Unternehmen

Kredit-Linien halbiert: Mittelstand in Europa unter Druck

Die Finanzkrise hat den Mittelstand vor ein Finanzierungsproblem gestellt. Die Neukreditvergabe hat sich in den vergangenen fünf Jahren halbiert. In den europäischen Krisenstaaten ist die Lage verheerend: Unternehmen zahlen bis zu sechs Prozent mehr Zinsen als in Deutschland. Ein Umstand, aus dem deutsche Mittelständler Kapital schlagen können.
17.11.2013 02:43
Lesezeit: 2 min

Der europäische Mittelstand ist in Kreditnot: In Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Portugal und Spanien ist die Neuvergabe von Krediten unter einer Millionen Euro an den Mittelstand seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 um durchschnittlich 47 Prozent gesunken. In Spanien (-66%) und Irland (-82%) ist der Rückgang am stärksten. Die wenigen Unternehmen, die dennoch einen Kredit erhalten, zahlen bis zu sechs Prozent höhere Zinsen als ihre deutschen Konkurrenten. Dieser Umstand verschafft deutschen Mittelständlern einen Wettbewerbsvorteil.

Den wenigen erfolgreichen europäischen Mittelständlern, die sich ihre eigene Nische geschaffen haben, stehen zahlreiche problembeladene und überschuldete Unternehmen gegenüber, insbesondere in den Branchen Bau, Immobilien und Gastronomie. „Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Europa benötigen dringend einen leichteren Kapitalzugang“, sagte John Ott, Partner bei Bain & Company und Co-Autor des Berichts „Restoring Financing and Growth to Europe's SMEs", den die internationale Managementberatung Bain & Company zusammen mit dem Institute of International Finance (IIF) erstellt hat.

Die Befragung von 140 Politikern, Bankern und Geschäftsführern in Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Portugal und Spanien bringe „die Notwendigkeit einer koordinierten, gesamteuropäischen Lösung zutage“, die den Betrieben helfen soll, auch in Zukunft Gewinne, Wachstum und Arbeitsplätze zu sichern. Dafür sollen nationale Kommissionen unter der Schirmherrschaft der Europäischen Kommission geschaffen werden, um die Finanzierung der Unternehmen zu verwalten, berichtet die österreichische Nachrichtenagentur APA.

Das klingt eher nach mehr Bürokratie als nach einer pragmatischen Chance, den Wirtschaftsmotor in Europa wieder auf Hochtouren zu bringen. „Kleine und mittlere Unternehmen stellen zwei von drei Arbeitsplätzen in Europa und 58 Prozent der Bruttowertschöpfung", sagte Ott. „Doch selbst gesunde, wachstumsstarke Mittelständler hungern in einigen Ländern nach Finanzierung, um weiter expandieren und neue Arbeitsplätze schaffen zu können."

Die Schere des deutschen und europäischen Mittelstands geht immer weiter auseinander. In Deutschland ist ein durchschnittliches mittelständisches Unternehmen doppelt so groß wie in Spanien. Das Management ist häufiger nicht Teil des Unternehmens. In vielen anderen Ländern gibt es kleinere Familienunternehmen, die in Eigenregie geführt werden.

„Darüber hinaus zahlen Mittelständler in Irland, Italien, Portugal und Spanien zwischen vier und sechs Prozentpunkte mehr Zinsen für ihre Bankkredite als vergleichbare Unternehmen in Deutschland. Das verzerrt die Wettbewerbsbedingungen weiter”, heißt es in dem Bericht.

Südeuropäische Banken müssen zuerst harte Regulierungen und höhere Eigenkapitaldecken berücksichtigen, bevor sie zu ihrem Kerngeschäft – der Kreditvergabe an Unternehmen und Privatpersonen – zurückkehren können. Viele Banken sitzen zudem auf faulen Krediten und giftigen Wertpapieren (hier). Sie scheuen neue Kredite, denn die Bonitätsbeurteilung von Unternehmen ist mit zusätzlichen Kosten verbunden. Zudem seien bürokratische Hürden für die Kreditvergabe noch immer zu hoch, so der Bericht.

Mittelstand muss Chancen im Ausland nutzen

Wissenschaftler Rudolf Hickel kritisierte die Banken auf einer Podiumsdiskussion der Commerzbank: „Mit ungeheurer Arroganz haben die Banken die Mittelständler jahrelang stehen gelassen, weil die Geldinstitute sich irgendwo mit spekulativem Investmentbanking rumgetrieben haben, statt die reale Produktion zu finanzieren“, so Hickel.

Was den europäischen Unternehmen schadet, ist eine Investitionschance für den deutschen Mittelstand. Der Wettbewerbsvorteil bei der Finanzierung wird von deutschen Unternehmen noch nicht intensiv genug genutzt. Einer Studie der Commerzbank zufolge sind nur noch neun Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen bereit, ausländische Märkte zu betreten. Deutsche Mittelständler verschenken Wachstumspotenzial im Ausland. Die Commerzbank plant eine Offensive für den Mittelstand – das Kernsegment der Bank – um Gewinneinbußen der vergangenen Jahre zu kompensieren (mehr hier).

Jedes dritte international aktive mittelständische Unternehmen aus Bremen und Niedersachsen ist vertraglich an ausländische Partner gebunden, immerhin ein Anstieg von zwölf auf 34 Prozent seit 2007. Zwanzig Prozent unterhalten sogar einen eigenen Auslandsstandort. Viele Firmen schrecken jedoch vor Internationalisierung zurück. Die große Mehrheit der Befragten (89%) glaubt nicht an ein bald eintretendes Wirtschaftswachstum.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Du bist mir eine Marke! Der Erfolg von 130 Jahren Falke-Socken
14.03.2025

Franz-Peter Falke leitet das Familienunternehmen im Sauerland in vierter Generation. Zwischen Wahren der Tradition und Wappnen für die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Betriebsbedingte Kündigung: Was gilt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
14.03.2025

Die andauernde Wirtschaftskrise führt in Deutschland zu immer mehr Firmenpleiten und zunehmenden Stellenabbau bei Unternehmen. Damit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tesla: Trump-Zölle könnten dem E-Autobauer schaden
14.03.2025

Tesla-Chef Elon Musk gilt als Trump-Unterstützer – doch sein Unternehmen schlägt Alarm. Die Strafzölle der US-Regierung könnten nicht...

DWN
Politik
Politik 100 Milliarden für Klimaschutz: Einigung zwischen Union, SPD und Grünen
14.03.2025

Ein Milliarden-Paket für Verteidigung und Infrastruktur sorgt für politische Bewegung. Nach zähen Verhandlungen haben Union, SPD und...

DWN
Politik
Politik BSW: neues Wahlergebnis zählt 4.277 Zweitstimmen mehr - trotzdem kein Einzug in den Bundestag
14.03.2025

Das BSW scheitert final am Einzug in den Bundestag: 0,02 Prozent fehlten! Während sich an der Sitzverteilung nichts mehr ändert, treten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unser neues Magazin ist da: Gesund arbeiten und gesund leben? Die Balance auf der Kippe
14.03.2025

Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Digitalisierung, Globalisierung und die ständige...

DWN
Unternehmen
Unternehmen BMW-Aktie: Gewinn beim Hersteller BMW sackt ab - die ganz fetten Jahre sind vorbei
14.03.2025

Nach Jahren extremer Erträge geht es für die Autohersteller gerade abwärts. Doch selbst nach den aktuellen Einbrüchen verdienen...

DWN
Politik
Politik Grüne blockieren schwarz-rotes Finanzpaket – Streit um Europas Zukunft
14.03.2025

Die Grünen stellen sich gegen das Finanzpaket von Union und SPD. Fraktionschefin Katharina Dröge fordert, Verteidigungs- und...