Der Chef des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine, Wolfgang Eder, sieht Hundertausende Jobs in der europäischen Stahlindustrie bedroht. Die steigenden Energiekosten und mangelnde Investitionen führen dazu, dass Europa seine Weltmarktführerschaft verliere. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssten europäische Konzerne deshalb in Erwägung ziehen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern.
Europas Stahlindustrie kommt auch sechs Jahre nach der Lehman-Pleite nicht aus der Krise. Europäische Stahlproduzenten können aus Kostengründen nicht mehr mit der Konkurrenz aus der Türkei, China, Korea und Russland mithalten. Diese produzieren bis zu 25 Prozent billiger und können es sich deshalb leisten, hohe Transportkosten in Kauf zu nehmen.
Die jährliche Produktion der EU von rund 170 Millionen Tonnen wird mittelfristig weiter fallen. Schon jetzt produziert die europäische Stahlindustrie Überkapazitäten von rund 50 Millionen Tonnen pro Jahr. Der Voestalpine-Chef schätzt, dass die EU im Jahr 2030 insgesamt nur noch 60 Millionen Tonnen produzieren werde. Die Effekte auf den Arbeitsmarkt könnten verheerend sein: An Europas Stahlindustrie hängen rund 360.000 Arbeitsplätze. Etwa 180.000 Jobs könnten in den nächsten Jahren wegfallen oder ins Ausland verlagert werden, schätzt Eder.
Voestalpine will seinen Gewinn dennoch im laufenden Geschäftsjahr um 50 bis 80 Millionen Euro steigern. Das wäre eine leichte Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr: Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) würde im laufenden Geschäftsjahr 2014/2015 (bis Ende März) etwa 1,45 bis 1,5 Milliarden Euro erreichen und das Betriebsergebnis (Ebit) rund 850 Millionen Euro. „Das ist die Größenordnung“, sagte Firmenchef Wolfgang Eder am Donnerstag in Berlin.
Das Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem Spezialanbieter entwickelt, der Stahl nicht mehr nur als Massenware, sondern weiterverarbeitet zu Autokarosserieteilen, Pipelinerohren oder Schienen. Derzeit profitiert Voestalpine von einer stärkeren Nachfrage im europäischen Automobilgeschäft. Der Aufschwung ziehe sich hier quer durch alle Klassen - vom Kleinwagen bis zum Luxusauto. Von einem Boom sei Europa jedoch noch weit entfernt, so Firmenchef Eder. Doch auch im oberen Qualitätssegment bekomme der Konzern den Preisdruck in Europa zu spüren.
Langfristig wird der Konzern deshalb vermehrt in Nordamerika und Asien investieren. In Texas baut der Konzern zurzeit ein neues Werk und will so vom dortigen Schiefergas-Boom profitieren. Auch die Personalkosten seien in den USA um bis zu 30 Prozent niedriger. Und schließlich seien Grundstücke dort deutlich günstiger als in Europa, so Eder.
„Im Moment sehen wir nur Nordamerika als langfristig kalkulierbaren Standort“, sagte Voestalpine-CEO Wolfgang Eder. Die Verlagerung der Werke ins Ausland sei die direkte Folge der steigenden Energiekosten in Europa sowie der sich permanent ändernden Umwelt- und Klimapolitik der EU.
Innerhalb der nächsten sechs Monate könnte die Voestalpine zudem eine Entscheidung über ein weiteres Edelstahlwerk in China fällen, sagte Eder. Das wäre dann das fünfte innerhalb des Konzernverbundes. Dem Firmenchef zufolge will die Voestalpine ihren Umsatz bis 2020 auf zwei Milliarden Euro nach aktuell 750 Millionen Euro steigern. In den USA peilt der Konzern ein Plus in gleichem Ausmaße auf rund drei Milliarden Euro im Jahr 2020 nach derzeit gut eine Milliarde Euro an.