Politik

Russland soll Erdogan in letzter Sekunde vor Putsch gewarnt haben

Der russische Geheimdienst soll von den Putsch-Plänen gegen die türkische Regierung Wind bekommen haben – und hat möglicherweise Präsident Erdogan in letzter Sekunde gewarnt. Daher soll der Putsch um einige Stunden vorgezogen worden sein – und scheiterte, weil Erdogan auch die Teile der Armeeführung rechtzeitig alarmiert hat. Arabische und iranische Quellen wollen Hinweise haben, dass der Putsch von den Golf-Staaten ausgegangen ist.
21.07.2016 02:09
Lesezeit: 6 min
Russland soll Erdogan in letzter Sekunde vor Putsch gewarnt haben
Das neue Buch von Michael Maier. (Foto: FBV)

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Die staatliche iranische Nachrichtenagentur Fars liefert einige interessante Erkenntnisse über den gescheiterten Putsch in der Türkei. Die Hinweise sind naturgemäß mit Vorsicht zu genießen, weil der Iran der wichtigste Rivale Saudi-Arabiens in der Golf-Region ist. Der Fars-Bericht ist allerdings sehr sachlich formuliert und enthält so viele Details, dass er nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

Fars zitiert mehrere diplomatische Quellen aus Ankara. Diese geben an, dass der russische Geheimdienst den türkischen Geheimdienst MIT vor dem bevorstehenden Putsch gewarnt haben soll. Die anonymen Diplomaten berichten, dass die russische Armee in der Region alarmierende Funksprüche angefangen habe, wonach die türkische Armee einen Putsch durchführen wolle. Die abgefangenen Informationen beinhalteten auch den Plan über die Ermordung Erdogans im Ferienhotel am Marmarameer, berichtet Fars.

Bemerkenswert ist, dass die Funksprüche und Informationen von der russischen Luftwaffenbasis im syrischen Hmeimim abgefangen wurden. In Hmeimim haben die Russen die modernsten Abhöranlagen installiert. Der Stützpunkt ist für Moskau von strategisch wichtiger Bedeutung für den ganzen Nahen Osten. Daher haben sich die Russen auch in den Syrien-Krieg eingeschaltet, als die Provinz Latakia von den internationalen und islamischen Söldnern bedroht wurde.

Die diplomatischen Quellen aus der Türkei berichten, dass der Kurswechsel Erdogans vor einer Woche „eine der Hauptursachen“ für den Putschversuch gewesen sein soll, der von mehreren ausländischen Staaten unterstützt wurde.

Allerdings sei es zu Anfang nicht klar gewesen, ob die Informationen der Russen in Ankara in die richtigen Hände kommen würden. Eine Reihe von türkischen Generälen, die vom türkischen Nachrichtendienst MIT über den Putschversuch informiert wurden, sollen sich gegen den Versuch gestellt haben. „Die Information über den Putschversuch, die am 15. Juli 2016 um vier Uhr nachmittags an den türkischen Generalstab weitergeleitet wurde, wurde von Generalstabschef Hulusi Akar, dem Armeegeneral Zeki Colak und dem Vize-Generalstabschef Yasar Güler bewertet“, berichtet Post Medya.

Vier Tage nach dem Putschversuch gab Erdogan bekannt, dass er die Streitigkeiten mit den Nachbarn der Türkei beilegen wolle. Daraufhin kündigte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow an, dass sich Putin und Erdogan Anfang August treffen werden. Ein iranischer Beamter sieht Parallelen zwischen dem erfolgreichen Putsch gegen den iranischen Premier Mohammed Mossadegh im Jahr 1953 und dem Putschversuch in der Türkei, analysiert Al-Monitor. Auch dieser Putsch erfolgte in zwei Wellen: Die erste schlug fehl, mit der zweiten gelang der Sturz des säkularen Regimes. Wie beim Putsch gegen Mossadegh sei daher auch in der Türkei die Gefahr noch nicht gebannt.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sollen in den Putsch involviert gewesen sein. Der saudische Whistleblower Mujahid meldete am Montag per Twitter, dass die Vereinigten Arabischen Emirate eine wichtige Rolle bei dem Putsch gespielt hätten. „Es ist wahr, dass es Probleme zwischen der Türkei und dem Iran in Syrien gibt. Doch es gibt keine direkten Probleme zwischen dem Iran und der Türkei. Ganz im Gegenteil: Die bilateralen Beziehungen werden immer besser. Ein Putsch in der Türkei ist etwas, was der Iran nicht tolerieren kann“, so ein hochrangiger iranischer Offizieller.

Offenbar haben sich die Russen auch entschlossen, die Amerikaner zu informieren. Während des Putschversuchs befand sich US-Außenminister John Kerry in Moskau. Die Reise war kurzfristig angesetzt worden. US-Medien hatten unmittelbar vor dem Putsch keine Erklärung für den Besuch Kerrys in Moskau. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums drückte sich ungewöhnlich unklar aus, als sie gefragt wurde, ob der Besuch Kerrys mit dem Weißen Haus abgestimmt gewesen sei.

Die iranischen Informationen entlasten die US-Regierung gegenüber Anschuldigungen aus der Türkei, sei habe den Putsch unterstützt. Erdogan milderte seine in den vergangenen Tagen geäußerte Kritik an Washington am Mittwoch deutlich ab: "Wir müssen feinfühliger sein", sagte er. Die Beziehung der beiden Länder sei auf Interessen aufgebaut, nicht Gefühlen. "Wir sind strategische Partner." Erdogan fordert von den USA die Auslieferung des Predigers Gülen, den er hinter dem Putsch.

Al Jazeera Arabic berichtet, dass der Putsch eigentlich für drei Uhr morgens geplant gewesen sei. Offenbar ist die russische Warnung schließlich doch zu jenen Offizieren durchgesickert, die den Putsch geplant hatten. Sie zogen daraufhin den Putsch vor - was maßgeblich zu seinem Misslingen beitrug. Während der Sicherheitsexperte George Friedman während des Putschs vor laufender Kamera zu Protokoll gab, dass er beeindruckt sei, in welch kurzer Zeit die Putschisten Ankara und Istanbul unter ihre Kontrolle gebracht hätten, zeigten sich die Soldaten gegenüber der Bevölkerung eher desorientiert und hilflos.

Die scheinbar dilettantische Durchführung hat Spekulationen genährt, der Putsch könne von Erdogan selbst initiiert worden sein, um danach ein autoritäres Regime zu installieren. Diese gewagte These vertrat unter anderem der frühere Militär-Berater von Angela Merkel, Erich Vad, auf n-tv. Er sprach davon, dass es Indizien gäbe und führte den Zeitpunkt des Putsches als einen solchen Hinweis an. Erdogan habe mit dem Fake-Putsch noch mehr Macht an sich reißen wollen.

Diese These erscheint vor dem Hintergrund, dass Erdogan auch noch Tage nach dem Putsch militärische Operationen lanciert, um die Drahtzieher ausfindig zu machen, unhaltbar.

Vor allem aber ist das Statement, dass die Putschisten in der Nacht im staatlichen Fernsehen verlesen ließen, das Gegenteil dessen, was ein Diktator seinem Volk zu Gehör bringen würde, wenn er ihnen einen Putsch von Militärs vorgaukelt. Vor allem einen Hinweis auf das Versagen im Kampf gegen den Terror und der Verweis auf die Korruption der amtierenden Regierung hätte Erdogan bei einer Inszenierung wohl nicht unbedingt unters Volk bringen wollen.

Die Mitteilung der Putschisten in der Putsch-Nacht:

„Ehrenwerte Bürger der Türkischen Republik,

die systematischen Verfassungs- und Rechtsbrüche sind eine Gefahr für die Grundprinzipien und die lebenswichtigen Institutionen geworden. Die gesamten Institutionen des Staats, was die türkischen Streitkräfte einschließt, werden nach ideologischen Kriterien bestimmt und sind somit nicht mehr imstande, ihren Aufgaben nachzukommen. Der Präsident und die Regierungsmitglieder, die sich alle in einer Verfassung der Achtlosigkeit, des Irrtums und des Verrats befinden, haben die persönlichen Rechte und Freiheiten, die Gewaltenteilung, die laizistische und demokratische Ordnung praktisch außer Kraft gesetzt.

Unser Staat hat auf der internationalen Ebene sein hoch verdientes Ansehen verloren und ist zu einem Land verkommen, in dem die Menschenrechte nicht mehr geachtet werden und das autokratisch regiert wird. Aufgrund der falschen Entscheidungen der politischen Autorität, dessen Passivität im Kampf gegen den Terrorismus dazu geführt hat, dass der Terrorismus stetig anstieg, sind zahlreiche unschuldige Bürger und Sicherheitskräfte, die sich im Kampf gegen den Terror befinden, gestorben sind. Die Korruption und Diebstähle innerhalb der Bürokratie haben ein ernstzunehmendes Ausmaß erreicht. Im Staatswesen wurde das Rechtssystem, das für die Bekämpfung der Korruption verantwortlich ist, außer Kraft gesetzt. Unter diesen Umständen, war es unserem Volk unter der Führung von Atatürk gelungen, die Republik zu gründen und bis in unsere Tage zu tragen.

Deshalb haben wir mit dem Motto der türkischen Streitkräfte „Frieden im Inland, Frieden im Ausland“ die Führung des Staats übernommen, um:

- Die unteilbare Einheit der Heimat und das Überleben der Nation und des Volks sichern.

- Die Gefahren für die Gewinne unserer Republik beseitigen.

- Die praktischen Hürden für den Rechtsstaat beseitigen.

- Die Korruption, die eine Gefahr für unsere nationale Einheit geworden ist, beseitigen.

- Den Weg für einen effizienten Kampf gegen den Terrorismus jeglicher Art ebnen.

- Die Umsetzung der Menschenrechte für all unsere Bürger – unabhängig von der Konfession und Ethnie.

- Die Wiederherstellung der Verfassung, die auf den Prinzipien des Laizismus, der Demokratie und des sozialen Rechtsstaats fußt.

- Die Wiederherstellung des internationalen Ansehens unseres Landes und Volkes.

- Den internationalen Frieden und die Stabilität und noch stärkere internationale Kooperationen und Beziehungen zu sichern.

Die Staatsverwaltung wird vom ,Friedensrat‘ übernommen. Der ,Friedensrat‘ wird allen Verpflichtungen mit der UN und Nato und mit anderen internationalen Organisationen nachkommen und dazu alle erforderlichen Maßnahmen treffen.

Die politische Macht der Regierung, die ihre Legitimität verloren hat, wird ihr aus den Händen genommen. Es wird dafür gesorgt werden, dass alle Personen und Organisationen, die Vaterlandverrat begangen haben, vor Gericht gestellt werden.

Im gesamten Land wird der Ausnahmezustand ausgerufen.

Es wird eine Ausgangssperre verhängt. Wir empfehlen unseren Bürger, diesem Verbot in ihrem eigenen Interesse Folge zu leisten.

Es wurden zusätzliche Maßnahmen an den Flughäfen, den Grenzübergängen und Häfen getroffen, was die Ausreise angeht.

Die staatliche Ordnung wird in kürzester Zeit wieder hergestellt. Es wird nicht zugelassen, dass unsere Bürger oder die institutionelle Ordnung einen Schaden erleiden.

Die freie Meinungsäußerung, die universellen Rechte und die Eigentumsrechte werden vom ,Friedensrat‘ garantiert.

Der ,Friedensrat‘ wird eine Verfassung ausarbeiten, die die einheitliche Staatsstruktur des Landes - unabhängig von der Religion, der Sprache und der Ethnie – garantieren wird. Bis zur Verabschiedung einer modernen, demokratischen, sozialen und laizistischen Verfassung werden alle Maßnahmen getroffen werden.

Grüße an all unsere Bürger“

***

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