Politik

Warum China im Ukraine-Konflikt nicht Partei ergreifen kann

China hat weder die Fähigkeit noch den Willen, im Russland-Ukraine-Konflikt Partei zu ergreifen. In beiden Staaten hat China handfeste Interessen.
08.12.2021 08:00
Lesezeit: 2 min

Nach Medienberichten über russische Truppenbewegungen auf russischem Gebiet nahe der ukrainischen Grenze wird die Gefahr einer Invasion heraufbeschworen. Demnach hat Russland rund 100.000 Soldaten an die Grenze zur Ukraine entsandt. In der Folge haben die USA eigenen Angaben zufolge Truppen in das Gebiet verlegt. Dies sei auf Ersuchen von "Verbündeten an der Ostflanke" geschehen, man bevorzuge aber andere Optionen, darunter Sanktionen und Unterstützung für das ukrainische Militär.

Nach Ansicht von Feng Yujun, dem Direktor des Zentrums für russische und zentralasiatische Studien an der Shanghaier Fudan-Universität, ist der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine eine Botschaft Moskaus an die USA, um einen Beitritt der Ukraine zur Nato zu verhindern. "Die USA geben ihre Hauptressourcen für den indopazifischen Raum gegen China aus und wollen daher keine weitere [komplizierte Situation] in Europa schaffen", zitiert ihn die South China Morning Post.

Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine sind derzeit auf dem höchsten Stand, seit Russland im Jahr 2015 die Halbinsel Krim annektierte. Doch China bemüht sich um gute Beziehungen sowohl zu Moskau als auch zu Kiew. China und Russland haben ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen in den letzten zehn Jahren deutlich gestärkt. Beide Länder haben sich verpflichtet, einander gegen den Druck der USA zu verteidigen.

Ende Juni festigten die beiden Länder ihre Beziehungen durch die Erneuerung eines 20 Jahre alten Freundschaftsvertrags. Und der chinesische Präsident Xi Jinping lobte die chinesisch-russischen Beziehungen als "Musterbeispiel für eine neue Art von internationalen Beziehungen", die der Welt "positive Energie" verliehen. Allerdings argumentierte DWN-Analyst Cüneyt Yilmaz kürzlich in einem Bericht über die neue „NATO des Ostens“, dass Russland und China keine Freunde sind, sondern Rivalen.

Doch nicht nur mit Russland, sondern auch mit der Ukraine pflegt China gute Beziehungen. Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky hat sein Land kürzlich als eine mögliche "Brücke nach Europa" für chinesische Unternehmen bezeichnet. Die Ukraine hat mit China Vereinbarungen über den Bau von Flughäfen, Straßen und Eisenbahnen getroffen und China für die Lieferung von chinesischen Covid-19-Impfstoffen gedankt.

Zudem hat die Ukraine die angebliche Verfolgung der Uiguren und anderer muslimischen Minderheiten in Xinjiang ignoriert, während viele europäische Staaten deswegen Sanktionen gegen China verhängt und in der Folge Gegensanktion von China kassiert haben. Auch hat die Ukraine ihre Unterstützung für die internationale Forderung zurückgezogen, dass China unabhängige Beobachter für Untersuchungen in die autonome Region im Nordwesten des Landes einreisen lässt.

Laut Wang Yiwei, einem Experten für internationale Beziehungen von der Renmin-Universität in Peking, wird sich China in den Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze nicht einmischen. "Die Ukraine-Krise ist eher eine europäische Angelegenheit, die mit dem Machtspiel zwischen Russland und einigen anderen europäischen Ländern zu tun hat", so Wang. Zudem sei Peking bestrebt, eine positive Beziehung zu Europa aufzubauen. Auch wegen der guten Beziehungen zu Kiew sei es unwahrscheinlich, dass sich Peking auf die Seite Moskaus stellt.

Auch Liu Weidong, Forscher für internationale Beziehungen an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, glaubt nicht, dass China in die Ukraine-Krise eingreifen wird, weil es weder den Willen noch die militärischen Kapazitäten dazu habe. "Ich glaube nicht, dass China Russland militärisch unterstützen könnte, wenn Moskau militärische Aktionen gegen Kiew durchführt, und China möchte dies auch gar nicht tun, da eine solche Aktion Chinas diplomatischem Prinzip der Nichteinmischung widerspricht."

"Sich auf die Seite Moskaus oder Kiews zu stellen, würde letztlich Pekings Interessen verletzen", so Liu. Daher werde Peking nur einen humanitären Ansatz in einer internationalen Konstellation fordern, etwa im Rahmen der UN. Die Warnung von US-Präsident Joe Biden, die USA könnten Truppen in die Ukraine entsenden, klingt nach Ansicht von Liu eher nach leerer Rhetorik als nach einem handfesten Versprechen, da die amerikanische Öffentlichkeit keine Militäraktion unterstützen würde, die ihre eigenen Interessen untergräbt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Die Deutschen und ihr Bargeld: Wie sich das Bezahlverhalten entwickelt
22.06.2025

Obwohl die Deutschen nach eigenen Aussagen ihr Bargeld lieben, gewinnt das bargeldlose Bezahlen auch hierzulande an Bedeutung. Das...

DWN
Technologie
Technologie Schwedische Innovation soll Wasserkrise in der Ukraine lösen
21.06.2025

Während Europa über Hilfspakete debattiert, liefern schwedische Firmen sauberes Wasser in eine vom Krieg verwüstete Region. Ist Hightech...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Afrikas Migrationspotenzial: Die globale Ordnung steht vor einer tektonischen Verschiebung
21.06.2025

Afrikas Bevölkerung wächst, während der Westen altert. Millionen gut ausgebildeter Migranten verändern schon heute globale...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands stille Stärke: Wie Rechtsstaat und Verwaltung zum unterschätzten Standortvorteil werden
21.06.2025

Als Max Weber 1922 mit seiner Bürokratie-Theorie die Basis für die deutsche Verwaltung legte, galt sie weltweit als innovatives Vorbild....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trumps Rückschlag für Elektroautos – kommt das Ende wie vor 100 Jahren?
21.06.2025

Vor 100 Jahren verschwanden Elektroautos wegen politischer Entscheidungen von den Straßen. Heute wiederholt sich die Geschichte: Donald...

DWN
Politik
Politik Wie der Westen seine Werte in der Wüste verrät: Big Tech versteckt die Probleme unter glänzenden Fassaden
21.06.2025

Big Tech hofiert autoritäre Regime vom Golf – im Tausch gegen Milliarden, Macht und Rechenzentren. Doch hinter der glitzernden Fassade...

DWN
Politik
Politik Deutschland steht vor dem historischen Aufschwung – aber es gibt ein großes Problem
21.06.2025

Mit der faktischen Abschaffung der Schuldenbremse beginnt Deutschland eine neue Ära – mit enormen Investitionen in Militär,...

DWN
Panorama
Panorama KI-Musik auf dem Vormarsch: Gefahr oder Chance für die Musikbranche?
21.06.2025

KI-Musik verändert die Musikbranche – kreativ, disruptiv, kontrovers. Künstler verlieren Kontrolle und Einnahmen. Doch wie weit darf...