Kürzlich wurde bekannt, dass die SPD bei einer Parteiveranstaltung in Rostock Kellner zu Dumping-Löhne beschäftigt hat. Als die Sache aufflog, sprach die SPD von einem „Versehen“ (hier). Die SPD fordert einen allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro.
Solche Irrtümer scheint es öfter zu geben. Und nicht nur bei regionalen SPD-Veranstaltungen. Auch die Partei-Spitze lässt sich von Mitarbeitern bedienen, deren Stunden-Lohn einiges vom geforderten Mindest-Lohn entfernt ist. Nach Bekanntwerden des Vorfalls in Rostock meldete sich ein Jura-Student bei den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.
Karl Gerhard Kotte (richtiger Name der Redaktion bekannt) hatte im Dezember 2011 bei einer SPD-Parteiveranstaltung im Berliner Hotel Estrel als Aushilfskellner gearbeitet. Sein Stundenlohn, verdient unter den Augen der gesamten SPD-Spitze: 7,55 Euro. Was den Mann heute noch viel mehr ärgert als der Dumping-Lohn, war der Geiz der Funktionäre: Nach einem anstrengenden Abend ging er mit einem Trinkgeld von sage und schreibe 5 Euro nach Hause. So viel hatten ihm die zwanzig Funktionäre überlassen, die an den zwei Tischen saßen, die er zu bedienen hatte.
Wir geben Kottes Bericht im Folgenden im Wortlaut mit minimalen Kürzungen wieder. Die Schilderung sagt mehr über die Haltung der politischen Elite zu den „kleinen Leuten“ als hundert Seiten Parteiprogramm und dutzende Sonntagsreden.
Bericht des Aushilfskellners Kotte von einem SPD-Abend:
„Ich habe als Student als Aushilfs-Kellner gearbeitet. Damals gab es einen SPD-Parteitag oder etwas Ähnliches in Berlin im Hotel Estrel. Anwesend waren unter den Gästen z. B. Nahles, Gabriel (winzig klein!) und Steinmeier. Ich hatte zwei Tische mit unwichtigen Parteimitgliedern zu betreuen (jeder Gast trug ein Namensschild mit seinem Wahlbezirk). Dann gab es noch so einen Aufruf von Gabriel, er faselte etwas von „sozialer Verantwortung“, und dass das Personal mit „gut Trinkgeld“ zu belohnen sei.
Es muss der Saal Convention Hall gewesen sein. Mein Stundenlohn (brutto=netto) lag bei 7,55 Euro pro Stunde. Von den anderen Fremdfirmen weiß ich, dass teilweise nur 7 Euro pro Stunde gezahlt werden. Eine Konkurrenzfirma zahlte als einziges Unternehmen 8 Euro, hatte dafür aber ein wesentlich strafferes Arbeitsklima als bei uns.
Bei der Veranstaltung handelte es sich um den Berliner Parteitag der SPD. Dieser fand vom 4.12. bis 6.12.11 statt.
Ich war auf dem sogenannten Parteiabend tätig, am 5.12. Wenn ich mich richtig erinnere, waren etwa 2.500 Gäste eingeplant. Es gab zwei kurze Reden von Gabriel und Steinbrück, eher im Stil von „Das Buffet ist eröffnet!“ als von politischem Inhalt.
Dann saßen die Gäste am 10er-Tisch. Jeder Kellner hatte 2 Tische zu betreuen. Es gab ein Buffet außerhalb des Saales, Getränke wurden serviert. Es gab ein all-inclusive-Angebot, dass das Essen, Bier, zweimal Rotwein und Weißwein und Softdrinks enthielt. Ausgefallene Getränke wie Whisky und Cocktails gab es auf Selbstzahlerbasis, wurden aber von meinen Gästen nicht geordert. Ich glaube mich zu erinnern, daß es auch ein oder zwei inklusive Cocktails gab, diese wurden aber auch nicht bestellt.
Die beiden Tische standen in der Nähe der Bühne. Darauf wurden Reden gehalten, es gab eine Band. Wer die Gäste waren, kann ich nicht mehr sagen. Ich kann mich nur noch an einen Araber (?) erinnern, der nur englisch sprach, sonst waren es irgendwelche unbedeutenden Leute aus dem Raum Westfalen (sie äußerten den Wunsch, irgendeinen Wacholderschnaps aus ihrer Heimatregion zu trinken, was ich aber nicht erfüllen konnte).
Es waren überwiegend relativ junge Menschen in den Dreißigern. Vermutlich (noch) ohne politisches Amt. Menschen, die mit Sicherheit entweder noch nie im Fernsehen zu sehen waren oder auch einfache Parteimitglieder waren. Sie wirkten eher kleinbürgerlich und aufstiegsgeil, mit dem dann üblichen peinlich-bemühten Verhalten. Einer versuchte, mich zu belehren, nachdem ich mich versprochen hatte, was mir für ihn ziemlich peinlich war.
Insgesamt waren sie wenig selbstbewußt oder lebenserfahren. Am Ende hat mir dann eine Frau das Trinkgeld ausgehändigt. Am Tisch wurden teils politische Diskussionen über Parteiinhalte (vom Parteitag?) geführt. Es wurde überwiegend Bier und Wein getrunken, aber nicht allzuviel. Da meine Gäste alle vor dem offiziellen Ende (es ging ja am nächsten Tag weiter) gingen, habe ich das Ende der Veranstaltung nicht mehr mitbekommen.
Was ich noch beobachten konnte (Nachwuchspolitiker!) war ein Teenie von vielleicht 16 Jahren mit roter Krawatte (was sonst), der dann Steinmeier die Hand schütteln konnte, was ihn unglaublich freute. Dann sollte ich noch für Frau Nahles, die kam, als das Buffet schon ziemlich abgegrast war, einen Teller Essen besorgen, was ich der Oberkellnerin meldete.
Das Unternehmen, für das ich damals arbeitete, war für die Bewirtung angeheuert worden. Die Oberkellner sind aus dem Estrel. Bei größeren Veranstaltungen holt das Estrel oft Verstärkung durch Externe, wie in diesem Fall. Insgesamt dürften wohl mindestens 100 Aushilfen tätig gewesen sein.
Bilanz des ganzen Abends: Fünf Euro Trinkgeld von 20 Leuten. Und ich habe gut und freundlich gearbeitet. Alles nur Lügner und Heuchler. Andere Mitarbeiter haben größtenteils auch nicht viel mehr oder weniger bekommen. Es ist wahrscheinlich, dass die wichtigen Funktionäre von den Oberkellnern persönlich bedient wurden.
Soviel Scheinheiligkeit, Leichtgläubigkeit und Realitätsverlust auf einen Haufen, unfassbar! Und erst die Möchtegern-Nachwuchspolitiker, teils noch minderjährig: vielleicht der nächste Minister, um Gottes willen! Leider nur die gefühlte, nicht die tatsächliche Elite. War aber ein guter Einblick in die Politik, wie man sie nicht in der Presse findet.“
Karl Gerhard Kotte verdient sich sein Geld für das Studium heute nicht mehr als Kellner. Er arbeitet an der Kasse in einem Supermarkt. Stundenlohn: 9,50 Euro netto.
Anmerkung der Redaktion: Wir erwarten nicht, dass die Welt sich ändert. Aber wir hoffen, dass dieser Bericht seinen Weg zu möglichst vielen Politikern und Parteifunktionären findet, die in den kommenden Monaten Partys besuchen werdem. Sie sollen den Kellnern tatsächlich „gut Trinkgeld“ geben. Wenn schon nicht aus Überzeugung, so wenigstens aus Angst, dass auch andere erzählen könnten, was sie bei den „Eliten“ erleben.