Weltwirtschaft

Goldrausch in Südamerika: Ausbeutung von Mensch und Natur

Lesezeit: 5 min
29.10.2015 01:45
Seit 2008 gibt es in Lateinamerika einen neuen und anhaltenden Goldrausch. Da in den Anden das fünftgrößte Goldvorkommen der Welt vermutet wird, zieht die karge Region nicht nur eifrige Goldschürfer an, sondern vor allem Drogenkartelle und menschliche Ausbeuter. Die Folgen sind künstliche Städte mit schlechtesten hygienischen Bedingungen, Sklaverei, Prostitution und massive Umweltverschmutzungen durch die benötigten Chemikalien für den Goldbergbau. Die daran beteiligten Firmen kommen auch aus Europa.
Goldrausch in Südamerika: Ausbeutung von Mensch und Natur

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Ein genauer Blick auf die Kurshistorie des Goldpreises bei der Deutschen Boerse während der vergangenen zehn Jahre reicht aus, um zu erkennen, dass der Preis des Edelmetalls seit 2005 weltweit um 240 Prozent gestiegen ist. Der Höchstpreis der Reinunze wurde 2012 mit 1.254,00 Euro notiert, der jedoch schon im Folgejahr um 30,4 Prozent einbrach und sich seitdem mit beachtlichen Schwankungen nur langsam erholt. Laut Voraussage des Gold Price Forecast 2015-2016, wird der Goldpreis weiterhin mit dem Trend des allgemeinen Rohstoffpreisverfalls Schritt halten und sich bis Mitte 2016 auf max. 1.000,00 einpendeln.

Als Gründe für die Goldflaute werden Nachfrage-Minderung für Ersatz- oder Schutzinvestitionen nach Bannung der Grexit-Gefahr, niedriger Erdölpreis, die Zinserhöhung und Dollar-Aufwertung in den USA und – das entscheidende Motiv – ein 16 prozentiger Einbruch der Schmuck-Käufe in Indien und China genannt, die den weltweiten Goldverbrauch anführen.

Nach dem Bankencrash von 2008 und dem rasant Anstieg des Goldpreises, begann in Südamerika ein neuer Goldrausch, der die gegenwärtige Talsohle in Kauf nimmt, insbesondere in Peru. Die Bilanz der Plünderung wurde bereits im Klassiker Earl J. Hamiltons “American Treasure and the Price Revolution in Spain, 1501-1650“ (Cambridge, 1934) mit den Regeln akkribischer Buchhaltung nachgewiesen.

Fünfhundert Jahre nach Francisco Pizarros blutigem Beutezug gegen das Inka-Reich – der nach Eintragungen des spanischen Fiskus bis 1650 der Neuen Welt, insbesondere Mexiko und Peru,16.900 Tonnen Silber und 181 Tonnen Gold entriss – schätzt die peruanische Gesellschaft für Bergbau, Erdöl und Energieerzeugung (SNMPE, 2012) die noch in den Anden und Amazonas-Tälern begrabene Goldvorkommen auf ca. 2,8 Millionen Tonnen. Auf die führenden transnationalen Goldschürfer wirkte die Nachricht unwiderstehlich. Mit umgerechnet 11 Milliarden Euro schweren Investitionen im Goldbergbau rangiert das Andenland nun auf Platz 5 der globalen Golderzeugung.

Allerdings sind die Justizbehörden des Andenlandes über schätzungsweise 2 Milliarden Euro alarmiert, die der sogenannte „informelle Sektor“ umsetzt. In weniger als zehn Jahren hat der Boom 550.000 individuelle Goldgräber aus sämtlichen Landesteilen, aber auch Kokain-Narco-Kartelle Kolumbiens und Perus in das undurchschaubare Minenlabyrinth gelockt.

Erfolgreich konnten die „Narcos” mit ihren Drogenerlösen die wilde Goldschürfung als schwer nachweisbare Geldwäsche nutzen – vor allem im amazonischen Departement Madre de Diós (20 Tonnen Jahresproduktion 2013). Gleichzeitig bescherten sie Peru jedoch eine Umweltkatastrophe unbekannten Ausmaßes. Umweltschäden und Drogenkartelle riefen die Regierungen Brasiliens, Venezuelas, Bolíviens, Equadors, nun auch Chiles und Perus auf den Plan. Mit ausgedehnter Grenzsicherung durch Militär und der Verschärfung der Umweltauflagen versucht man die „minería ilegal” unter Kontrolle zu bringen.

Gleichwohl sind Umweltschäden mit dramatischen sozialen Auswirkungen nicht allein eine Folge der illegalen Unternehmen, sondern auch der Umtriebe transnationaler Bergbaukonzerne, wie des kanadischen Barrick Gold, neben Newmont Mining Corporation (USA) der größte Goldschürfer in Südamerika.

In den 1990er Jahren unterzeichnete Barrick ein trilaterales Abkommen mit den Regierungen Argentiniens und Chiles zur grenzüberschreitenden, 400 km² großen Gold-Exploration im Andengebiet Pascua Lama-Veladero. Das Problem: Die Mine liegt an den Quellen des Huasco und bedroht sowohl dessen spärlichen Strom, der die Landwirtschaft von 70.000 Diaguita-Indianern Chiles bewässert, als auch das argentinische Biosphären-Reservat San Guillermo. Denn der Huasco wird von den Gletschern Toro 1, Toro 2 und Esperanza gespeist, deren Eisvolumen wegen Verdreckung laut Chiles Wasseraufsichtsbehörde (Dirección General de Águas) bereits um 50 bis 70 Prozent dahingeschmolzen ist.

Als der Widerstand der Betroffenen die Gerichte erreichte, präsentierte Barrick den lächerlichen Plan, die Gletscher abzutragen und „umzubetten“. Doch die indianischen Landwirte beeindruckten die Justiz auch mit Beweisen für Barricks chemischer „Entsorgung“, nämlich die Wasserverseuchung durch Cyanid, Arsen und Schwefelsäure sowie die Luftverschmutzung mit Blei-, Uran-, Asbest-, Zink-, Kobalt- und Mangan-Staub – und nicht zuletzt mit Quecksilber-Verdunstungen.

Nach jahrelanger Rechtsfehde erließ Chiles Oberster Gerichtshof 2013 schließlich ein unwiderufbares Urteil: Das Betriebsverbot für die Mine Pascua-Lama. Mit geplanten, langfristigen Investitionen von umgerechnet 7,5 Milliarden Euro, wurden davon bisher 3,25 Milliarden sprichwörtlich in Sand gesetzt.

Etwa 1800 km nördlich vom Huasco-Tal, spielt sich in den Andengipfeln Perus ein weiteres Gold-Drama ab: La Rinconada. Das Goldgräber-Dorf ist drei bis vier Busstunden vom südperuanischen Juliaca, an den Ufern des legendären Titicaca-Sees, entfernt. Von der Regierung in Lima lange ignoriert, folgten in den vergangenen zwanzig Jahren mindestens 40.000 Menschen dem Lockruf des Goldes und nisten seitdem auf 5100 m Höhe unter dem Ananea-Gletscher, wo der Winter fünf Monate lang wütet – mit klirrenden Nächten bei -20 Grad Kälte.

Die Hängenden Gärten Babylons verblassen hier zum gemeinen Spott: La Rinconada, die höchstgelegene „Stadt“ auf Erden, ist die Hölle unter dem greifbar nahen Himmel. Das dem Kreis Juliaca zugeordnete Gemeinwesen ist eine stinkende Senkgrube, hunderter ineinander verschachtelter Wellblechhütten ohne Wasserversorgung, Toiletten oder beheizte Unterkünfte. In den Ablaufrinnen und Pfützen neben den schmalen Fusswegen mischen sich Fäkalien mit Tonnen von Essensresten, Kehricht, verrotteten Plastiktüten und lebensgefährlichen, chemischen Ablagerungen aus den Laugenbädern der Goldtrennung. Mindestens 1000 Prostituierte, zumeist minderjährige Bolivianerinnen ohne Ausweispapiere, dienen als Animierdamen in obskuren Bars. Quecksilber-Verdunstungen aus der Goldtrennung mischen sich in die ohnehin dünne Luft, steigern das Schwindelgefühl der Höhenkrankheit und lösen Atemwegserkrankungen mit starken Kopfschmerzen und Brechreiz aus.

Die Minenarbeiter werden von hunderten sogenannter „Arbeitsvermittler“ („Sklavenhändler“ im Zeitarbeit-Jargon) an Corporación Ananea „vermietet“ – eine von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit 2004 ins Leben gerufene, private Goldhütte, die ihre gesamte Ausbeute an die in Juliaca ansässige Metalor Peru verkauft. Metalor ist eine Filiale der in Neuchatel ansässigen Goldschmelze Métaux Précieux SA Metalor, gegründet von der Bankenvereinigung UBS. Mit 37 prozentigem Anteil am Export ist die Schweiz wichtigster Bestimmungsmarkt der peruanischen Goldausfuhren.

Die „mineros” schuften monatlich 30 Tage ohne einen Pfennig Lohn von Corporación Ananea. Als „Gegenleistung“ dürfen sie am letzten Tag des Monats für sich selbst die Stollen nach einem winzigen Gramm Gold abjagen, das sich – hoffentlich! – in den bis zu 40 kg schweren Gesteinsäcken versteckt, die sie ans Tageslicht schleppen.

Die Goldtrennung unter freiem Himmel wird mit hochgiftigen Quecksilber- und Cyanid-Laugen betrieben, bei der Gewinnung von einem Kilogramm Gold werden im Extremfall bis zu 25 kg Quecksilber verschleudert, die sich ins Eis fressen, die Hänge des Ananea herunterlaufen und die Gewässer der Nebenflüsse verseuchen, die den Titicaca speisen.

„Cachorreo” wird diese Variante der Sklaverei genannt, die noch zu Zeiten der spanischen Kolonialzeit eingeführt wurde. Nur 5 Prozent der Goldgräber haben ein regelmäßiges, monatliches Einkommen, die überwiegende Mehrheit erwirtschaftet kaum mehr als zehn Goldgramm und fristet ein miserables Dasein.

Gegen die Goldhütte Ananea und ihren Hauptabnehmer Metalor wird gerichtlich ermittelt – doch nicht allein wegen Umweltschädigung, sondern Goldschmuggel in beachtlichen Mengen. Jährlich werden aus Peru 180 Tonnen Gold geschmuggelt, berichtete der peruanische Sender TV América am 6. Oktober 2013. Seitdem ermittelt die Justiz nicht nur gegen die organisierte Kriminalität der Drogenkartelle, sondern auch gegen ehrbare ausländische Konzerne, darunter Metalor aus der Schweiz, der die Industrie der Luxus-Armbanduhren mit Gold versorgt.

Die aufsehenerregende Reportage „Oro sucio: la pista detrás del London Bullion Market“ (Schmutziges Gold – Auf den Spuren des London Bullion Market, Lima, 9.6.2015) förderte die unrechtmäßigen Geschäfte zahlreicher Goldkonzerne ans Tageslicht. Darin behaupten die Autoren der peruanischen Agentur Ojo Público, dass auch Ananea-Förderer Metalor sich am landesweiten „Goldkauf illegalen Ursprungs“ beteiligt habe, weshalb die Justiz unter anderem gegen die schweizerische MKS Finance, NTR Metals, Republic Metals Corporation und Italpreziosi ermittelt. Metalor bestreitet den Vorwurf, doch die Angaben beruhen auf den Ermittlungsakten Julia Príncipes – Staatsanwältin für die Untersuchung gewaschener Vermögenswerte – und Gustavo Romero, Zolldirektor in der Steuer- und Zollbehörde (Sunat).

Die Ermittlungen der peruanischen Justiz stehen offenbar im Zusammenhang mit Entüllungen der schweizerischen Justiz, über die die Zürcher Handelszeitung vom 08.01.2013 ausgiebig berichtete: „Goldraffinerien: Unter dem Radar – Regulierung. Die Schweizer Schmelzen sind Weltmarktführer. Trotz Milliardenumsätzen wird ihr Geschäft kaum überwacht“.

In der Tat, ein schmutziges, gemessen an der Versklavung in La Rinconada, gar ein obszönes Geschäft.


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