Politik

Provokation: Russland will in der Ost-Ukraine Fakten schaffen

Der russische Präsident Wladimir Putin wird eine Niederlage der Separatisten in der Ostukraine nicht hinnehmen. Russland ist schon längst bereit für einen Einmarsch und versucht, mit Nadelstichen die Kontrolle über die Ost-Ukraine zu erlangen. Der Vorstoß von Militär-Transportern in der Nacht zu Freitag kann in diesem Zusammenhang als Provokation gesehen werden. Die Entwicklung spitzt sich gefährlich zu und könnte in einem Krieg zwischen der Nato und Russland enden.
15.08.2014 05:00
Lesezeit: 4 min

Die Lage in der Ukraine spitzt sich immer weiter zu. Russland hat eine umfassende Drohkulisse aufgebaut. Sowohl an den Grenzen der Ukraine sind Land-, See- und Luftstreitkräfte unter dem Vorwand von Manövern konzentriert worden. Am Donnerstagabend haben 23 Militärtransporter die Grenze zur Ukraine überschritten. Auch wenn dieser Vorstoß noch nicht der Charakter einer vollen Invasion trägt, so zeigt er doch, dass Putins maßvolle Worte auf der Krim nur Teil einer breiteren Strategie sind (mehr dazu hier).

Gleichzeitig erweitert Russland seine Drohkulisse gegen über den Nato-Staaten, um diese gegebenenfalls von einem Eingreifen in der Ukraine abzuschrecken. Hierbei wird an den Außengrenzen der Nato in der Nord- und Ostsee sowie sogar an der amerikanischen Küste mit der russischen Luftwaffe die Möglichkeit von Überraschungsangriffen angedeutet. Ziel kann es hierbei sein, die Nato, in der die Ukraine ja kein Mitglied ist, von einem massiven Eingreifen zugunsten der jetzigen Regierung in Kiew abzuhalten.

Barack Obama und die Nato-Partner werden sich also entscheiden müssen, wie sie sich im Falle eines direkten militärischen Angriffs Russland auf die Ukraine sich entscheiden. Die USA haben bereits einen ganzen Flottenverband ins Schwarz Meer verlegt. Gleichzeitig wurden Abfangjäger im Baltikum und in Polen stationiert. Man fordert zusätzlich auch Bodentruppen der Nato in diese Länder zu verlegen.

Es werden auch Munitionslager in größerem Umfang an der polnisch-ukrainischen Grenze seitens der Nato rasch aufgebaut. Die Verteidigungspläne der Nato werden der sich rasch verändernden Lage in der Ukraine angepasst. Bereits seit März 2014 sind AWACS-Aufklärungsflugzeuge der Nato an den Nato-Außengrenzen zur Ukraine im Einsatz. Es verwundert daher nicht, dass insbesondere die Nato-Anrainerstaaten zu Russland und der Ukraine in Alarmbereitschaft versetzt sind.

Offenbar findet auch eine intensive Abstimmung zwischen der Nato und der ukrainischen Regierung in Kiew statt. Eine militärische Intervention Russlands wird nicht mehr ausgeschlossen.

Legt man die geographische Lage von Novarossiya zugrunde, dann könnte es das Ziel Russlands sein, die Ukraine soweit zu spalten, dass neben weiteren Teilen in der Ostukraine der gesamte Süden durch russische Truppen im Zuge eines raschen Militärschlags erobert wird (siehe Abbildung 1). Dann käme auch die 14. Gardearmee aus Transnistrien an der Westgrenze zur Ukraine ins Spiel.

Man könnte vermuten, dass die russische Armee versucht sowohl von Westen aus Transnistrien heraus nach Osten, von der Krim heraus nach Norden und vom Osten her nach Westen aus der russischen Grenze heraus mit drei Angriffskeilen das Gebiet militärisch unter Kontrolle zu bringen. Dabei würde dann voraussichtlich die ukrainische Armee in entsprechende Teile gespalten. Diese ist derzeit darauf fokussiert, in der Ostukraine die letzten Widerstandsnester der Separatisten zu erobern. Mithin läuft Putin hier derzeit die Zeit davon, wenn er deren völlige Niederlage nicht hinnehmen will.

Jedenfalls rechnet Poroschenko fest mit der baldigen Einnahme der letzten Widerstandsnester der Separatisten. Dies wird jedoch nur dann der Fall sein, wenn Russland nicht plötzlich offen militärisch eingreift. Der verdeckte Krieg, der bisher seitens Putin in der Ukraine geführt wurde, ist nicht erfolgreich gewesen. Mithin wären jetzt nur zwei Optionen denkbar.

Putin akzeptiert die Niederlage der Separatisten und verzichtet auf die direkte militärische Intervention oder er greift ein, bevor deren endgültige Niederlage besiegelt ist. Letzteres scheint jedoch eher den Überlegungen der russischen Militärs zu entsprechen. Wie real auch der Westen mit einer solchen kriegerischen Auseinandersetzung derzeit rechnet, zeigt auch die Erklärung der ehemaligen Verteidigungsminister und Sicherheitsexperten der Nato-Staaten, die vor einem solchen Schritt warnen.

Gründe fänden sich aus Sicht Russlands genug. Die massenhafte Flucht russischstämmiger Ukrainer insbesondere aus den belagerten Städten Donezk und Lugansk nach Russland wäre ein solches Motiv. Da bereits mehr als 700.000 Flüchtlinge über die russische Grenze geflüchtet sind, eine humanitäre Katastrophe bei den zurückgebliebenen aufgrund des Zusammenbruchs der Versorgung droht, würde man aus russischer Sicht nur Gesetz und Ordnung dort wieder herstellen. Die Schuld läge dann eben bei den „ukrainischen Faschisten in Kiew“.

Gelänge es Russland große Teile der Ukraine zu besetzen und dort analog per Volksentscheid auf der Krim den Anschluss an Russland beschließen zu lassen, hätte man sein Kriegsziel erreicht und könnte an den Verhandlungstisch zurückkehren. Allerdings bleibt eben das Risiko, dass die Nato ein solches Ergebnis nicht hinnehmen würde, d.h. es würde seitens der Nato die Eskalation drohen, wenn die Ukraine den Westen um militärischen Beistand bittet. Das wäre dann ein direkter Krieg zwischen Russland und der Nato.

Die OSZE-Beobachter dürften letztendlich zu Zuschauern verdammt sein, die froh sein können, wenn sie lebend wieder herauskämen. Ansonsten wären sie Geiseln, wie zuletzt schon. Man würde daher ein Faustpfand gegenüber dem Westen in der Hand halten.

Ob die bisherige Strategie der Nato-Staaten - nur auf Wirtschaftssanktionen zu vertrauen - noch Bestand haben wird, darf bezweifelt werden. Zwar würden die Wirtschaftssanktionen bis hin zu einer kompletten Blockade jedweder Wirtschaftsbeziehung mit Russland vermutlich ausgeweitet werden, aber es ist kaum davon auszugehen, dass dies ausreichen würde Russland zum Einlenken zu bewegen.

Die jetzt von Russland im Gegenzug zu den Sanktionen des Westens verkündeten Sanktionen insbesondere bei der Einfuhr von Lebensmitteln deutet eher darauf hin, dass man gleichsam im Vorhinein solchen Sanktionen des Westens die Spitze abbrechen will. Man schaltet bereits jetzt auf Lebensmittelautarkie vom Westen um. Gleichzeitig will man auch die Autarkie im Bereich der technischen Güter vom Westen erlangen.

Im Wirtschaftskrieg mit dem Westen ist ja bisher das größte Pfund, mit dem Putin wuchern kann, die starke Abhängigkeit des Westens von Öl- und Gaslieferungen aus Russland. Um diesen Trumpf voll ausspielen zu können, muss Russland jedoch von strategischen Warenlieferungen aus dem Westen unabhängig sein. Putin hofft vermutlich darauf, dass er damit den entscheidenden Joker in der Hand hält, um nach erfolgreichem Blitzkrieg in der Ukraine seine Wunschvorstellungen dem Westen aufzwingen zu können. Man wird sehen inwieweit dieses Kalkül am Ende aufgeht.

Putin hat jedenfalls in den letzten Monaten alles getan, um die eigene Bevölkerung soweit aufzuputschen, dass sie ihm zunächst bedingungslos folgen wird. Man wird erst im Verlauf der Ereignisse erkennen können, ob sich der Westen entsprechend ebenfalls vorbereitet hat, um dem auch einen ausreichenden Widerstand entgegensetzen zu können.

Derzeit verhält man sich offiziell noch vergleichsweise zurückhaltend und versucht weiterhin Russland vor solchen Aktionen an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Die Chancen dürften jedoch gering sein. Es wäre jedenfalls eine große Überraschung, wenn es ohne eine solchen kriegerischen Vorstoß Russlands in die Ukraine zu einer tragfähigen Verhandlungslösung käme. Aber bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Trump dreht den Geldhahn zu: Kiew kämpft ohne Washington
02.07.2025

Donald Trump kappt Waffenhilfe für die Ukraine, Europa zögert, Moskau rückt vor. Doch Kiew sucht nach eigenen Wegen – und die Rechnung...

DWN
Panorama
Panorama Köln schafft den Begriff "Spielplatz" ab
02.07.2025

Köln verabschiedet sich vom traditionellen Begriff "Spielplatz" und ersetzt ihn durch "Spiel- und Aktionsfläche". Mit neuen Schildern und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Tusk zieht die Grenze dicht – Spediteure schlagen Alarm
02.07.2025

Grenzkontrollen sollen Sicherheit bringen – doch für Spediteure und Industrie drohen Staus, teurere Transporte und Milliardenverluste....

DWN
Panorama
Panorama EU-Klimapolitik: Soviel Spielraum lässt das 90-Prozent-Ziel
02.07.2025

Die EU-Kommission hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis 2040 sollen die Emissionen massiv sinken, ein großer Schritt Richtung...

DWN
Technologie
Technologie DeepSeek zerstört Milliardenwerte: China-KI soll aus Europa verschwinden
02.07.2025

Ein chinesisches Start-up bringt Nvidia ins Wanken, Milliarden verschwinden in Stunden. Doch für Europa ist das erst der Anfang: Die...

DWN
Politik
Politik Gasförderung Borkum: Kabinett billigt Abkommen mit den Niederlanden
02.07.2025

Die Bundesregierung will mehr Gas vor Borkum fördern und stößt damit auf heftigen Widerstand von Umweltschützern. Das Vorhaben soll...

DWN
Immobilien
Immobilien Klimaanlage einbauen: Was Sie vor dem Kauf wissen müssen
02.07.2025

Die Sommer werden heißer – und die Nachfrage nach Klimaanlagen steigt. Doch der Einbau ist komplizierter, als viele denken. Wer nicht in...

DWN
Technologie
Technologie Balkonkraftwerke: 220.000 neue Anlagen binnen sechs Monaten
02.07.2025

Mehr als 220.000 neue Balkonkraftwerke sind in Deutschland binnen sechs Monaten ans Netz gegangen. Während Niedersachsen glänzt, fallen...