Politik

Der heimliche Aufstieg des Iran zu einer neuen Weltmacht

Neuordnung in Nahost: Dem Islamischen Staat geht das Geld aus. Die Türkei muss ihren Traum von einem osmanischen Reich wohl begraben. Die Saudis kämpfen gegen den Ölpreis-Verfall. Der große Gewinner der aktuellen Entwicklung könnte der Iran sein. Teheran hat gute Karten, wieder zu einer echten Macht im Nahen Osten zu werden.
29.03.2016 01:11
Lesezeit: 5 min

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Die Attentate von Brüssel und vorher von Paris sind wie alle Anschläge nur möglich, wenn genügend Geld zur Finanzierung verfügbar ist. Dies gilt in noch größerem Maße für die Kriegsführung. Religiöse Motive mögen auch eine Rolle spielen, im Mittelpunkt steht aber immer das Streben nach Macht und die Frage nach der Finanzierung: Die Kämpfer müssen entlohnt, die Waffen bezahlt und die Sympathisanten unterstützt werden.

Somit stellt sich die Frage nach der Finanzierung des sogenannten Islamischen Staats (IS). Zu suchen sind vor allem die Quellen des Geldes. Nur sehr bedingt erfolgreich sind die in Europa und den USA gesetzten Aktionen: Das Sperren von Konten, die neuerdings diskutierte Beseitigung des Bargelds und Einreiseverbote für verdächtige Personen behindern die Dschihadisten kaum.

Auch die militärischen und polizeilichen Aktivitäten haben nur eine beschränkte Wirkung. Sicher ist die Bombardierung von Stellungen in Syrien und im Irak wichtig. Das Aufspüren der Attentäter ist eine selbstverständliche Notwendigkeit. Nachhaltig entscheidend ist jedoch nur das Unterbinden der Geldquellen an deren Ursprung.

Die Nachfolger von Saddam Hussein

Der IS begann 2003 als sunnitische Nachfolge-Organisation der Partei des gestürzten  irakischen Diktators Saddam Hussein. Nach dem Abzug der USA gelang es den Schiiten, die Regierung des Irak zu dominieren, die Sunniten an den Rand zu drängen und enge Bindungen mit dem schiitischen Iran aufzubauen. Der IS wurde von den Sunniten unterstützt.

Mit der Hilfe von Offizieren aus der Führungsriege von Saddam Hussein wurde der IS zu einer militärischen Organisation, die Teile des Iraks und von Syrien eroberte und dieses Gebiet zum Islamischen Staat erklärte. Durch die militärischen Erfolge erhielt die Organisation eine Bedeutung für die gesamte Region und die Gelder begannen reichlich zu fließen.

Der Verkauf von Öl brachte Millionen

Der IS eroberte Ölquellen und erzielte durch den Verkauf Millionen. Lange wurden bei den Kämpfen gegen die Organisation die Quellen, die Raffinerien und die Lager geschont. Erst im Herbst 2015 kam es zu wirksamen Attacken. Die Einnahmen gingen deutlich zurück, wobei der Ölpreis-Verfall zusätzlich wirkte und die Finanzlage der Organisation verschlechterte. Die Rückschläge in jüngster Zeit sind eine unmittelbare Folge dieser Entwicklungen. Die Allianz gegen den IS muss sich deshalb die Frage gefallen lassen, warum nicht viel früher mit der Bombardierung der Ölanlagen begonnen wurde.

Durch die Errichtung des Staates wurde der IS geopolitisch interessant. In der Region wollen drei Staaten bestimmen: Die sunnitische Türkei, das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran. Es handelt sich also um einen Wettstreit von Türken, Arabern und Persern. Der IS versteht sich als arabische Macht, wobei die Bezeichnung „Kalifat“ den Herrschaftsanspruch über die gesamte islamische Welt signalisiert.

Die Unterstützung durch die Türkei

Die Türkei unter Präsident Erdogan strebt die Wiederherstellung des osmanischen Reichs an: In seiner größten Ausdehnung erstreckte sich das osmanische Reich 1830 in einem riesigen Bogen von Ungarn über den Balkan, den Nahen Osten bis nach Tunesien. Noch um 1900 beherrschte die Türkei den Nahen Osten und verlor das Gebiet schließlich im Ersten Weltkrieg.

Für die Türkei ist daher zumindest die Rückeroberung der beiden im Süden angrenzenden Nachbarländer Syrien und Irak ein Anliegen. Das Bestreben des sunnitischen IS, diese beiden Staaten in ihre Gewalt zu bringen, schien der Türkei die Chance zu eröffnen, die Aktivität der IS für die eigenen Zwecke auszunutzen. Auch die Attentate des IS in Ägypten sowie der Vormarsch in Libyen betrafen ehemalige osmanische Gebiete. Somit genoss der IS lange die Unterstützung der Türkei. Allerdings scheint die Organisation nicht bereit zu sein, sich von der Türkei instrumentalisieren zu lassen – eine Haltung, von der die Anschläge in Ankara und Istanbul zeugen.

Die wohlwollende Duldung durch Saudi-Arabien

Saudi-Arabien fürchtet die Dominanz des Iran in der Region und lehnt auch eine Renaissance des osmanischen Reichs ab. Man sieht einen Islamischen Staat in Syrien und im Irak als Bollwerk gegen die Türkei und den Iran nicht ungern. Die beiden an den Iran im Westen, im Norden an die Türkei und im Süden an Saudi-Arabien angrenzenden Länder könnten einen strategisch wertvollen Puffer bilden. Da aber die Führung des IS dem saudi-arabischen Königshaus die Vernichtung angedroht hat, ist nun von einer Unterstützung des IS keine Rede mehr.

Im Gegenteil: Die beiden Länder, die sich vom IS Vorteile erwartet haben, die Türkei und Saudi-Arabien, sprechen nun von einer gemeinsamen militärischen Intervention gegen den IS.  Die beiden Staaten müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie überhaupt eine derartige Organisation favorisiert haben.

Die widersprüchliche Politik des Westens

Die alliierten Westmächte sind Partner des NATO-Staats Türkei und des Ölstaats Saudi-Arabien und haben nicht gegen die Duldung des IS interveniert.

Mehr noch:

- Die USA kommentieren nicht einmal die zahlreichen Todesurteile durch Köpfen in Saudi-Arabien.

- Die EU sieht über die Verletzung der Menschenrechte in der Türkei hinweg und zahlt dem Land sogar Milliarden für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien.  Journalisten, die aufgedeckt haben, dass die Türkei syrischen Extremisten Waffen geliefert hat, drohen in einem aktuell durchgeführten Gerichtsverfahren Gefängnisstrafen. Aber die EU hält formell weiterhin an einer Aufnahme der Türkei in die EU fest.

- Die Unterdrückung der Bevölkerung durch die religiösen Führer im Iran ist kein Thema. Die Sanktionen wurden gegen das Versprechen aufgehoben, keine Atomwaffen zu produzieren.

- Nur beim IS werden der Massenmord an den Jesiden, das spektakuläre Köpfen vor der Kamera und ähnliche Ungeheuerlichkeiten angeprangert.

Der IS wird nun von einer mächtigen Koalition bekämpft

Für den IS ist es eng geworden. Der Iran war von vornherein der erklärte Feind. Die beiden Sympathisanten Türkei und Saudi-Arabien wurden zu Gegnern. Unter diesen Umständen ist die finanzielle Basis des IS geschwächt. Die Organisation versucht daher, durch spektakuläre Attentate ihre Schwäche an prominenten Orten weltweit zu kaschieren.

Die USA und ihre Alliierten bekämpfen den IS. Und dies tut nun auch nach längerem Zögern Russland. Somit erscheint ein Ende des IS absehbar. Wie sieht die Region nach dem wahrscheinlichen Scheitern des IS aus?

Der Iran wird zum tatsächlichen Sieger und bedroht den Westen

Der große Gewinner wäre der Iran. Die Sanktionen gegen das Land werden schrittweise aufgehoben und die Wirtschaftsbosse aus dem Westen hofieren die Machthaber in Teheran, um Aufträge in Milliardenhöhe zu ergattern. Russland liefert eifrig militärische Einrichtungen. Die politischen Konsequenzen werden negiert.

Der Iran selbst erholt sich. Der Irak ist, wenn der IS untergeht, vollends unter der Kontrolle des Iran. Syriens Herrscher Assad ist ein Verbündeter des Iran. Die USA wollen zwar nach der Beendigung des Kriegs ein Syrien ohne Assad, doch im Moment sieht es nicht danach aus. Also würde der Iran den Irak und Syrien weitgehend kontrollieren. Der Libanon ist im Würgegriff der Hisbollah, die ebenfalls vom Iran abhängt. Kurzum, der gestern noch schwache Iran könnte die Region dominieren.

Somit zeichnet sich im Norden eine Isolierung der Türkei ab, die die Träume von der Wiederherstellung des osmanischen Reichs begraben müsste. Im Süden wäre Saudi-Arabien kein entscheidender Machtfaktor in der Region. Israel käme unter extremen Druck. Kurzum, die drei traditionellen Partner der USA und des Westens geraten in Schwierigkeiten und der Iran wird zur großen Bedrohung – also jenes Land, das erst in den vergangenen Tagen den USA, Israel und dem Westen insgesamt mit der totalen Vernichtung gedroht hat.

Kriege und Attentate sind nur möglich mit ausreichenden Geldquellen. Diese stehen in Kürze dem Iran zur Verfügung. Während die USA, Russland, die Türkei und Saudi-Arabien die Vernichtung des IS betreiben, jubeln die Machthaber in Teheran.

Die vier neuerdings verbündeten Akteure USA, Russland, die Türkei und Saudi-Arabien wären gut beraten schon jetzt zu überlegen, wie sie morgen den Iran in den Griff bekommen können. Wobei fraglich ist, ob dann Russland noch Teil dieser Allianz bleibt.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF. 

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