region aus ihren Häusern und nach Norden in Richtung der nahe gelegenen türkischen Grenze gedrängt (...) Die derzeitige Flüchtlingswelle aus Idlib, von der etwa 80 Prozent Frauen und Kinder sind, ist heute der größte Exodus des neunjährigen Konflikts in Syrien. Hilfsorganisationen sind überfordert und Lebensmittel sind knapp.”

Die Kritik von Lababidi, der als Kardiologe am Chandler Regional Medical Center und Mercy Gilbert Medical Center in Arizona tätig ist, richtet sich gegen den Vorwurf von Medienvertretern, die behaupten, dass die aktuelle syrisch-russische Offensive in Idlib sich ausschließlich gegen Terroristen und Extremisten richtet.

Im Jahr 2011 lag die Einwohnerzahl der Provinz Idlib bei 1,5 Millionen. Mittlerweile leben etwa drei Millionen Menschen in der Unruheprovinz, da viele Binnenvertrieben dazu gezogen sind. Reuven Erlich, Chef des Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center (ITIC), hatte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten zuvor gesagt, dass sich die Anzahl der Mitglieder der Extremisten-Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) und weiterer verbündeter Söldner in Idlib auf schätzungsweise 30.000 beläuft. Somit gehören etwa ein Prozent (Stand: 2019) der Personen in Idlib extremistischen Söldner-Gruppen an. Bei den restlichen Personen handelt es sich um nicht bewaffnete Zivilisten und Binnenvertriebene.

Zur gespannten Lage in der nordsyrischen Provinz Idlib schreibt die russische Tageszeitung “Nesawissimaja Gaseta” am heutigen Mittwoch: “Die Konzentration der türkischen Streitkräfte im Norden Syriens geht unvermindert weiter, was zu einem handfesten Krieg gegen die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geführt hat (…) Die Effektivität der türkischen Armee in ihrem Kampf gegen Assad und seine Verbündeten ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem beeindruckt Militärexperten der wirkungsvolle und massenhafte Einsatz von Kampfdrohnen. Sie versetzen nicht nur der Panzertechnik der syrischen Armee empfindliche Schläge, sondern auch den Luftstützpunkten und den Steuerungseinheiten (…) Leider können die russischen Streitkräfte nicht über eine solche Vielzahl an Kampfdrohnen verfügen. Die Ereignisse der letzten Tage haben auch gezeigt, dass Damaskus und Moskau bisher keine effektiven Methoden gefunden haben, gegen diese Drohnen vorzugehen (…) Der Kampf um Idlib kann nur beendet werden, wenn Russlands Präsident Wladimir Putin seinen türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan bei ihrem gemeinsamen Treffen an diesem Donnerstag in Moskau davon überzeugen kann, dass die russische Waffentechnik am Ende aber überlegen sein wird.”

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN-Wochenrückblick

Weniger E-Mails, mehr Substanz: Der DWN-Wochenrückblick liefert 1x/Woche die wichtigsten Themen kompakt und Podcast. Für alle, deren Postfach überläuft.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

DWN
Politik
Politik Endet die Koalition 2026 vorzeitig? Schwarz-Rot steht vor einem Schicksalsjahr
29.12.2025

Fünf Landtagswahlen, umstrittene Reformen: Der Dauerwahlkampf kommendes Jahr hat das Potenzial, die Koalition und die Reformprojekte...

DWN
Politik
Politik Gewalttaten nehmen zu: Über 46.000 Fälle von Gewalt gegen Polizisten
29.12.2025

Angriffe, Widerstand, Körperverletzung: Die Zahl registrierter Gewalttaten gegen Polizisten ist auch 2024 weiter angestiegen. Schwarz-Rot...

DWN
Finanzen
Finanzen Kosten der Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen - Bürgergeld größter Block
29.12.2025

Die Ausgaben für Arbeitslosigkeit waren 2024 so hoch wie seit rund zehn Jahren nicht mehr. Warum die Kosten explodieren und was das für...

DWN
Politik
Politik Ökonom Fratzscher: Feiertagsdiskussion ist „Phantomdebatte“
29.12.2025

Wegfallende Feiertage: Aus Arbeitnehmersicht liegen einige Feiertage 2026 ungünstig. Linke und Grüne fordern Ersatz unter der Woche. Ein...

DWN
Politik
Politik BKA-Chef: Russland will unsere Demokratie schwächen
29.12.2025

Russische Sabotage und Spionage nehmen laut BKA-Präsident Münch zu. Er fordert: Deutschland braucht bessere Daten zu Drohnenüberflügen.

DWN
Finanzen
Finanzen Änderungen 2026: Rente, Mindestlohn, Familienleistungen – das ändert sich im neuen Jahr
29.12.2025

Im neuen Jahr 2026 gibt es einige neue Regelungen, die Verbraucher kennen sollten. In den Bereichen Steuern, Strompreise, Kfz-Versicherung...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkauf: Eigentumswohnungen werden erschwinglicher aber nicht für alle
29.12.2025

Eigentumswohnungen sind in Deutschland laut Kreditvermittler Interhyp wieder für mehr Menschen bezahlbar geworden. In fünf Metropolen ist...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Jahreswechsel: Ansturm auf Feuerwerk für Silvester
29.12.2025

Pyrotechnik für den Jahreswechsel darf seit Montag verkauft werden. Mancherorts gab es vor Läden lange Schlangen.