Wirtschaft

Europas Wettbewerbskompass: Kurskorrektur bei Technologiewettbewerb dringend nötig!

Europa steht vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen: Der globale Technologiewettbewerb spitzt sich zu, geopolitische Krisen destabilisieren Märkte und die USA sowie China setzen auf massive Industrie-Subventionen. Die EU will mit ihrem „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ gegensteuern – doch das Konzept weist gravierende Schwächen auf. Verzögerungen, unzureichende Finanzierungsmodelle und fehlende Weitsicht könnten Europa weiter ins Hintertreffen bringen. Welche Lösungen sind wirklich notwendig, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu sichern?
19.04.2025 10:54
Lesezeit: 3 min
Europas Wettbewerbskompass: Kurskorrektur bei Technologiewettbewerb dringend nötig!
Der „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ der EU soll die europäische Industrie stärken (Foto: iStock/ serggn). Foto: serggn

Europas Industrie unter Druck: Ein Wettlauf gegen die Zeit

Wir leben in stürmischen Zeiten. Russland führt einen Angriffskrieg in der Ukraine, die USA und China sind in einen eskalierenden Handelsstreit verwickelt, und die europäische Industrie ist im Technologiewettlauf ins Hintertreffen geraten. Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus könnte den Kampf gegen den Klimawandel zum Scheitern bringen (mit seinen Anweisungen zum Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen und zur „Entfesselung“ von Öl- und Gasbohrungen), den israelisch-palästinensischen Konflikt eskalieren lassen (mit seinem Vorschlag, Gaza zu „säubern“) und Russland und die extreme Rechte in Europa ermutigen.

Ein „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ – aber wohin zeigt er?

Trotz alledem boten die Wahl eines neuen Europäischen Parlaments und die Ernennung einer neuen Europäischen Kommission im vergangenen Jahr mit ihren Plänen für einen (inzwischen veröffentlichten) „Deal für saubere Industrie“ und einen „Europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit“ Anlass zu Optimismus. Am 29. Januar machte die Kommission den ersten Schritt in Richtung dieser ehrgeizigen Ziele, indem sie ihren „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vorstellte – eine Reihe konkreter Vorschläge für die nächsten vier Jahre.

Der Rückgriff auf ein derart altmodisches Bild war bezeichnend. Ein Kompass (eines der Instrumente, die Christoph Kolumbus bei seiner Atlantiküberquerung im Jahr 1492 halfen) scheint im Zeitalter der Satellitennavigation nicht mehr allzu nützlich. Vielmehr ist das wirksamste Instrument zur Navigation durch den aktuellen geopolitischen Sturm wohl der gesunde Menschenverstand – und daran scheint es zu mangeln.

Europas Wettbewerbsfonds: Ein Konzept mit gefährlicher Verzögerung

Im Wettbewerbskompass wird die Einrichtung eines Europäischen Wettbewerbsfonds bekräftigt, allerdings erst im Rahmen des nächsten EU-Haushalts. Dies zeugt von einem grundlegenden Missverständnis der Herausforderungen, vor denen der Block steht. Der nächste EU-Haushalt wird erst Anfang 2028 verabschiedet, wodurch sich die lange aufgeschobenen Reformen um weitere drei Jahre verzögern würden. Bis dahin könnte es zu spät sein, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit in dem Maße zu stärken, das notwendig ist, um den Rückstand gegenüber den USA und China aufzuholen, insbesondere in der Automobilindustrie.

Zudem hätte die Finanzierung des Europäischen Wettbewerbsfonds aus dem EU-Haushalt zur Folge, dass dieser mit anderen politischen Zielen konkurriert. Die europäischen Entscheidungsträger könnten natürlich versuchen, den EU-Haushalt zu erhöhen. Allerdings ist es angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Finanzen und der wachsenden Stärke der Anti-Establishment-Politik auf dem Kontinent unwahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten dem zustimmen würden. Dies bedeutet entweder weniger Geld für andere Prioritäten, sei es Kohäsion, Landwirtschaft oder Zukunftssicherheit, oder unzureichende Mittel für die Industriepolitik.

Finanzierungsfrage: Warum öffentliche Bürgschaften nicht ausreichen

Neben der Frage der direkten Finanzierung fordert der Wettbewerbskompass den verstärkten Einsatz öffentlicher Bürgschaften, um private Investitionen in europäische Clean-Tech-Unternehmen zu fördern. Der fehlende Zugang zu Kapital ist jedoch nicht der Grund für die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der EU. Dass die EU nicht in der Lage ist, saubere Technologien wie Batterien für Elektrofahrzeuge oder Photovoltaikmodule zu produzieren, die preislich mit chinesischen Produkten konkurrieren können, liegt daran, dass die chinesischen Unternehmen riesige Mengen produzieren und mit sehr niedrigen Gewinnspannen arbeiten.

Die einzig sinnvolle Antwort ist die Einrichtung eines über die Ausgabe von Gemeinschaftsanleihen finanzierten Fonds, um die europäische Produktion direkt zu subventionieren. Das gleiche System der Anleiheemission wurde bereits während der COVID-19-Krise angewandt. Dieser Fonds, NextGenerationEU, endet im Jahr 2026; danach könnte das neue Instrument in Kraft treten.

Diese Unterstützung würde nur so lange gewährt, bis die europäische saubere Technologie ausgereift ist und die Hersteller des Blocks einen ausreichenden Marktanteil erobern. Der ehemalige US-Präsident Joe Biden verstand die Macht eines derartigen Mechanismus, was ihn veranlasste, den Inflation Reduction Act zu verabschieden (Trump seinerseits hat versucht, diese Finanzierung einzufrieren). Und obwohl die chinesische Regierung keine offiziellen Daten veröffentlicht, kann man davon ausgehen, dass sie nach demselben Prinzip verfährt.

Industriepolitik im Wandel: Braucht Europa ein neues Modell?

Die neue Industriepolitik der EU sollte darauf zielen, nicht nur ihre Produktionsbasis zu schützen, sondern auch ihr Sozialmodell, das auf einer breiten Mittelschicht beruht. Der Wettbewerbskompass wirft die Frage auf, ob sich der Zusammenhalt der Union gewährleisten lässt, wenn man das europäische Fördersystem in den Händen der einzelnen Mitgliedstaaten belässt. Zahlreiche Beispiele aus jüngster Zeit deuten darauf hin, dass die Antwort nein lautet.

So hat die Lockerung der Regeln für staatliche Beihilfen im Rahmen des Netto-Null-Industrie-Gesetzes – eine grundsätzlich antieuropäische Lösung – die Energiewende in Deutschland und Frankreich erleichtert, nicht aber in weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten wie Italien und Polen.

Die im Omnibus-Paket angekündigte umfassende Deregulierung ist eine weitere Quelle der Unsicherheit. Die Rücknahme von Gesetzen, die noch nicht einmal umgesetzt wurden, ist nicht gerade ein beruhigendes Zeichen für Unternehmen, die ihre Investitionen beispielsweise für das nächste Jahrzehnt planen.

Ein Plan für die Zukunft: Welche Instrumente jetzt wirklich helfen

Als sie 2019 den Europäischen Green Deal ankündigte, nannte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen das Europas „Mann-auf-dem-Mond-Moment“. Leider ist der Kompass allein kaum geeignet, der Mondmission, die der Block unternehmen muss, um seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, den Weg zu weisen.

Die EU braucht moderne, hochentwickelte Instrumente, um in der komplexen Welt von heute konkurrenzfähig zu sein. Unsere Volkswirtschaften brauchen einen transformativen Wettbewerbsfonds.

Copyright: Project Syndicate, 2025.

www.project-syndicate.org

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