Deutschland

Sigmar Gabriel kündigt Merkel Zusammenarbeit bei Euro-Rettung auf

Lesezeit: 2 min
07.08.2012 01:43
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Angela Merkel eine doppelzüngige Europa-Politik vorgeworfen. Er attackierte die EZB und lehnt eine heimliche Schuldenunion ab. Er schließt sich einem Aufruf des Nationalökonomen Jürgen Habermas an und kann daher vor einem Referendum über die politische Union keinen weiteren Euro-Rettungsmaßnahmen mehr zustimmen.
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Sigmar Gabriel hat am Montag in einer eilends einberufenen Pressekonferenz Angela Merkel scharf attackiert und ihr im Kern die Zusammenarbeit bei der Euro-Rettung aufgekündigt. Er sagte, Merkel agiere bei der Euro-Rettung doppelzüngig und sage den Bürgern nicht die Wahrheit.

Zu Erinnerung: Merkel hatte vor der Sommerpause den ESM nur mit Hilfe der SPD und der Grünen durch den Deutschen Bundestag gebracht. Nun sagte Gabriel am Montag in Berlin, dass eine heimliche Schuldenunion in Europa nicht zulässig sei (für die die SPD mit dem ESM gestimmt hat), sondern stattdessen eine offene Schuldenunion eingeführt werden solle. Er attackierte die Europäische Zentralbank (EZB) und warf ihr vor, dass sie ungehemmt Staatsanleihen kaufe. Dieser Vorwurf ist erstaunlich, weil die EZB seit Monaten keine Staatsanleihen mehr gekauft hat. Mittlerweile denkt die EZB vielmehr darüber nach, aus dem Handel mit Staatsanleihen komplett auszusteigen, weil ihr das Vertrauen in die Regierungen abhandengekommen ist (hier). Gabriel sagte, die Schuldenkrise in Griechenland habe nichts von der griechischen Politik verschuldet, sondern von Europa. Das Zerbrechen der Währungsunion sei nur durch eine starke Integration in Europa zu lösen.

Die plötzliche Kehrtwende Gabriels ist bemerkenswert, weil noch vor wenigen Wochen die SPD geschlossen dem ESM als dem dauerhaften europäischen Rettungsschirm zugestimmt hatte. In keiner Partei gab es eine derart harte Kaderdisziplin: Die Fraktionsführung verhängte ihren Abgeordneten einen Maulkorb (hier bei DMN). Kein Sozialdemokrat durfte sich öffentlich außerhalb der Parteilinie äußern. Die Parteilinie wurde erst kurz vor der entscheidenden Sitzung festgelegt, nachdem Merkel Gabriel mit vagen Wachstums-Versprechungen abgespeist hatte.

Nun will sich Gabriel dem Positionspapier der bekannten Volkswirte Jürgen Habermas, Julian Nida-Rümelin und Peter Bofinger anschließen. Die drei plädieren für eine Europäische Union, über deren Entstehen das deutsche Volk in einem Referendum abstimmen solle. In dem Papier steht allerdings nicht, ob vielleicht auch die anderen Völker über die von ihnen konzipierte politische Union abstimmen müssten. Allerdings steht in dem Papier, dass sich die Politik wieder selbst „ermächtigen“ müsse. Denn die Krise sei mitnichten von der Spendierfreudigkeit der Politiker und der dankbaren Annahme der Geschenke durch die Wähler verursacht, sondern ausschließlich von den Banken.

Wir werden das Papier in den kommenden Tagen genauer analysieren (wenn nichts Wichtigeres passiert, das Original steht jedenfalls hier).

Die Aktion von Gabriel ist jedenfalls innenpolitisch interessant: Denn wenn der SPD-Chef nicht von seinen Co-Chefs zurückgepfiffen wird, kann die SPD eigentlich keinem Euro-Rettungspaket mehr zustimmen, ohne sich völlig der Lächerlichkeit preiszugeben. Weil Merkel schon längst ihre Kanzlermehrheit verloren hat und die CSU vollends auf einen Anti-EU-Kurs eingeschwenkt ist, könnte es damit im Bundestag zu einer Blockade aller weiteren Euro-Rettungsbeschlüsse kommen. Dann würde eintreten, was Gabriel in seiner Pressekonferenz gesagt hat (Video hier): Dass nämlich „der Euro auseinanderbrechen könne“, wenn jetzt nicht der Geburtsfehler des Euro – vollständige Schulden- und Fiskalunion – behoben werde.

Originelles Detail am Rande: Gabriel bewies bei seinem Auftritt, dass er in derselben Gewichtsklasse spielt wie einst der Kanzler aller Einheiten, Helmut Kohl. Der SPD-Chef verteidigte ausdrücklich Kohl („Bimbes“) und sagte, Kohl habe die vollständige Einheit gewollt; sein nun von der SPD übernommenes Ansinnen der Fiskal-Union sei jedoch von Frankreich abgelehnt worden. Allein diese billige Schuldzuweisung an Paris beweist, wie weit der Weg zu einer echten politischen Union in Europa ist. Sollte er auf diesem Weg jemals die Zielflagge sehen, dürfte Gabriel aussehen wie Joschka Fischer in seiner Marathon-Phase.


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