Politik

Syrien: Rückkehr von Flüchtlingen erst nach Ende der EU-Sanktionen

Lesezeit: 4 min
07.08.2018 23:33
Syrien fordert die EU und die USA auf, die Wirtschaftssanktionen aufzuheben, damit alle syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können.
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Der syrische UN-Botschafter Baschar al-Jafaari hat am vergangenen Sonntag alle syrischen Flüchtlinge im Ausland dazu aufgerufen, nach Syrien zurückzukehren, berichtet die syrische staatliche Nachrichtenagentur SANA. Al-Jaafari wies darauf hin, dass die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge nicht nur mit der syrischen Regierung, sondern mit vielen Staaten zusammenhängt, die dem syrischen Volk sogenannte “einseitige Zwangsmaßnahmen auferlegten”, die nicht auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats basieren. Der syrische Diplomat betonte damit, dass eine Rückkehr der syrischen Flüchtlinge direkt davon abhängt, ob die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufgehoben werden. Al-Jafaari fügte hinzu, dass China eine effektive und entscheidende Rolle nicht nur bei der Lösung der Krise in Syrien, sondern auch als permanentes Mitglied des UN-Sicherheitsrats spielt. China sei ein “prinzipientreuer Verbündeter”, was einzigartig sei.

Über die Auswirkungen der EU-Sanktionen gegen Syrien sagte Dr. Joseph Fares, Direktor des italienischen Krankenhauses in Damaskus, im vergangenen Jahr dem Middle East Eye: “Wir können Lachgas, das für Anästhetika benötigt wird, nicht importieren, weil man sagt, dass damit Bomben hergestellt werden können. Wir benötigen Helium, um unsere MRI-Scanner zu kühlen, aber wir dürfen keine importieren. Viele MRI-Zentren sind in ganz Syrien außer Betrieb”. Früher wurde das italienische Krankenhaus von Damaskus teilweise durch Spenden aus Italien finanziert, aber “wir können kein Geld mehr aus Italien bekommen, weil sie keine Gelder an syrische Banken überweisen können”, so Fares. “Die Sanktionen waren auf die syrische Regierung ausgerichtet, aber ich kann nicht verstehen, warum alle Syrer leiden sollten”, meint er.

Die christlich-arabischen Würdenträger Johannes X. von Antiochien, Gregor III. Laham und Mar Ignatius Aphrem II. forderten bereits im Jahr 2016 von der internationalen Gemeinschaft einen sofortigen Stop der Sanktionen gegen Syrien. Sie forderten die internationale Gemeinschaft auf, die “Belagerung des syrischen Volkes zu beenden”, da Sanktionen die Isolation Syriens vorantreiben und die Ärmsten der Armen treffen würden.

Asia Times zitiert die Erklärung: “Obwohl das Hauptziel der Verhängung dieser Sanktionen politischer Natur ist, betrifft ihr Einfluss das Leben des gesamten syrischen Volkes, insbesondere der Armen und der Arbeiterklasse (...) die soziale Situation und die Armut und das Leid der syrischen Bevölkerung nehmen ständig zu. Daher erheben wir, die drei Patriarchen, die in Damaskus leben, wo wir das Leid der syrischen Bevölkerung spüren, (...) unsere Stimme in diesem humanitären Appell und fordern die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen auf der Grundlage der Menschenrechtscharta und anderer internationaler Pakte”.

Am 28. Mai 2018 verlängerte der EU-Rat die restriktiven Maßnahmen der EU gegen das Syrien bis zum 1. Juni 2019. In einer Mitteilung meldet der EU-Rat: “Im weiteren Sinne umfassen die derzeit gegen Syrien verhängten Sanktionen ein Ölembargo, Beschränkungen bestimmter Investitionen, ein Einfrieren der Vermögenswerte der syrischen Zentralbank in der EU, Ausfuhrbeschränkungen für Ausrüstung und Technologie, die zur internen Repression eingesetzt werden könnten, sowie Ausfuhrbeschränkungen über Ausrüstung und Technologie zur Überwachung der Internet- oder Telefonkommunikation.”

Der englischsprachige Dienst von Reuters führt aus: “Vor dem Konflikt produzierte Syrien 90 Prozent der benötigten Medikamente, aber bei Krebsmedikamenten war das Land traditionell auf Importe angewiesen. Elizabeth Hoff, die WHO-Vertreterin in Syrien, sagte, dass die Arzneimittelimporte seit Beginn des Krieges im Jahr 2011 durch erhebliche Kürzungen des Gesundheitsbudgets der Regierung und einen Rückgang des Werts des Syrischen Pfunds um 90 Prozent, sehr teuer geworden sind. Ein Mangel an Bargeld ist jedoch nicht der einzige Grund, warum die Lieferungen von Krebsmedikamenten die steigende Nachfrage weit hinter sich lassen. ,Die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen, die Syrien auferlegt wurden, haben sich stark auf die Beschaffung bestimmter Medikamente - einschließlich Krebsmedikamente - ausgewirkt’, sagte Hoff. Die Sanktionen hätten viele internationale Pharmaunternehmen daran gehindert, mit den syrischen Behörden Geschäfte zu machen, und ausländische Banken daran gehindert, Zahlungen für importierte Drogen zu handhaben, fügte sie hinzu (...) Sowohl in den USA als auch in der EU gelten Ausnahmen für Arzneimittel und andere humanitäre Hilfsgüter. Doch durch die Einschränkung finanzieller Transaktionen und der Blockade von Geschäften mit der syrischen Regierung wirken sich die Sanktionen jedoch indirekt auf den Arzneimittelhandel aus.”

Die UN teilt die Ansicht, das die Sanktionen gegen Syrien eine verheerende Auswirkung auf die Zivilbevölkerung haben. “Ich bin sehr besorgt darüber, wie die Sanktionen umgesetzt werden”, sagte der UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy am 17. Mai 2018. Die UN meldet in einer Mitteilung: “Auf Einladung der Regierung besuchte Herr Jazairy vom 13. bis 17. Mai Syrien und erlebte aus erster Hand, wie die Krise unter anderem die Wirtschaft schwer getroffen hat. Der UN-Sonderberichterstatter sagt: “Ich möchte die Rolle des Konflikts bei der Schaffung dieser schrecklichen Situation nicht verringern, aber ich betone, dass restriktive Maßnahmen die Situation nur verschlimmern. Das syrische Volk sollte nicht leiden müssen für das, was zu einem internationalen Konflikt von unglaublicher Komplexität geworden ist. Alle, die die grundlegenden Menschenrechte erfüllen wollen, brauchen unsere Hilfe, nicht unsere Bürokratie.”

Studie über Auswirkungen der Sanktionen

Die syrische Wirtschaft wurde vor dem Syrien-Konflikt hauptsächlich durch die Landwirtschaft und die Ölproduktion angetrieben, berichtet die University College London in einer aktuellen Studie. Diese beiden Sektoren waren für mehr als die Hälfte des BIP verantwortlich, und etwa 40 Prozent der Arbeitskräfte waren in einem dieser Sektoren beschäftigt. Im Jahr 2009 berichtete die syrische Regierung, dass die Arbeitslosenquote in Syrien etwa acht Prozent betrug und dass die Arbeitslosenquote zwischen 2006 und 2009 nicht höher als elf Prozent war. Im Vergleich zu anderen Staaten im Nahen Osten - wie Jordanien, Libanon, Iran und Ägypten - war die Arbeitslosenquote in Syrien relativ niedrig. Die wichtigsten Exporte in Syrien zwischen 2006 und 2011 waren Erdölprodukte, Baumwollfasern, Weizen, Rohöl und Mineralien. Im Jahr 2010 betrug das syrische BIP 60 Milliarden US-Dollar und machte 0,12 Prozent der Weltwirtschaft aus. Zwischen 2006 und 2010 betrug die jährliche Wachstumsrate des BIP im Durchschnitt fünf Prozent und stieg 2009 auf 5,9 Prozent. Während des Sanktionszeitraum zwischen 2011 bis 2016 wurde die Wachstumsrate negativ. Die Wirtschaftssanktionen, die Syrien auferlegt wurden, hatten verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft. Syrien exportierte von 2006 bis 2011 sehr wenig Rohöl in die USA - im Vergleich zu der Menge, die in die EU exportiert wurde. Aus dieser Hinsicht hatte das EU-Ölembargo viel stärkere Auswirkungen auf die syrische Ölindustrie. Im Jahr 2010 exportierte Syrien 32 Prozent seiner Energieträger nach Deutschland und 31 Prozent nach Italien. Darauf folgten Frankreich mit einem Anteil von elf, die Niederlande mit einem Anteil von neun, Österreich mit einem Anteil von sieben, Spanien mit einem Anteil von fünf und weitere Staaten mit einem Anteil von fünf Prozent.

Von 2011 bis 2016 stieg der Preis für Lebensmittelprodukte auf einen Betrag, der für syrische Familien unbezahlbar wurde. Die Kosten für eine Woche Grundnahrungsmittel waren im Jahr 2016 acht Mal so teurer wie im Jahr 2011, da die Wirtschaftssanktionen eine massive Inflation ausgelöst hatten. Ende 2016 berichtete das Welternährungsprogramm (World Food Program), dass vier von fünf Syrern in Armut lebten und Schwierigkeiten hatten, täglich genug Nahrungsmittel zu kaufen Die Armutsquote stieg von 12,4 Prozent im Jahr 2007 auf 83 Prozent im Jahr 2014.

Vor dem Syrien-Konflikt lebten in Syrien nach Angaben der UN 22 Millionen Menschen. Mittlerweile sind 13,5 Millionen Syrer auf humanitäre Hilfen angewiesen. Die Anzahl der Binnenflüchtlinge liegt bei sechs Millionen Menschen, während fünf Millionen Syrer ins Ausland geflohen sind. In der Türkei leben 3,53 Millionen syrische Flüchtlinge. In Jordanien befinden sich 668,123 und im Libanon 976.002 syrische Flüchtlinge. Die Anzahl der gesamten Flüchtlinge in Deutschland beläuft sich dem UNHCR zufolge auf 970.365. Dem Mediendienst Integration zufolge sind seit dem Jahr 2011 etwa 700.000 syrische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.


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