Politik

Historisches Fiasko: Die Euro-Zone zerlegt sich selbst

Nach dem Chaos-Samstag bei den Euro-Finanzministern weiß niemand, wie es weitergeht. Die Euro-Zone präsentiert sich als Truppe von Dilettanten, die die Nerven verlieren und nicht verhandeln können – kleine Diktatoren, die zu zittern beginnen, wenn die Kofferträger den Raum verlassen. Man möchte von diesen Leuten nicht regiert werden.
28.06.2015 03:00
Lesezeit: 2 min

Die Euro-Zone zerlegt sich nach dem chaotischen Samstag selbst. Daran kann im Grund auch ein Machtwort Angela Merkels nichts mehr ändern: Der Schaden ist nicht wieder gutzumachen. Die Truppe, die sich in Brüssel traf, ist in einer erschreckenden Weise zugleich uneinsichtig und ahnungslos. Sie glauben ihre eigene Propaganda, sind restlos überfordert und kompensieren diesen Zustand mit einer gehörigen Portion Überheblichkeit. Doch das Pfeifen im Walde wird von den Wählern als das erkannt, was es ist: ein Zeichen der Schwäche.

Die zentralen Fehler:

Kein einziger Finanzminister hat auch nur den Funken einer Ahnung, wie es weitergeht. Die Euro-Gruppe ist kein Organ der EU. Es ist grotesk, dass Angela Merkel und die anderen Regierungschefs sich vor der Verantwortung drücken und die Euro-Gruppe vorschieben. Kanonenfutter nannte man das früher – und so zerzaust sahen die Minister am Samstag auch aus.

Die Finanzminister sind emotional geworden – da ist verheerend, weil man in Verhandlungen niemals die Nerven wegwerfen darf.

Die Finanzminister sind Technokraten, keine Politiker. Weil aber die Politiker zu feige sind, zu entscheiden, müssen die Finanzminister ran. Das hätten sie von Anfang an ablehnen müssen. Doch die meisten von ihnen gefallen sich in der Rolle der „grauen Eminenz“ – und haben zu lange gern die „Schattenregierung“ der Euro-Zone gespielt.

Die Finanzminister sind komplett überarbeitet. In der Euro-Zone ist alles so komplex geworden, dass die Technokraten nur noch die Hälfte verstehen. Sie haben keine Zeit mehr, um nachzudenken – oder Entscheidungen vorzubereiten. Sie müssen alle auf Englisch sprechen oder sind auf Übersetzer angewiesen. Das alles soll innerhalb kürzester Zeit geschehen – ist also unmöglich.

Die Finanzminister sind gewohnt, zu befehlen: Die meisten Regierungskollegen finden Zahlen lästig und sind dankbar, wenn ihnen der Finanzminister die Vorgaben gibt. Bei Griechenland geht es aber um Verhandlungen – da kommt man mit Befehlen nicht weit.

Die meisten Finanzminister haben nie im Leben in der realen Wirtschaft gearbeitet. Sie sind entweder Berufspolitiker, Parteikader oder ehemalige Interessensvertreter. Wolfgang Schäuble sitzt seit 40 Jahren im Bundestag. Was befähigt diesen Mann zu entscheiden, was die Wirtschaft in Griechenland braucht?

Die Finanzminister sind das schlechteste Gremium, um einen Kompromiss zu erzielen: Jeder Finanzminister muss an seinen eigenen Haushalt denken. Ihre Treffen sind die natürlichen Orte für den Konflikt.

Die Finanzminister haben die Lage des Gegners völlig falsch eingeschätzt: Viele sind Berufspolitiker und daher mit Intrigen bestens vertraut. Sie haben gedacht, wenn sie sich einreden, dass der von ihnen verachtete Ökonom Varoufakis in Ungnade gefallen sei, dann müsse es so sein. War es aber nicht – ein Anfängerfehler bei jedem Poker.

Die Finanzminister sind schlecht vorbereitet: Das Gefasel vom „Plan B“ ist ein Witz. Es gibt keinen Plan B. Der Plan B ist der Verlust von mindestens 340 Milliarden Euro an Steuergeldern. Schäuble weiß das genau: Im ZDF stotterte er ungewohnt intensiv und war heilfroh, dass Claus Kleber von der Sache nicht das Geringste versteht und daher nicht nachbohren konnte, als Schäuble ihm gerade gestehen wollte, dass es sehr wohl erhebliche Risiken im Bundeshaushalt gibt.

Die Finanzminister spielen in der Geldpolitik gegeneinander. Sie tun das hinter den Kulissen in der EZB. Es ist schon fast zum Erbarmen, wie Jens Weidmann die ELA-Kredite als Problem benennt. Weidmann weiß genau, dass ohne ELA der Crash schon da wäre. Trotzdem muss er dagegen sein, um den Anschein zu erwecken, dass die Deutschen streng sind. Die Italiener und Franzosen spielen sehr diskret.

Die Finanzminister haben alle schon ziemlich viel auf dem Kerbholz: Sie haben Milliarden verzockt, und wollen weiter Milliarden versprechen. Sie realisieren, dass die Wähler ihnen auf die Schliche gekommen sind. Sie können aktuell überhaupt nur schnaufen, weil ihnen die EZB mit den Niedrigzinsen und mit dem Gelddrucken den Rücken freihält. Sie kämpfen, wie alle Euro-Retter, um das eigene politische Überleben.

Trotz all dieser rational verständlichen Defizite ist es erstaunlich, welch erbärmliches Bild die Finanzminister in den vergangenen Tagen abgegeben haben. Man kann diesen Leuten nicht vertrauen. Sie vermitteln nicht den Eindruck, als wären sie Herr der Lage. Sie haben keine Taktik. Sie haben keine Strategie. Sie haben keinen Plan. Man möchte nicht von ihnen regiert werden.

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