Politik

Türkei sammelt Hinweise auf US-Verbindungen zum Putsch

Lesezeit: 3 min
20.07.2016 02:48
In der Türkei werden Hinweise ausgewertet, die auf US-Verwicklungen in den Putsch hindeuten sollen. So hatte die US-Botschaft ihre Bürger zunächst von einer „Erhebung“ informiert – ein eindeutig wohlwollender Begriff für einen Militärputsch. Präsident Erdogan hat für Mittwoch eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats mit wichtigen Entscheidungen angekündigt.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Am Mittwoch wird in Ankara der nationale Sicherheitsrat in der Türkei zusammenkommen. „Wir befinden uns in einer wichtigen Vorbereitungsphase und am Mittwoch wird unser Sicherheitsrat tagen. Anschließend wird es noch eine Ministerkonferenz geben. Wir werden eine wichtige Entscheidung treffen, die ich erst nach der Mitteilung nennen kann. Damit derartige Ereignisse nicht nochmal vorkommen, darf das Risiko künftig noch nicht einmal ein Prozent betragen. Diesen Spielraum haben wir nicht mehr. Alle Bereiche müssen 100 Prozent unter Kontrolle sein“, zitiert Haberturk Erdogan.

Die türkische Regierung ist offenbar nicht von der Aussage von Außenminister John Kerry überzeugt, dass die USA nichts mit dem Putsch-Versuch zu tun haben. Die regierungsnahe Zeitung Daily Sabah berichtet von mehreren Vorfallen, die „bei der Öffentlichkeit der Verdacht erwecken, dass Washington hinter dem Militärputsch der Gülenisten“ stecken könnte. So schrieb die US-Botschaft in Ankara in einem vom US-Außenministerium verbreiteten Tweet nach dem Beginn des Putsches: „Emergency Message for U.S. Citizens: Turkish Uprising“ – nannte den also Putsch eine „Erhebung“, was eindeutig ein positiv besetzter Begriff ist, der vor allem während des sogenannten Arabischen Frühlings verwendet wurde.

Der Tweet befand sich am Dienstagabend immer noch auf der Twitter-Website des Außenministeriums, während er von der Website der Botschaft entfernt wurde. Die Botschaft sagte der Sabah, dass man sich auf die türkischen Nachrichten bezogen habe, und türkische Offizielle hätten das Wort „Erhebung“ verwendet.

Auch die publizistische Tätigkeit des privaten US-Sicherheitsdienstes Stratfor wird als merkwürdig eingeordnet: So habe Stratfor in der Nacht die Flugroute von Erdogans Flugzeug gepostet:

Außerdem habe Stratfor die Falschmeldung verbreitet, Erdogan befinde sich auf der Flucht nach Deutschland. MSNBC bezog sich auf nicht genannte US-Regierungskreise:

Tatsächlich haben auch andere US-Sicherheitsdienste in der Nacht eindeutig freundlich über den Putsch berichtet: So sagte der frühere Stratfor-Chef George Friedman in einem Interview für Mauldin Economics, dass der Putsch von den säkularen türkischen Militärs ausgeführt worden und von langer Hand geplant sei. Friedman, der laut Moderator auf „Informanten in der Türkei“ zurückgreifen könne, sagte, dass die Militärführung die Unterstützung des IS durch die Türkei abgelehnt habe und sich an der „Entfremdung“ gestoßen habe, die Erdogan gegenüber den USA eingeleitet habe. Die Armee sei an guten Beziehungen zu den USA interessiert – und habe deshalb geputscht. Die Tatsache, dass Erdogan der gewählte Präsident der Türkei ist, fand keine Erwähnung. Die Aussage ist auch deshalb interessant, weil Friedman erstmals – und das „en passant“ – offen sagte, dass die Türkei die Terror-Miliz IS unterstütze. Bisher wurde dies nur von den Russen behauptet, deren Belege allerdings bei den US-Vordenkern nicht weiterverbreitet wurden (Video am Anfang des Artikels).

Die Sabah sieht in der Auslieferung von Gülen die Nagelprobe für die US-Regierung: Das bisher zögerliche Vorgehen würde bei „Millionen Türken“ den Eindruck erwecken, dass „der Putsch vom Westen unterstützt“ wurde. Der Sabah-Bericht lässt erkennen, dass die Erwähnung von Gülen zunehmend als Chiffre verwendet wird, weil man eigentlich Kräfte aus den USA meint. Weil aber die Türkei ein NATO-Staat ist, ist ein derart offener Angriff gegen die USA noch nicht möglich. Das könnte sich jedoch ändern, wenn es nicht gelingt, die Stabilität in der Türkei wieder herzustellen.

Die türkische Regierung hat Zweifel, dass die Situation wirklich wieder unter Kontrolle ist und setzte die Entlassungen im öffentlichen Dienst fort.

Am Dienstag wurden hunderte Beamte des türkischen Geheimdiensts und der staatlichen Religionsbehörde entlassen. Sie sollen in Verbindung mit der Organisation des islamischen Predigers Fethullah Gülen stehen, die für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich gemacht wird.

Beim türkischen Geheimdienst wurden 100 Personen entlassen, meldet die Zeitung Takvim. Bei der Religionsbehörde DITIB wurden 492 Imame und weitere Angestellte entlassen, berichtet sondakika.com.

Das Bildungsministerium soll nach einem Bericht des örtlichen Senders NTV 15.200 Mitarbeiter vom Dienst suspendiert haben. Die Hochschulverwaltung rief am Dienstag 1577 Dekane und die Rektoren aller Universitäten auf, ihren Rücktritt einzureichen. Zuvor war bekanntgeworden, dass fast 20.000 Angehörige von Polizei, Verwaltung, Justiz und Armee festgenommen oder abgesetzt worden sind.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat sich am Dienstagnachmittag in einer Fernsehansprache für den Einsatz der Bevölkerung gegen den Putschversuch bedankt. Das Volk habe seine Einheit unter Beweis gestellt, weil Menschen „aller Religionen, aller politischen Richtungen und aller Lebensweisen“ auf die Straße gegangen seien, um den Putsch niederzuschlagen.

„Immer dann, wenn die Türkei wichtige Schritte machen wollte, wurde mit Putschen, wirtschaftlichen und politischen Druckmitteln auf dieses Land eingewirkt, um es von seiner Bahn abzubringen“, so Erdogan.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...