Politik

Das Scheitern des Euro wäre für viele Staaten kein Unglück

Politisch wäre das Ende des Euro ein Gewinn für die europäische Integration. Denn der Streit um den Euro vergiftet immer mehr die Zusammenarbeit in der EU. Auch führen die verzweifelten deutschen Versuche, zur Rettung des Euro die politische Integration zu intensivieren, zu neuen Gräben. Ein Ausscheiden aus der EU wäre wahrscheinlich. Zudem käme es zu einem starken Bedeutungsverlust Brüssels gegenüber den USA, Russland und China.
05.10.2014 01:14
Lesezeit: 4 min

Angesichts der düsteren Lage und der Zweifel am vorgespielten Optimismus der Bundesregierung fragen sich immer mehr Menschen, was eigentlich passieren würde, wenn dem Euro das Sterbeglöckchen läutet. Wäre das, wie von der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin immer wieder beschworen, auch der Untergang der Europäischen Union und die Gefahr eines Endes des westeuropäischen Friedens, zumindest aber der Untergang der deutschen Wirtschaft? Eine ehrliche Antwort auf diese Frage kann nur auf Mutmaßungen beruhen und die hängen entscheidend von den Umständen ab, unter denen der Euro zerbräche.

Am Wahrscheinlichsten ist eine relativ plötzliche und dementsprechend wenig geordnete und unzureichend vorbereitete Entwicklung. In einem der großen Euroländer, vor allem in Italien oder Frankreich, käme unter dem Druck viele Jahre andauernder Arbeitslosigkeit und ganzer verlorener nachwachsender Generationen eine Partei an die Macht, die sich den Ausstieg aus dem Euro auf die Fahnen geschrieben hätte, wie derzeit in Frankreich der Front National (FN), der für die erste Runde der nächsten Präsidentschaftswahlen in den Umfragen derzeit vorne liegt. Es könnte auch sein, dass eine der großen Parteien in diesen Ländern ihre Richtung ändern und den Ausstieg Deutschlands aus dem Euro fordern würde, um dann mit einer erheblich abwertenden Resteurozone („Euro-Süd“) weitermachen und die Wirtschaften in den Krisenländer neu beleben zu können.

So versucht derzeit in Frankreich Sarkozy, mit Forderungen, wie dem Austritt Frankreichs aus dem Schengen-Abkommen eines freien Grenzverkehrs, seine Präsidentschaftschancen neu zu beleben und dabei dem FN den Wind aus den Segeln zu nehmen. Würde er notfalls weitergehen und Deutschland aus dem Euro drängen wollen? Auch die totale Aufkündigung jeder vereinbarter Haushaltsdisziplin in der Erwartung einer Defizitfinanzierung durch die EZB, wie sie derzeit vom italienischen Regierungschef Renzi betrieben wird, schert sich wenig um den Verbleib Deutschlands im Euro und könnte Deutschland unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichts oder der AfD veranlassen, der EZB bei Italien die Rote Karte zu zeigen und so von seiner Seite den Abschied aus dem Euro einzuleiten.

Die Konsequenz solcher konkreter, aber unvorbereiteter Ausstiegsszenarien, wie sie am Wahrscheinlichsten sind, wäre eine unmittelbare das Ende des Euros antizipierende Reaktion der Finanzmärkte, gegen die die EZB machtlos wäre. Die Märkte würden den Euro in Erwartung eines bevorstehenden Auseinanderbrechens erheblich abwerten. Starke Finanzströme aus dem Rest der Eurozone würden sich auf die Flucht nach Deutschland machen in der Annahme, dass eine neue DM oder ein neuer Euro-Nord gegenüber der verbliebenen Eurozone stark aufgewertet wäre. Die Bundesregierung müsste dann sofort den deutschen Banken auferlegen, Zuflüsse ab einem zurückliegenden Datum nur unter Anlegung eines nicht aufgewerteten DM-Kurses zurückzugeben, um so die anderenfalls für Deutschland zu befürchtenden enormen Finanzverluste zu vermeiden.

In der längerfristigen Analyse wären die politischen von den wirtschaftlichen Folgen zu unterscheiden. Politisch wäre das Ende des Euro wahrscheinlich eher ein Gewinn für die europäische Integration. Denn der Streit um den Euro vergiftet immer mehr die Zusammenarbeit in der EU. Auch führen die verzweifelten deutschen Versuche, zur Rettung des Euro die politische Integration zu intensivieren, zu neuen Gräben und wahrscheinlich zum Ausscheiden Großbritanniens aus der EU und damit zu einem starken Bedeutungsverlust der EU gegenüber den USA, Russland und China.

Die eigentlichen Schwierigkeiten sind dagegen auf der wirtschaftlichen Seite zu erwarten. Die deutsche Exportwirtschaft würde durch den Aufwertungseffekt einen Teil ihrer Märkte verlieren. Allerdings würde der damit verbundene Verlust der deutschen Bilanzüberschüsse den Aufwertungseffekt auch wieder dämpfen und nach einiger Zeit ein neues Gleichgewicht bringen. Sollten andere „Nord-Länder“, wie Finnland und die Niederlande, in einem „Nord-Euro“ mitziehen und sich sogar Schweden und das stark von Deutschland abhängige Dänemark anschließen, so würde auch das den Aufwertungseffekt dämpfen. Ein Vorteil der Aufwertung wäre die sofortige Verbilligung aller Importe, was der deutschen Binnenkonjunktur gut täte und auch der deutschen Exportindustrie eine günstigere Rohstoff- und Energieversorgung und billigere Zulieferungen brächte, die einen Teil der Aufwertung kompensierten.

Die deutsche Industrie würde bei besserer Binnenkonjunktur wieder wie vor Euro-Einführung mehr zu Hause investieren können und damit Ersatzarbeitsplätze schaffen, nachdem sich über die letzten Jahre ein großer Mangel an Investitionen ergeben hat (Abb. 17045). Die deutschen Ersparnisse wurden zu niedrigen Erträgen und oft mit Verlusten ans Ausland abgegeben. Während Deutschland anfangs der 90er-Jahre noch 23 % seiner Wirtschaftsleistung zu Hause investierte, sind es jetzt nur noch 17 % und damit weniger als fast alle vergleichbaren Länder (Abb. 18503). Mangelnde Investitionen haben zu weniger Produktivitätszuwachs und einem für viele Industrien geringeren und oft veralteten Anlagenbestand als noch im Jahr 2000 geführt. Deutschland hat daher in dieser Hinsicht auf Kosten seiner Zukunft gelebt.

Die Rest-Eurozone hätte auf der Basis einer erheblichen Abwertung erstmals wieder echte Aussichten auf eine Erholung. Die Auslandsschulden würden zwar umgekehrt in der neuen Währung ausgedrückt erheblich an Wert gewinnen, jedoch würde es dann - soweit nötig - den wenn auch mühsamen Weg einer Umschuldung geben (auch zu Lasten deutscher Forderungen); sollte nur Deutschland aussteigen und ansonsten der Euro erhalten bleiben, so würden bei in Euro ausgedrückten Schulden für die Rest-Eurozone keine Veränderung eintreten und nur die Gläubiger unter der Abwertung zu leiden haben. Für Deutschland hätte das wirtschaftliche Genesen seiner europäischen Nachbarn längerfristig erhebliche Vorteile und würde einen Teil seiner hier schon verlorenen Exportmärkte zurückbringen.

Schließlich würde die EZB ihre für uns wenig vorteilhafte Hoheit über die deutschen Sparer und Steuerzahler wieder verlieren. Die Bundesbank würde wieder allein im deutschen Interesse handeln (oder im gemeinsamen eines neuen „Euro-Nord“).

Die mit einer derart dramatischen Entwicklung verbundene Umstellung würde allerdings erheblich Zeit brauchen und zwischendurch für Deutschland eine schwierige Durststrecke mit mehr Arbeitslosigkeit und negativem Lohndruck entstehen lassen. Das ließe dann die Frage aufkommen, ob ein Ende mit Schrecken auch in diesem Fall besser als ein Schrecken ohne Ende wäre. Sicher scheint nur zu sein, dass die deutsche Politik ein solches Ende so lange wie möglich verzögern und damit die Rechnung für Deutschland weiter hochtreiben wird.

Lesen Sie im ersten Teil, warum die prekäre Entwicklung in Frankreich und Italien die Eurozone immer tiefer in die Krise treibt.

Lesen Sie im zweiten Teil, weshalb die Euro-Zone ohne eine dringend notwendige Lohnkosten-Angleichung nicht überleben wird.

Lesen Sie im dritten Teil, wie die EBZ weiterhin ihre rechtlichen Möglichkeiten überschreitet und die deutschen Sparer zunehmend schädigt.

*****

Joachim Jahnke, geboren 1939, promovierte in Rechts- und Staatswissenschaften mit Anschluss-Studium an französischer Verwaltungshochschule (ENA), Mitarbeit im Kabinett Vizepräsident EU-Kommission, Bundeswirtschaftsministerium zuletzt als Ministerialdirigent und Stellvertretender Leiter der Außenwirtschaftsabteilung. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt bis Ende 2002 als Mitglied des Vorstands und Stellvertretender Präsident. Seit 2005 Herausgeber des „Infoportals“ mit kritischen Analysen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung (globalisierungskritisch). Autor von 10 Büchern zu diesem Thema, davon zuletzt „Euro – Die unmöglich Währung“, „Ich sage nur China ..“ und „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft“. Seine gesellschaftskritischen Analysen beruhen auf fundierter und langjähriger Insider-Erfahrung.

 

 

 

Sein Buch über das Ende der sozialen Marktwirtschaft (275 Seiten mit 176 grafischen Darstellungen) kann unter der ISBN 9783735715401 überall im Buch- und Versandhandel für 15,50 Euro bestellt werden, bei Amazon hier.

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