Finanzen

Analyst: US-Notenbank hat die Kontrolle über die Lage verloren

Die US-Notenbank Fed hat Beobachtern zufolge die Kontrolle über die Lage verloren. Das jüngste Kommuniqué und die anschließende Pressekonferenz von Fed-Chefin Yellen haben jegliche Klarheit und Logik vermissen lassen. Auf die wirklich spannenden Fragen lieferte Yellen einmal mehr keine schlüssigen Antworten.
16.06.2016 13:18
Lesezeit: 2 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

In einer interessanten Analyse kritisiert die Helaba den medialen Auftritt der amerikanischen Zentralbank Fed und deren Geldpolitik:

Abraham Lincolns „Gettysburg-Address“ von 1863 gilt als eine der Säulen, auf denen sein Ruhm als einer der größten US-Präsidenten begründet ist. Die Rede war nur 272 Worte lang und dauerte weniger als zwei Minuten. Aber in dieser Zeit fand Lincoln nicht nur genau den richtigen Ton, um die Stimmung in der vom Bürgerkrieg gebeutelten Nation einzufangen. Er formulierte gleichzeitig eine Art Katechismus des amerikanischen Demokratie- und Freiheitsverständnisses, das bis heute über die Grenzen der USA hinaus als Inspiration gilt.

Das FOMC-Kommuniqué von gestern Abend fiel mit 540 Worten rund doppelt so lang aus wie die „Gettysburg-Address“. Leider steht die Länge hier im proportional umgekehrten Verhältnis zur Aussagekraft. Trotz der verglichen mit früher erheblich umfangreicher gewordenen Fed-Statements geht der Erkenntnisgewinn für den Leser bedauerlicherweise zunehmend gegen null. Mit der Länge steigt zudem das Risiko, dass sich immer weniger Marktteilnehmer die Mühe machen, das Kommuniqué tatsächlich zu lesen. Dadurch erreicht die Botschaft viele Empfänger nur noch durch Journalisten gefiltert, die Aussagen jedoch stets verkürzen und zuspitzen.

Nicht viel besser schneidet Janet Yellens Pressekonferenz ab. Zwar dauerte sie mit knapp einer Stunde nur halb so lang wie sich Lincolns Vorredner, Edward Everett, genommen hatte. Sie war aber ebenso vergessenswert wie dessen mehr als 13.000 Worte lange Ansprache, mit der sich heute bestenfalls noch Spezialisten auseinandersetzen. Auf die wirklich spannenden Fragen lieferte Yellen einmal mehr keine schlüssigen Antworten. Wieso sollen laut den Projektionen nun 2017 und 2018 weniger Zinserhöhungen angemessen sein als im März? Welche neuen Erkenntnisse in den vergangenen drei Monaten haben zu der Abwärtsrevision des langfristig normalen Leitzinses um 0,3 Prozentpunkte geführt? Noch am 6. Juni hatte Yellen den alten Medianwert von 3,3 % propagiert.

Wie realistisch ist es, dass der Rückgang der Arbeitslosenquote praktisch mit sofortiger Wirkung aufhört? Warum sollte die US-Wirtschaft drei Jahre in Folge genau mit dem Trendwert von 2 % wachsen?

Zu diesen Fragen war das Schweigen ohrenbetäubend. Insgesamt wird der Eindruck verstärkt, dass sich die Fed nicht wirklich traut, das Zinsniveau zu normalisieren. Schlimmer noch: Es ist Wasser auf die Mühlen derer, die von vorneherein gesagt haben, die Notenbank würde den Zinserhöhungskurs „auf keinen Fall durchziehen“ und meine das auch gar nicht ernst. Es ist ein Desaster für die Kommunikation und Glaubwürdigkeit der Fed.

Wegen der fehlenden Aussagekraft des Kommuniqué fokussieren immer mehr Marktteilnehmer auf die Projektionen der einzelnen FOMC-Mitglieder. Diese werden aber nicht erläutert. Was steht beispielsweise hinter den bizarren Erwartungen eines Sitzungsteilnehmers, der einen weiteren Zinsschritt 2016 für angemessen hält – und dann bis Ende 2018 keine weitere? Wir können nur raten.

Erstaunlich ist auch, dass der Medianwert für den Leitzins für Ende 2016 unverändert blieb. Zwar verschob sich die „central tendency“ um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte nach unten, dennoch bleibt offenbar ein „harter Kern“ dabei, dass zwei Zinserhöhungen im zweiten Halbjahr angemessen sind. Wir halten deshalb zunächst an unserer Prognose fest, dass der Leitzinskorridor im Dezember tatsächlich bei 0,75 % bis 1 % liegen wird. Aber der zögerliche Kurs der Fed und die Abwärtsrevisionen des Leitzinspfads durch die Mehrheit der Teilnehmer (zumindest gemessen am Median werden nun sowohl 2017 als auch 2018 weniger Zinsschritte für angemessen erachtet) deuten auf zunehmende Risiken hin, dass die Fed die von uns 2017 erwarteten vier Zinserhöhungen nicht „liefern wird“, sondern wie schon 2016 Ausreden findet. Angesichts der erwarteten Überraschungen für die Fed in den kommenden Monaten – ein deutlicherer Rückgang der Arbeitslosenquote und schnelleres Anziehen der Teuerung – dürften sich aber auch bei den Notenbankern zunehmend Zweifel an der Angemessenheit eines negativen Realzinses einstellen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...