Mit Stichtag 1. Juli werden Kranke zusätzlich zur Kasse gebeten. Durch weitere Zuzahlungen auf bestimmte verordnete Medikamente sparen die Krankenkassen am Ende mehrere hundert Millionen Euro. Ein Branchenverband sieht die Versorgungssicherheit mit zuzahlungsfreien Präparaten bei einigen Wirkstoffen bereits nicht mehr gegeben.
Der aktuellen Entwicklung zugrunde liegt die Preispolitik des Spitzenverbandes der Kassen. Der bestimmt für vergleichbare Medikamente einen Festbetrag, den er maximal an die Apotheken bezahlt. Einmal pro Jahr wird dieser mit Blick auf die Marktentwicklung angepasst. Der Preisdruck auf die Hersteller wächst. An diesem Dienstag ist es nun erneut soweit: Die Erstattungshöchstbeträge für tausende Medikamente werden zwar gesenkt, die pharmazeutischen Hersteller reduzieren ihre Preise aber nicht im selben Maß.
„Bisher können Patienten, die ein besonders preiswertes generisches Arzneimittel wählen, von der Zuzahlung befreit werden“, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Der Haken an der Sache ist: Um die Zuzahlung zu sparen, muss der Preis des Arzneimittels 30 Prozent unter dem Betrag liegen, den die Kassen erstatten.“ Der permanente Dreh an der Preisschraube wirkt sich daher direkt aus: Die Auswahl der infrage kommenden Medikamente schrumpft immer weiter.
Für die Kassen ist das ein einträgliches Geschäft. Sie sparen gleich mehrmals Geld. Allein das Senken der Festbeträge bringe ihnen 680 Millionen Euro im Jahr. Der steigende Wettbewerbsdruck an der 30-Prozent-Grenze führe zu weiteren Einsparungen. Die Zuzahlungen der Kunden auf jene Präparate, die den Abstand nicht mehr einhalten, kämen obendrauf, so das Blatt.
Der Vorstand des paritätischen Wohlstandsverbandes und Professor für Gesundheitspolitik an der Charité, Rolf Rosenbrock, hält die Maßnahmen für unsinnig. Rosenbrock sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Zuzahlung führen erwiesenermaßen nur dazu, dass gerade ärmere Bevölkerungsschichten notwendige Medikamente einfach nicht mehr einnehmen. Ältere Menschen sind dadurch doppelt betroffen, weil sie oft mehrere schwere Erkrankungen gleichzeitig haben. So eine Regelung wirkt sich daher nicht nur vage auf das Wohlbefinden, sondern direkt auf die grundlegende Gesundheit dieser Menschen aus.“
Auch aus ökonomischer Sicht seien Zuzahlungen laut Rosenbrock Unsinn, weil so aus medikamentös behandelbaren Fällen stationäre Behandlungen im Krankenhaus werden. „Was die Kasse kurzfristig durch die Zuzahlungen einspart, zahlt sie langsfristig drauf weil die Krankheiten sich verschlimmern und damit die Behandlungskosten steigen.“
Neue, abgesenkte Festbeträge treten nun für 13 Wirkstoffgruppen in Kraft. Nach Auskunft von Pro Generika handle es sich dabei zum Beispiel um Arzneimittel zur Behandlung von Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und Magengeschwüren. Darunter befänden sich bekannte Wirkstoffe wie Omeprazol, Metroprolol und Candesartan. Die Einschnitte sind gravierend: Zum Teil würde der GKV-Spitzenverband die Festbeträge um bis zu 70 Prozent absenken.
Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) hätten die Patientenzuzahlungen schon für das Jahr 2013 zwei Milliarden Euro betragen. Das sei ein neuer Höchststand zugunsten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gewesen. Nach Einschätzung der Abda kommt es jetzt unweigerlich zu einer neuen Spitze:
„Nach Berechnungen des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) sinkt die Zahl der zuzahlungsbefreiten Medikamente um mehr als ein Drittel von 4.800 auf 3.000 gegenüber dem Vormonat. Von rund 33.000 Arzneimitteln, die einem Festbetrag unterliegen, sinkt die Zuzahlungsbefreiungsquote demnach von fast 15 auf unter 10 Prozent.“
Nicht zu verwechseln mit den gesetzlichen Zuzahlungen seien Aufzahlungen oder Mehrkosten: „Sie müssen vom Patienten zusätzlich entrichtet werden, wenn der Arzneimittelpreis über dem Festbetrag liegt.“
„Was bei der Zahnbehandlung längst Alltag ist, droht den Patienten nun offenbar auch bei Arzneimitteln: Die Kassen fahren ihre Erstattung immer weiter zurück, wodurch es zu Zuzahlungen in der Apotheke kommt“, zitiert die FAZ Pro Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer. Der warnt: Eine hinreichende Versorgung mit zuzahlungsbefreiten Arzneimitteln sei bei einigen Wirkstoffgruppen nicht mehr möglich.
Das Bundesverfassungsgericht entschied erst in diesem Mai, dass Apotheker ihren Patienten zu einem verschriebenen Medikament eine preisgünstige Alternative anbieten müssen. Andernfalls können die gesetzlichen Krankenkassen den Apothekern die Vergütung streichen (mehr hier). Zudem bleiben Rabattangebote von ausländischen Versandapotheken für rezeptpflichtige Arzneien in Deutschland verboten (mehr hier).