Politik

Urabstimmung erfolgreich: Nun kommt flächendeckender Ärztestreik

Deutschlands Ärzte werden streiken: 75 Prozent der niedergelassenen Ärzte haben in einer Urabstimmung für den Kampf gegen die Krankenkassen gestimmt. Patienten müssen sich auf einiges gefasst machen. Die Eskalation zeigt, dass das Gesundheitssystem an einige Punkten nicht nachhaltig ist.
13.09.2012 14:57
Lesezeit: 2 min

Für die Patienten in Deutschland könnte in den kommenden Wochen der Gang zum Arzt zu einer Geduldsprobe werden: Sie müssen sich bundesweit auf lange Wartezeiten beim Arzt oder verschlossene Praxistüren einstellen. Wenn sich die Ärzte nicht doch noch in letzter Minute mit den Krankenkassen einigen, kommt es bereits im September zu massiven Störungen in der Gesundheitsversorgung. "Wir sind kampfbereit", sagte der Sprecher der Allianz Deutscher Ärzteverbände, Dirk Heinrich. An der enormen Beteiligung zeige sich das hohe Protestpotenzial der Ärzteschaft. Die von den Kassen durchgedrückte Anhebung der Honorare um gerade mal 0,9 Prozent sei eine "Kampfansage an die Praxisärzte". Die Schlichtung war vor zwei Wochen gescheitert, worauf sich die Kassen auf diese Steiegerung festgelegt hatten. Die Ärzte argumentieren, dass sie seit 2008 keine Erhöhung mit erhalten haben.

Eine Mehrheit von 75 Prozent der 150.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten sprach sich bei einer Urabstimmung für Praxisschließungen aus, wie Organisatoren am Donnerstag in Berlin mitteilten. Die Mediziner wollen damit gegen die zu geringe Honorarsteigerung protestieren.

Noch höher als die Bereitschaft zu Praxisschließungen fiel die Zustimmung zu Protestmaßnahmen insgesamt aus, für die 96 Prozent der befragten Mediziner votierten. Es war das erste Mal, dass die rund 30 Berufsverbände zu einer solchen Urabstimmung aufgerufen hatten. An der Aktion beteiligten sich den Angaben zufolge knapp die Hälfte aller Mediziner (49 Prozent).

Parallel zu den Streikvorbereitungen sollen unter Federführung der Allianz Deutscher Ärzteverbände Gespräche mit den Kassenärztlichen Vereinigungen darüber geführt werden, inwieweit man durch geeignete Maßnahmen gegenüber den Krankenkassen vor allem diejenigen treffen kann, „die durch ihr Verhalten in den letzten Wochen und Monaten diese Eskalation nötig gemacht haben“. Hartmannbund-Chef Klaus Reinhardt: „Damit wollen wir deutlich machen, dass die Frontlinie zwischen Ärzten und Kassen verläuft und nicht zwischen uns und unseren Patienten.“

Das ist eine hehre Absicht – allerdings wird es einiges an Fingerspitzengefühl brauchen, damit die Botschaft auch bei den Patienten ankommt. Denn die erste Reaktion der „befragten Kolleginnen und Kollegen auch deutlich, dass in verantwortbarem Rahmen auch Praxisschließungen und Beeinträchtigungen der Versorgung nicht ausgeschlossen werden“ können, so der Hartmannbund.

Diese freundlich Umschreibung bedeutet im Klartext: Natürlich wird der Streik die Patienten unmittelbar treffen. Und sie werden ihn vermutlich nicht verstehen – weil sie sich zwar auch über die Krankenkassen ärgern, aber in diesem Konflikt eindeutig zwischen die Räder geraten.

Der Streit zeigt, dass das Gesundheitssystem eine fragile Sache ist: Das Dreieck Patient-Arzt-Kasse funktioniert nur, wenn es wirtschaftlich solide Verhältnisse und einen fairen Umgang miteinander gibt. Die Härte der Auseinandersetzung ist bemerkenswert und belegt, dass es hier einen Bruch zwischen den quasi-staatlichen Krankenkassen und den privatwirtschaftlich organisierten Ärzten gibt. Es ist dies der Kernkonflikt, der gegenwärtig in allen europäischen Staaten aufflackert. Und er dürfte sich, wenn die Krise erst mal Deutschland erfasst, im Gesundheitsbereich signifikant zuspitzen.

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