Finanzen

Zentralbanken streiten über Crash-Gefahr

Unter den Zentralbanken ist ein Streit darüber ausgebrochen, ab wann eine Zinssenkung der EZB zu einem Crash führen kann. Experten sehen vor allem existientielle Gefahren für die Banken.
12.08.2016 00:05
Lesezeit: 2 min

Die Bank of England (BOE) hat ausgeschlossen, den Leitzins unter Null zu drücken. Eine Entscheidung, die sie in Widerspruch zur Europäischen Zentralbank (EZB) bringt. Dies hat offenbar eine Kluft zwischen den beiden Zentralbanken aufgetan – und es habe nichts mit dem Brexit zu tun, wie das Wall Street Journal schreibt. Vielmehr stelle sich die Frage: wie weit lässt sich der Einlagezins noch senken? Europas wirtschaftliche und politische Stabilität könne davon abhängen.

Die EZB hat den Leitzins bereits auf minus 0,4 Prozent gesenkt und angedeutet, sie können den Zinssatz noch weiter drücken.

In einer Rede im letzten Monat stellte EZB-Direktor Benoît Coeuré fest, trotz des negatives EZB-Leitzinses würden die Bankeinlagen noch zunehmen, was darauf hinweise, dass die Negativ-Zinsen noch über der „physikalische Untergrenze“ lägen, da die Einlagekosten für Bargeld bei der EZB die Kosten von „alternativer Methoden“ überwögen. Zugleich wachse in der Eurozone das Volumen der Bankkredite, die Fremdkapitalkosten fielen und das Zinsergebnis steige – trotz Druck auf die Margen. Dies lege nahe, dass die Banken noch immer nicht so getroffen seien, dass die „wirtschaftliche Untergrenze“ der Negativzinsen Schaden anrichte.

Europäischen Bankaktien haben seit Jahresbeginn 44 Prozent an Wert verloren. Dies sei eine Warnung, dass sich europäische Banken in einer neuen „Doom-Schleife“ befinden, betont Alastair Ryan von der Bank of America Merrill Lynch. „Wir glauben, dass die geldpolitische Lockerung der EZB dazu führt, dass es den Profit der Banken schwächt und sie Kapital aus dem Geschäft zurückziehen werden“. Obwohl also der Bankenstresstest anderes glauben machen will: die Gewinnaussichten sind schlecht, da die Niedrigzinspolitik die Gewinne nach unten schiebt. Dies führt folglich dazu, dass Investoren Bankaktien und Bankanleihen in ihren Portfolios meiden.

Warum also bleibt die EZB bei ihrer riskanten Strategie, stellt das Wall Street Journal die rhetorische Frage – und liefert die Antwort: Ein Grund dafür mag sein, dass die Vorteile die Kosten womöglich überwiegen – vor allem im Vergleich zu den Kosten des Nichtstuns. Niedrigere Kreditkosten kurbeln die Wirtschaft an, reduzieren das Ausfallrisiko, erhöhen den Wert des Anleiheportfolios und entlasten den Druck auf die Kapitalpositionen. Außerdem hofft die EZB, dass andere Maßnahmen einschließlich ihres Kaufprogramms für Unternehmensanleihe das Kreditangebot des Nicht-Bankenmarkts stimulieren und damit das Kreditangebot weiter erhöht wird.

Jedoch geht die EZB auch hier Risiken ein. In ihrem Zwischenbericht von Anfang August, dem „Economic Bulletin“, weist sie aus, dass mehr als jede fünfte Unternehmensanleihe, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) gekauft wurde, eine negative Rendite aufweist. Für die Banken bestehen indes weiterhin hohen Risiken: sollten die Anleger auch künftig ihre Aktien und Anleihen meiden, müssen sie ihre Bilanzen bereinigen. Denn sie sind gezwungen, den hohen Eigenkapitalanforderungen zu entsprechen. Dies führt in der Folge zur Verminderung der Kreditvergabe – und dürfte die EZB zu einer erneuten Ausweitung der Niedrigzinspolitik veranlassen.

Anfang Juli hatte Bundesbank-Präsident Weidmann keine Notwendigkeit gesehen, die Geldpolitik wegen der Brexit-Unsicherheiten zu lockern. Und in der vergangenen Woche bekräftigte er seine Opposition zum Verzicht auf den bisher gesetzten, sogenannten Kapitalschlüssel, da die EZB wegen der italienischen Bankenkrise in Betracht ziehen könnte, asymmetrisch mehr italienische Staatsanleihen zu kaufen. Die Stimme der Bundesbank ist im EZB-Rat jedoch nicht von entscheidendem Gewicht.

Das Thema wirbelt indessen auch innenpolitischen Staub auf. Die EZB-Politik bereitet den Regierenden Sorge, dass in Deutschland vor allem die AfD profitiert. Daher gab es heftige Angriffe auf die Notenbank, wie „Die Welt“ berichtete. Mitte April hatte Finanzminister Schäuble bei einer Veranstaltung in Kronberg laut der Nachrichtenagentur Dow Jones gar erklärt: „Ich habe Mario Draghi gesagt: Sei ganz stolz. 50 Prozent des Ergebnisses einer Partei, die neu und erfolgreich zu sein scheint, kannst du den Auslegungen dieser Politik zuschreiben“.

Dennoch scheinen dies die reinen Wortgirlanden zu sein. Politik und EZB befinden sich nach wie vor im Krisenmodus. Daran ändern auch Schuldzuweisungen nichts.

 

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