Finanzen

Neue Regeln kommen: Der Dax steht vor der größten Reform seiner Geschichte

Die Deutsche Börse wird am Dienstag neue Regeln für die deutschen Aktienindizes bekanntgeben. Offenbar sollen künftig auch „ethische“ Aspekte berücksichtigt werden. Der unklare Begriff führt schon jetzt zu Widerstand.
23.11.2020 15:34
Lesezeit: 2 min
Neue Regeln kommen: Der Dax steht vor der größten Reform seiner Geschichte
Frankfurt/Main: Der Bulle vor der Frankfurter Börse wird mit grüner Farbe angestrichen, um auf den Grüne-Soße-Tag einzustimmen. (Foto: dpa) Foto: Arne Dedert

Der deutsche Leitindex Dax steht möglicherweise vor der größten Reform seiner mehr als 30-jährigen Geschichte. Am Dienstag will die Deutsche Börse unter anderem verkünden, ob der Dax von 30 auf 40 Werte aufgestockt. Auch soll die Mitgliedschaft nach dem Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers Wirecard künftig an strengere Voraussetzungen geknüpft werden. Diese sollen nicht nur finanzielle Aspekte, sondern auch „ethische“ berücksichtigen.

So könnte beispielsweise der Flugzeugbauer Airbus aus allen großen Indizes der Börse verbannt werden, da eine Tochterfirma die Trägerraketen für französische Atomwaffen wartet. Die Regeländerungen sollen im Laufe des Jahres 2021 in Kraft treten. Die ethischen Fragen inhärente Ungenauigkeit und Subjektivität könnte allerdings zu größeren Problemen im deutschen Aktienuniversum führen – nämlich dann, wenn tatsächlich Unternehmen verbannt würden. Dies schürt nicht nur Konflikte, sondern provoziert auch die Frage, was die Deutsche Börse dazu qualifiziert, über ethische Probleme zu urteilen.

Dax könnte wachsen, MDax könnte schrumpfen

Die Deutsche Börse hatte Anfang Oktober eine Reihe von Vorschlägen zur Zukunft des Leitindex Dax und anderen Auswahlindizes der Dax-Familie gemacht. „Es ist kein Geheimnis, dass ich persönlich die Ausweitung des Dax 30 auf einen Dax 40 begrüßen würde“, sagte Vorstandschef Theodor Weimer damals. Während der Dax breiter aufgestellt wäre und an Bedeutung gewinnen würde, würde der Stern des Nebenwerteindex MDax sinken. Der erst vor wenigen Jahren auf 60 Unternehmen erweiterte Index soll wieder auf 50 Werte schrumpfen.

Das Ansinnen ist umstritten. Viele Investoren, die sich bis Anfang November zu den Reformvorschlägen äußern könnten, liefen Sturm. So meldete das Deutsche Aktieninstitut, die Lobby der börsennotierten Unternehmen in Deutschland, einen erheblichen Diskussionsbedarf an, da es einen Aderlass beim MDax befürchtet. Der Investor-Relations-Verband DIRK kritisierte, die „Verzwergung“ des MDax würde die Erfolgsstory des Nebenwerteindex nach 25 Jahren infrage stellen.

Nach Berechnungen der Deutschen Börse würde die Marktkapitalisierung des Dax durch eine Vergrößerung um acht Prozent steigen, auf Risiko und Rendite des Leitindex hätte der Schritt dagegen so gut wie keine Auswirkungen. Zugleich würde der MDax durch seine Verkleinerung und den Dax-Aufstieg seiner größten Mitglieder fast ein Drittel seiner Marktkapitalisierung verlieren.

Die Ethik hält – zumindest vordergründig – Einzug an der Börse

Auch die geplante Verbannung von Unternehmen, die an umstrittenen Waffen („controversial weapons“) beteiligt sind, sorgt für Widerspruch. Das DAI kritisierte, dass dadurch erneut ein deutscher Sonderweg eingeschlagen würde. Bereits die Antwort auf die Frage, wann dieses Auswahlkriterium letztendlich erfüllt sein solle, sei mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, sagte Marc Tüngler von Aktionärsvereinigung DSW. DIRK erklärte, dass die Einführung dieser Bedingung dem erklärten Ziel widerspreche, nur klar messbare Kriterien festzulegen. „Außerdem würde ohne Not eine Diskussion über die ethische Akzeptanz einzelner Geschäftsmodelle provoziert“, monierte der Verband. Eine Abdeckung des Themengebietes „Nachhaltigkeit“ erfolge bereits über den ESG-DAX-50-Index. Zudem fehlten andere umwelttechnische oder soziale Kriterien in den Reformvorschlägen vollkommen.

Zugleich will die Börse Konsequenzen aus dem Bilanzskandal um Wirecard ziehen. So sollen Firmen aus ihren Auswahlindizes Dax, MDax, TecDax und SDax verbannt werden, wenn sie ihre Zahlenwerke nicht fristgerecht vorlegen - also drei Monate nach Geschäftsjahresende und 45 Tage nach Ablauf eines Quartals. Vorgeschrieben wird auch ein Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, der etwa die Rechnungslegung überwacht und Konsequenzen aus Regelverstößen zieht. Ein solches Gremium hatte der inzwischen insolvente Zahlungsabwickler erst im vergangenen Jahr eingerichtet.

Auch sollen künftig nur noch nachweislich profitable Unternehmen in die erste Börsenliga aufsteigen können. Dazu müssen sie in den zwei Jahren vor dem Dax-Aufstieg einen operativen Gewinn (Ebitda) ausgewiesen haben – was beispielsweise dem Essenslieferdienst Delivery Hero die Dax-Mitgliedschaft verwehrt hätte. Dem MDax und SDax dürfen unprofitable Unternehmen weiter angehören.

Die Index-Zusammensetzung will die Börse künftig alle sechs Monate statt einmal jährlich regulär überprüfen. Ausschlaggebend für den Auf- oder Abstieg soll nur noch die Marktkapitalisierung des Streubesitzes sein, der Börsenumsatz soll keine Rolle mehr spielen. Im großen und ganzen stießen diese Vorschläge auf ein positives Echo. Einige Investoren forderten allerdings, das Nettoergebnis als Profitabilitätskriterium heranzuziehen.

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