Saab-Aktie: Kursgewinne zwischen Politik und Technik
Unter den sechs Jahren von Micael Johansson als CEO hat sich Saabs Börsenwert mehr als versechsfacht und der Umsatz fast verdoppelt. Gegenüber unseren schwedischen Kollegen von Dagens Industri berichtet er über die Umbruchjahre, in denen die Rüstungsindustrie von einer abgelehnten Branche zu einer heiß begehrten geworden ist.
Als Micael Johansson im Oktober 2019 CEO von Saab wurde, bestand die Idee laut darin, nach seinem Vorgänger Håkan Buskhe aufzuräumen, der während seiner neun Jahre an der Spitze viele verschiedene Projekte gestartet hatte. Buskhe war von außen gekommen, doch nun ging der Posten wieder an einen Veteranen des Unternehmens. Direkt nach seinem Studium als Diplomingenieur an der Universität Uppsala begann Micael Johansson seine Karriere im Bereich der Gripen-Aufklärungssysteme bei Ericsson Radio Systems, das 2006 von Saab übernommen wurde.
Eines seiner ersten Projekte war die Arbeit mit Signal- und Bildverarbeitung. „Es war nicht der Unternehmenszweck, der mich lockte, sondern die Technik. Es dauerte eine Weile, bis ich als junger Ingenieur verstand, dass ich an Dingen arbeitete, die im Verteidigungsbereich eingesetzt werden würden“, sagt Micael Johansson im Hauptsitz in Stockholm. 15 Jahre später leitete er das größte Geschäftssegment des Unternehmens, Surveillance, das Radarsysteme, Überwachung und Sicherheit umfasst. Im vergangenen Jahr machte es 35 Prozent von Saabs Umsatz in Höhe von ca. 6,06 Milliarden US-Dollar aus. 2016 wurde er stellvertretender CEO, drei Jahre später Vorstandsvorsitzender.
Wie der Ukraine-Krieg alles veränderte
Doch ein Aufräumen nach seinem dynamischen Vorgänger wurde es nie – die Realität schlug zu. Als die Pandemie langsam abgeklungen war, begann Russland im Februar 2022 die umfassende Invasion der Ukraine.
Der Krieg dauert seither mit voller Intensität an, und trotz der Versuche von US-Präsident Donald Trump, ein Friedensabkommen zu schließen, ist bis heute kein Kriegsende in Sicht. „Dies ist mein 40. Jahr bei Saab, wenn ich die Zeit bei Ericsson Radio Systems mitzähle, das von Saab übernommen wurde. Vor dem Krieg ging es darum, Kompetenz in verschiedenen Bereichen zu halten und trotzdem zu wachsen. Danach landeten wir in einer Situation, in der die Nachfrage von einem Tag auf den anderen dramatisch anstieg“, sagt Johansson über den Kriegsausbruch.
Die große Herausforderung für Saab war es, Bestellungen rechtzeitig zu liefern. „Man wollte alles sofort, und die Dinge sollten entweder für die eigene Verteidigungsfähigkeit genutzt oder an die Ukraine gespendet werden.“ Die Rüstungsindustrie, die lange als „nicht nachhaltig“ beschrieben worden war, wurde mit der Begründung neu bewertet, dass eine starke Verteidigung die Gefahr von Kriegen verringere. „Vor dem Krieg war die allgemeine Auffassung, dass unsere Branche nicht wirklich gesellschaftsfähig sei. Das hat sich geändert. Man hat verstanden, dass eine starke Rüstungsindustrie starke Verteidigungsfähigkeiten schafft und abschreckt – in Schweden und in anderen Ländern.“
„Sehr viel mehr Menschen wollen bei uns arbeiten. Wir sind von Platz 20 in der Rangliste der attraktivsten Arbeitgeber bei Ingenieuren jetzt auf Platz 1 aufgestiegen. Das ist fantastisch.“ Unter Johanssons Führung ist die Zahl der Beschäftigten um fast 50 Prozent gestiegen, von etwa 17.500 auf über 26.000. Im gleichen Zeitraum hat sich der Börsenwert mehr als versechsfacht – auf über 27,6 Milliarden US-Dollar.
Zu der Frage, was in diesen Jahren die größte Herausforderung war, sagt er: „Das Schwierigste war das Wachstum, die Kapazität zu schaffen, um unsere Verpflichtungen gegenüber den Kunden zu erfüllen – ohne dass sich die Lieferzeiten verlängern.“
Dagens Industri/DWN: Konkret – welches Gebiet war am meisten betroffen?
Micael Johansson: „Am meisten Probleme hatten wir beim Kapazitätsaufbau in den Bereichen hochentwickelter Waffensysteme: Carl-Gustaf, Unterstützungswaffen, Panzerabwehrwaffen, Raketen und auch die Sensorik im Bereich Surveillance. Dort ist die Nachfrage am stärksten gestiegen.“
Es ging dabei nicht nur um neue Produktionsstätten in Indien, den USA und Finnland, sondern auch darum, die gesamte Zulieferkette mitzuziehen. „Das absolut Herausforderndste ist, das gesamte Ökosystem von Unternehmen zum Wachsen zu bringen. Das ist harte Arbeit.“
„Außerdem passiert technologisch enorm viel. Wenn wir nicht mithalten, sind wir in zwei bis drei Jahren irrelevant. Das sieht man nicht zuletzt in der Ukraine. Wir müssen beides schaffen. Darum geht es hier im Kern.“
Dagens Industri/DWN: Wie gelingt das?
Micael Johansson: „Wir müssen offensiver sein und mehr Risiken eingehen als früher. Wir können nicht auf alle Verträge warten, bevor wir investieren. Wir müssen das Wachstumspotenzial in verschiedenen Märkten verstehen und Risiken vor den Aufträgen eingehen.“
Saab investiert in Forschung und Entwicklung neuer Technologien, insbesondere autonomer Systeme. Diese umfassen fliegende Drohnen, die mit oder ohne bemannte Plattformen arbeiten und mit Kampfjets wie dem Gripen kooperieren können. Sie sollen Missionen durchführen, Gebiete überwachen und mit Hilfe von Sensoren und Software sogar Waffeneinsätze vorschlagen.
„Drohnen sind ein Trend – in der Luft, auf dem Wasser und unter Wasser.“
Dagens Industri/DWN: Wann sollen diese autonomen Fahrzeuge auf den Markt kommen?
Micael Johansson: „In fünf Jahren, würde ich sagen.“
Dagens Industri/DWN: Wer sind die Konkurrenten?
Micael Johansson: „Die etablierten Rüstungskonzerne, aber auch neue Herausforderer in den USA wie Anduril und Helsing in Deutschland, mit denen wir zusammenarbeiten und die wir mitbesitzen. Das ist für uns ein Weg, schneller im Bereich KI voranzukommen.“ Saab hat bereits Drohnensysteme demonstriert, die sich selbst organisieren können. „Wir bauen nicht die Drohnen, sondern die Intelligenz im System.“
Milliardenaufträge verloren – wegen Politik
Worauf ist er am wenigsten stolz? Johansson bedauert, dass Saab nicht früh genug die Zulieferer unterstützt hat. „Wir hätten mehr tun können und schneller eingreifen sollen.“ Ein weiterer Schmerzpunkt: verlorene Großaufträge. „Wir haben viele gewonnen, aber nicht alle.“
An welchen Auftrag denkt er? „Wir hätten sehr gerne U-Boote an die Niederlande geliefert. Wir hatten ein hervorragendes Angebot, aber sie entschieden sich aus politischen Gründen für Frankreich. Das ist natürlich enttäuschend“, sagt er mit Blick auf das Geschäft über vier U-Boote im Wert von sechs Milliarden US-Dollar das im März 2024 an Naval Group ging. „Bei Kampfjets, U-Booten oder Global Eye entscheidet nicht nur eine Einkaufsorganisation. Politik spielt eine Rolle, genauso wie langfristige Beziehungen. Entscheidungen fallen oft auf Ebene von Verteidigungs- oder sogar Premierministern.“
Auch in Finnland verlor Saab – 2021 bestellte die Regierung rund 60 US-amerikanische F-35 im Wert von 10,5 Milliarden US-Dollar statt des Saab Gripen. „Gripen wäre keine schlechtere Option gewesen. Ich frage mich oft, was passiert wäre, wenn Schweden und Finnland damals schon NATO-Mitglieder gewesen wären. Natürlich tat das weh.“
Doch Johansson betont: „Man muss tief durchatmen und weitermachen. Man gewinnt nicht alle Aufträge.“ Saab pflegt dennoch gute Beziehungen, etwa durch eine Fabrik im finnischen Tampere für den Sensor Sirius Compact. Thailand bestellte kürzlich vier Gripen-Jets für 5,3 Milliarden US-Dollar. Auch Kanada und Peru zeigen Interesse. „Ich bin stärker in politische Großgeschäfte wie U-Boote, Gripen und Global Eye involviert – weil sie Verteidigungskooperationen betreffen.“
„Der Aktienkurs ist für mich nie eine Kennzahl.“
Johansson betont, dass er auf langfristige Beziehungen setzt, nicht nur auf Technik. Beispiele seien Kooperationen wie in Brasilien, wo Saab einen Hub für die Montage und Weiterentwicklung der Jets aufgebaut hat.
Saab-Aktie: Geld, Sicherheit und Geopolitik
Dagens Industri/DWN: Wie rechtfertigt man Geschäfte mit Ländern wie Brasilien oder Thailand?
Micael Johansson: „Wir halten uns strikt an das Exportkontrollgesetz und die schwedische Behörde für strategische Produkte. Alles außerhalb Schwedens wird geprüft. Ich übernehme die Verantwortung für Compliance.“
Als Donald Trump im August 2024 in Alaska mit Putin zusammentraf, fiel die Saab-Aktie – Friedenshoffnungen gelten als schlecht für den Kurs. Johansson: „Ich achte nicht auf den Kurs. Für mich zählt, das Richtige für das Unternehmen zu tun.“ Er selbst hält Saab-Aktien im Wert von 160 Millionen US-Dollar. Diese habe er im Rahmen eines Sparprogramms erworben. „Das ist sehr viel Geld, aber ich denke wenig darüber nach.“ Sein Jahreseinkommen lag 2024 bei 2,62 Millionen US-Dollar. „Ich verzichte auf vieles, arbeite extrem viel, habe Verantwortung für viele Menschen. Aber über mein Gehalt habe ich nie diskutiert.“
Im Januar wurde bekannt, dass es einen russischen Plan gab, Armin Papperger, den CEO des deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall, und andere Rüstungschefs in Europa zu ermorden. Johansson wählt seine Worte sorgfältig, auf diese Frage. „Natürlich ernst. Es ist sehr beunruhigend. Es ist sehr traurig, dass man Sicherheit gewährleisten muss. Sicherheit ist für uns extrem wichtig.“
Dagens Industri/DWN: Wie stellen Sie und Ihr Führungsteam sicher, dass Sie geschützt sind?
Micael Johansson: „Wir machen diese Analysen ständig, aber ich kann nicht darauf eingehen, wie wir es tun. Aber wir tun es.“
Wir lassen die Fragen zu Vergütung und Sicherheit hinter uns und kehren zur Geopolitik zurück. Johansson rechnet nicht mit einem baldigen Friedensabkommen. „Es scheint keine Bereitschaft von russischer Seite zu geben, das schnell zu beenden, es sei denn zu unzumutbaren Bedingungen. Hoffentlich wird es irgendwann einen nachhaltigen Frieden zwischen der Ukraine und Russland geben.“ Ein Frieden oder Waffenstillstand werde den Bedarf an Verteidigungsfähigkeit langfristig nicht senken, betont Johansson. „Alle NATO-Staaten haben gesagt, dass wir auf 3,5 Prozent hochgehen, und auf 5 Prozent, wenn man die verteidigungsbezogenen Infrastrukturinvestitionen mitzählt. Das wird weitergehen.“ Außerdem werde die Ukraine künftig eine starke Verteidigung brauchen, und Russland werde ein unberechenbarer Nachbar bleiben.
Dagens Industri/DWN: Wie sehen Sie die USA und amerikanische Partner, da das Land seit Donald Trumps Wiederwahl unvorhersehbarer geworden ist?
Micael Johansson: „Ich bin ein starker Befürworter davon, dass Europa mehr selbst tun muss – egal, welche US-Regierung gerade im Amt ist. Für unsere eigene Sicherheit dürfen wir dieses Abhängigkeitsverhältnis von den USA nicht haben.“
Im Juni übernahm Johansson den Vorsitz der europäischen Organisation für Luftfahrt-, Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (ASD). „Aber das soll nicht bedeuten, dass wir uns von den USA abkoppeln. Wir müssen weiter eine funktionierende transatlantische Verbindung haben.“ Doch wann wird das Triebwerk des Gripen schwedisch? Es ist heute amerikanisch.
„Es kann natürlich weiterhin amerikanisch sein. Ich spreche nicht von diesem Niveau. Es ist wichtig, eine gute industrielle Beziehung zu den USA zu haben.“
Dagens Industri/DWN: Es wird viel über die Notwendigkeit gesprochen, die europäische Rüstungsindustrie zu konsolidieren, um Skaleneffekte zu erreichen. Könnte Saab übernommen werden?
Micael Johansson: „Darüber will ich nicht spekulieren. Wir sind ein privates Unternehmen mit einem starken Eigentümer. Ich glaube, Schweden hätte dazu ziemlich starke Meinungen.“
Dagens Industri/DWN: Aber gab es Anfragen?
Micael Johansson: „Es gibt Interesse an Saab – aber nicht am gesamten Unternehmen.“
Dagens Industri/DWN: Doch wie soll man konsolidieren, wenn jedes Land seine eigenen Verteidigungsunternehmen haben will?
Micael Johansson: „Die Konsolidierung wird dadurch angetrieben, dass Länder sagen, sie wollen ungefähr dasselbe. Man klärt die Anforderungslage und beschließt, gemeinsam zu arbeiten. Dann wird auch die Industrie zusammenarbeiten. Das kann zu Joint Ventures und im Laufe der Zeit zu einer Konsolidierung und zu gemeinsamem Eigentum führen.“
Saab-Aktie: Milliardenaufträge verloren und trotzdem ein Rüstungsboom
Für Deutschland ist die Entwicklung der Saab-Aktie ein Signal: Der Rüstungssektor erlebt europaweit eine massive Aufwertung. Rheinmetall und andere deutsche Konzerne stehen in direkter Konkurrenz oder Kooperation. Verpasste Milliardenaufträge zeigen, wie sehr Politik Märkte bestimmt. Für deutsche Anleger ist die Saab-Aktie daher ein Gradmesser für geopolitische Dynamik.
Micael Johansson hat Saab von einem unterschätzten Rüstungskonzern zu einem globalen Schwergewicht gemacht. Die Saab-Aktie spiegelt diese Entwicklung wider: Wachstum, geopolitische Chancen – aber auch Rückschläge durch Politik. Autonome Systeme und Drohnentechnologien sollen das nächste Kapitel einleiten. Für Europa und Deutschland bleibt Saab ein zentraler Akteur in der Verteidigungsindustrie.

