Deutschland

Juristische Analyse enttarnt ESM-Vertrag als Täuschung der Steuerzahler

Eine kleine Notiz in einer Bewertung der Citi Group bringt ans Tageslicht, wie die nationalen Parlamente beim ESM-Vertrag getäuscht wurden: Die Steuerzahler können rechtlich gar keinen bevorzugten Gläubigerstatus erhalten. Anders als die Abgeordneten im Bundestag haben die Märkte die Finte durchschaut. Genau dieser Taschenspieler-Trick der ESM-Architekten wird zum Scheitern des ESM führen.
04.07.2012 23:44
Lesezeit: 5 min

In einer internen Bewertung für Kunden beschäftigen sich die Citi-Analysten Michael Hampden-Turner und Matt King unter dem schönen Titel „Stealth Subordination (Getarnte Unterordnung)“ mit einem Thema, das in den vergangenen Wochen die Märkte beschäftigt hat: Der Frage, ob die europäischen Steuerzahler, die demnächst über den ESM auch die europäischen Banken retten dürfen, wenigstens den Status des „bevorrechtigten Gläubigers“ (Subordination) erhalten. Dies würde bedeuten, dass, wenn das ganze tolle Projekt wider Erwarten doch in die Hose geht, die Steuerzahler – vertreten durch die EZB und andere offizielle Gläubiger – sich im Crash-Fall wenigstens nicht hinter jenen Investoren anstellen müssen, die ebenfalls mit offenen Forderungen hinter dem Schuldner (demnächst Spanien als erster Kunde des ESM) her sind.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus („ESM“) soll demnächst die Liquidität der Staaten in der Eurozone sichern und darin den EFSF als vorrübergehenden Mechanismus ablösen. Mit 500 Milliarden Euro kapitalisiert, soll der in Luxemburg niedergelassene Fonds als permanenter Rettungsschirm für angeschlagene Banken dienen. Darüber hinaus soll der ESM auch Staatsanleihen in Sekundärmärkten kaufen können um rapide ansteigende Zinsen einzudämmen und so die prekären Anleihenmärkte von Staaten wie zum Beispiel Spanien und Italien zu entlasten. Außerdem soll nach der neuesten Idee der ESM Banken direkt retten können. Diese Regelung existiert jedoch nur als Idee, weshalb der Deutsche Bundestag vermutlich schon bald wieder über die Wunderwaffe ESM abstimmen muss.

Die Zustimmung zum ESM in den nationalen Parlamenten – vor allem im Deutschen Bundestag - wurde den Parlamentariern mit der Zusicherung schmackhaft gemacht, der Fonds werde den Status eines bevorrechtigen Gläubigers haben. Der Steuerzahler müsse sich keine Sorgen machen, andere Schuldner eines in Bredouille geratenen Mitgliedsstaates seien in jedem Fall nachrangig. Das wäre immerhin ein großer Fortschritt gegenüber dem EFSF. Weil dieser mit der heißen Nadel in einer der vielen Euro-Krisen gestrickt wurde, kennt er die sogenannte „Subordination“ nicht – das heißt, die Steuerzahler können alles, was über den EFSF abläuft getrost abschreiben.

Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten haben den ESM-Vertrag mit Londoner Wirtschaftsanwälten analysiert. Deren juristische Evaluierung ist erstaunlich: Der Vorrang der Steuerzahler existiert nicht. Zumindest nicht so, dass er irgendeine rechtliche Wirkung hätte.

Denn der genaue Wortlaut im ESM-Vertrag (Original hier) zeigt: Es gibt keine juristisch verankerte Vorrangigkeit des ESM gegenüber anderen Gläubigern, wenn ein Staat pleitegeht. Vielmehr basiert diese Zusicherung allein auf der „gängigen Praxis“ von anderen supranationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank.

So steht in der Präambel der „inoffiziellen Arbeitsübersetzung“ der deutschen Version des multilateralen Staatsvertrages, auf dem der ESM basiert:

„Der ESM wird, wie der IWF, einem ESM-Mitglied Stabilitätshilfe gewähren, wenn dessen regulärer Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung droht. Eingedenk dessen haben die Staats- und Regierungschefs festgelegt, dass der ESM – vergleichbar dem IWF – den Status eines bevorrechtigten Gläubigers haben wird, wobei akzeptiert wird, dass der IWF gegenüber dem ESM als Gläubiger vorrangig ist. Dieser Status wird mit Inkrafttreten dieses Vertrags wirksam. In dem Fall, dass sich die finanzielle Unterstützung des ESM in Form von ESM-Darlehen an ein europäisches Finanzhilfeprogramm anschließt, das im Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrags bereits besteht, wird der ESM den gleichen Rang haben, wie alle anderen Darlehen und Verpflichtungen des die Finanzhilfe empfangenden ESM-Mitglieds, ausgenommen die Darlehen des IWF.“

Der interessierte Leser fragt sich an dieser Stelle, wie genau die Staats- und Regierungschefs diesen Status „festgelegt“ haben. Ein Blick auf die englische Version verrät mehr: hier heißt es nämlich nicht einmal „festgelegt“, sondern vielmehr einfach nur „stated“, was sich in etwa mit „angemerkt“ übersetzen lässt. Auf Deutsch: Es gibt keinen Beschluss, auf den sich ein Kläger berufen könnte, kein Dokument und keine Vereinbarung. Das einzige, was es offenbar gibt, ist die Erklärung, dass sich der ESM offenbar freiwillig hinter dem IWF einordnet. Dies bedeutet, dass der ESM seine eigene Nachrangigkeit hinter den Forderungen des IWF deklariert.

Die Sache wird noch besser: Eine de facto oder de jure Seniorität des ESM ist offenkundig gar nicht möglich. Der Grund, warum der Vertrag so schwammig formuliert ist, zeigt sich, wenn man den Bond Markt betrachtet: Würde der Staatsvertrag, auf dem der ESM basiert, eine explizite Vorrangigkeit gegenüber anderen Anleihebesitzern vorweisen, so würde diese Vorrangigkeit einen Kreditausfalls-Event („credit event“) darstellen. Dadurch würden automatisch die Kreditausfallsversicherungen (CDS) gezogen. Hunderte Milliarden von staatlich ausgegebenen Finanzprodukten würden sofort fällig werden, der System-Crash würde eintreten.

Die Citi-Analysten erklären uns in ihrem Papier nun, warum das ganze Theater um die Subordination des ESM überhaupt veranstaltet wurde. Der Grund wurde sichtbar, als vor einigen Wochen die Zinssätze für spanische Staatsanleihen plötzlich gestiegen waren: Die Investoren hatten befürchtet, dass sie durch den ESM in die Rolle von nachrangigen Gläubigern gedrängt würden. Viele institutionelle Investoren dürfen solche Risiken jedoch nicht eingehen. Die Folge: Der Zusammenbruch des europäischen Bond-Markts, auf dem dann neben den offiziellen Gläubigern nur noch die Spekulanten tätig sein könnten – kein nachhaltiges Finanzierungsmodell für die 17 Euro-Staaten.

King und Hampden-Turner sind den politischen Trickbetrügern auf die Schliche gekommen. Sie erklären, warum die Politik das Thema „Subordination“ so stolz vor sich hergetragen hat (in ihrem Text ist hier die Rede von „Seniorität“, also Besserstellung der Steuerzahler als Gläubiger): „Der ESM muss den Europäischen Mitgliedsstaaten ,verkauft‘ werden; Seniorität ist ein wichtiger Teil, um die Zustimmung der Politiker zu erhalten, welche wiederum ihren Wählern Rechenschaft ablegen müssen. Die feine Nuance, wenn von Seniorität ,nach dem Vorbild des IWF‘ die Rede ist, bedeutet, dass sie weniger Schutz für die Steuerzahler bietet, als es an bei oberflächlicher Betrachtung erscheint. Aber diese Feinheit werden Nicht-Spezialisten nicht bemerken.“

Damit wird klar: Die Steuerzahler werden über einen wesentlichen Bestandteil des ESM bewusst getäuscht. Die Väter des ESM-Vertrages haben ihren Völkern ein Dokument vorgelegt, in dem die Steuerzahler glatt belogen werden. Es gibt keine Seniorität der europäischen Steuergelder im juristisch einklagbaren Sinn. Gäbe sie es, würde der Bond-Markt in derselben Sekunde, wo der ESM in Kraft tritt, zusammenbrechen. Damit wäre die europäische Staatsfinanzierung hinfällig.

Die Autoren des ESM Vertrages – allen voran Herman Van Rompuy und Manuel Barroso, sicher aber auch unter tatkräftiger Mitwirkung, wenn nicht sogar Federführung von Wolfgang Schäuble – wollten besonders schlau sein: Sie wiegen den Steuerzahler in Sicherheit – wie Merkel im Deutschen Bundestag (mehr hier, wo Merkel den ESM ausdrücklich als „sehr intelligent ausgearbeitet“ bezeichnet). Zugleich blinzeln sie den Investoren zu und signalisieren ihnen, dass sie ohne Sorgen weiter Geld in die Finanzierung der europäischen Schuldenstaaten pumpen können.

Genau hier offenbart sich jedoch der Dilettantismus der europäischen Politik. Anders als die Steuerzahler kann man die Märkte nicht so einfach übers Ohr hauen: Die beiden Citi-Autoren enttarnen das Manöver von Schäuble & Co. nämlich ziemlich gnadenlos. Sie ziehen den Autoren des ESM den Teppich unter den Füssen weg, indem sie feststellen, dass zwischen der Glaubwürdigkeit des IWF und der der EU Welten liegen: „Eine starke Institution wie der IWF oder die Weltbank brauchen keine ausgefeilten rechtsfesten vertraglichen Regeln für das Prinzip der Seniorität, weil sie respektierte Institutionen sind.“ In Europa sei dies nicht der Fall. Die Märkte würden Europa erst glauben, wenn „eine starke Bereitschaft zur vertieften Integration demonstriert“ würde. Private Investoren misstrauen den Europäern. Daher werden sie ohne einen „rechtlich verbindlichen Rahmen“ das ESM-Spiel nicht mitmachen. Dieses Misstrauen sei das „Symptom einer viel breiteren europäischen Malaise“.

Die Botschaft ist klar: Nach dem griechischen Schuldenschnitt wollen die Bond Märkte nur noch mit den europäischen Regierungen dealen, wenn sie Rechtssicherheit haben. Der ESM, so fein ausgedacht von den Technokraten, ist für private Investoren ein viel zu schwammiges Dokument. Es geht den Märkten wie jedem, der auf einen Trickbetrüger hereingefallen ist: Wer einmal eine falsche Rolex gekauft hat, wird künftig einen weiten Bogen um den Verkäufer machen. Die Alternative, die die Citi-Analysten sehen, ist nur realistisch, wenn den Europäern das Wasser wirklich bis zum Halse steht: Sie fordern die große, entschlossene, umfassende politische und wirtschaftliche Union Europas.

Von dieser sind die europäischen Völker indes nicht mehr weit entfernt - die hochverschuldeten „Musterschüler“ Deutschland und Niederlande eingeschlossen. Mit ihnen wird am Ende jedoch nicht mehr gefeilscht oder gehandelt: Sie werden die Bedingungen für diese Schuldenunion diktiert bekommen, weil sie jahrzehntelang vom Geld anderer über ihre Verhältnisse gelebt haben. Über den ESM werden die kommenden Generationen dagegen bestenfalls den Kopf schütteln. Er wird scheitern, weil die europäischen Politiker mit dem Verlust der Bonität ihrer Staaten auch ihren eigenen guten Ruf als ehrbare Geschäftspartner verloren haben.

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