Politik

Brasilien: Präsidentin Rousseff gestürzt, sie spricht von „Putsch“

Lesezeit: 2 min
01.09.2016 03:42
Die brasilianische Präsidentin Rousseff ist nach einem Votum des Senats endgültig gestürzt. Neuer Präsident ist Michel Temer. Temer hatte bereits vor Monaten in Washington mit einflussreichen US-Senatoren über den Machtwechsel in Brasilien gesprochen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Der seit Monaten andauernde Machtkampf in Brasilien ist entschieden: Der Senat votierte am Mittwoch klar für die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff, die bereits seit Mai suspendiert war. Drei Stunden später leistete ihr früherer Verbündeter und jetziger Erzfeind Michel Temer den Amtseid als Präsident. Mit der Amtsübernahme durch den 75-jährigen Konservativen enden 13 Jahre linker Regierung im größten Land Lateinamerikas.

Die Senatoren mussten bei der Abstimmung in Brasília auf eine konkrete Frage antworten: „Hat Dilma Rousseff das Verbrechen der Amtspflichtverletzung begangen?“ Darauf antworteten 61 von 81 Senatoren mit Ja, 20 sagten per elektronischer Stimmabgabe Nein. Damit wurde die notwendige Zweidrittelmehrheit klar erreicht, die erste Frau an der Spitze des südamerikanischen Riesenlands war mit sofortiger Wirkung ihres Amtes enthoben.

Ihr Nachfolger Temer wurde am Mittwoch in einer kurzen Zeremonie im Senat vereidigt. Anschließend versprach er bei einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung eine „neue Ära“ für das Land.

Vor seinem Amtsantritt hatte Temer in Washington mit einflussreichen US-Senatoren über einen Machtwechsel in Brasilien gesprochen. Es ging dabei vorrangig um die Interessen der US-Konzerne in Brasilien.

Temer war ursprünglich Vizepräsident, seit der Suspendierung von Rousseff bekleidete er übergangsweise aber schon das höchste Amt im Staat. Der 75-Jährige ist in der Bevölkerung ähnlich unbeliebt wie seine Vorgängerin, deren Entmachtung er aktiv betrieb: Temers Mitte-Rechts-Partei PMDB hatte im März das Koalitionsbündnis mit Rousseffs linksgerichteter Arbeiterpartei (PT) aufgekündigt und damit der bereits wegen Korruptionsaffären in Bedrängnis geratenen Staatschefin den entscheidenden Schlag versetzt.

Der Präsidentin wurde vorgeworfen, Haushaltszahlen geschönt und Geld ohne Zustimmung des Kongresses ausgegeben zu haben – eine Praxis, die auch unter ihren Amtsvorgängern weit verbreitet war. Die 68-Jährige und auch viele Experten sehen die Begründung für das Amtsenthebungsverfahren deshalb als vorgeschoben an – und zwar von den Konservativen, um die Macht im Land auch ohne Wahlen zu übernehmen.

Es habe sich um einen „parlamentarischen Putsch“ gehandelt, erklärte Rousseff am Mittwoch vor ihren Anhängern in Brasília. „Sie haben entschieden, das Mandat einer Präsidentin zu beenden, die kein Verbrechen begangen hat.“ Sie fügte hinzu: „Wir werden zurückkommen.“ Ihr Anwalt José Eduardo Cardozo kündigte an, vor dem Obersten Gerichtshof Berufung gegen die Entscheidung des Senats einzulegen.

Rousseff hatte offenbar bis zuletzt auf einen Verbleib im Amt: Hätte es im Senat keine Zweidrittelmehrheit für ihre Absetzung gegeben, wäre der Fall zu den Akten gelegt worden. Die 68-Jährige hätte bis 2018 im Amt bleiben können – erst dann stehen in Brasilien wieder Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an.

Als Reaktion auf die Entscheidung des brasilianischen Senats kündigte Venezuela an, die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland auf Eis zu legen. Unter anderem solle wegen des „parlamentarischen Staatsstreiches“ der Botschafter aus Brasilien abberufen werden, erklärte das Außenministerium in Caracas. Auch das ebenfalls linksregierte Ecuador kündigte die Abberufung seines Botschafters an.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Politik
Politik Steuern und Abgaben: Mehrheit der Steuerzahler zahlt 2025 noch mehr – mit oder ohne Ampel!
22.12.2024

Das „Entlastungspaket“ der Ampel ist eine Mogelpackung, denn Steuersenkungen sind nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Ab dem 1. Januar 2025...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Politik
Politik Migrationskrise: Asyl-Rekordhoch in Deutschland und die illegale Migration an den Grenzen geht ungebremst weiter
22.12.2024

In Deutschland leben fast 3,5 Millionen Geflüchtete, von Asylsuchenden über anerkannte Flüchtlinge bis zu Geduldeten. Das ist ein neuer...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...