Politik

Neuer türkischer Premier Davutoğlu: Eine Stütze im System Erdoğan

Lesezeit: 3 min
22.08.2014 00:42
Der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu rückt in das Amt des Premierministers vor. Europäische Diplomaten sind unzufrieden mit dem neuen Premier. Davutoğlu gilt als treuer Gefolgsmann des zum türkischen Präsidenten aufgestiegenen Recep Tayyip Erdoğan. Erdoğan will mit es mit einer Revolution von oben seinem großen Vorbild Wladimir Putin nacheifern und die Türkei autokratisch regieren.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Türkei  

In der Türkei will sich der künftige Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine bislang ungeahnte Machtfülle sichern. Eine Zentralfigur in seiner Strategie ist der langjährige Außenminister Ahmet Davutoğlu, der künftig die Regierungsgeschäfte leiten wird.

Zugleich soll er Erdoğan als Chef der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP quasi als Statthalter dienen, um seine Pläne für einen Umbau der politischen Führung durchzuboxen. Für beide Posten wurde er am Donnerstag von der AKP nominiert.

Die Financial Times zitiert den türkischen Ex-Außenminister Yaşar Yakış:

„Erdoğan wird die Türkei von seinem Präsidenten-Posten aus regieren. Dabei ist es unwesentlich, ob die Türkei zu einem präsidentiellen Regierungssystem umgebaut wird oder nicht (...) Ich glaube nicht, dass sich Davutoğlu seinen Anordnungen widersetzen wird.“

Am Ende soll Erdoğan, dem ein autokratischer Stil nachgesagt wird, die eigentliche Macht im Staat innehaben: Diese „Revolution von oben“ ist jedoch mit Risiken verbunden. Die Rating-Agentur Fitch warnte, mit seinen Plänen werde Erdoğan Investoren vergraulen. Damit könnte auch sein Traum platzen, die Türkei bis 2023 unter die zehn größten Wirtschaftsnationen der Welt zu führen.

Die Bonitätsnote, die mit „BBB-“ eine noch passable Kreditqualität signalisiert, tastete Fitch nicht an. Die Agentur erwägt jedoch eine Herabstufung. Dies wäre schlecht für die unter Kapitalflucht leidende Türkei. Jahrelang hatte die rasch wachsende Wirtschaft des Landes am Bosporus Gelder aus dem Ausland wie ein Magnet angezogen. Seit die US-Notenbank über eine Normalisierung ihrer Geldpolitik nachdenkt, haben viele Investoren jedoch Kapital abgezogen. Zugleich hat die Notenbank mit einer erhöhten Inflation zu kämpfen, für die Erdoğan ausgerechnet die Zentralbanker verantwortlich macht. Immer wieder forderte er sie zu kräftigen Zinssenkungen auf und rief damit den Argwohn der Bonitätswächter hervor: Erdoğans Druck auf die Zentralbank könne deren ohnehin „dürftige Glaubwürdigkeit aushöhlen“ und somit Investoren zusätzlich abschrecken, so die Warnung von Fitch.

Der neue Ministerpräsident von Erdoğans Gnaden muss zugleich international mit Gegenwind rechnen, da in seiner Zeit als Außenminister das Verhältnis zu den Nachbarstaaten in der Region von Ägypten bis Iran gelitten hat. Er übernimmt die Regierung des Nato-Landes in politisch schwierigen Zeiten. Der Vormarsch der Extremisten-Organisation Islamischer Staat (IS) im Nordirak und somit im Hinterhof der Türkei hat die USA zum Eingreifen in den Konflikt aufseiten der Kurden gebracht. Auch Deutschland plant nun, die Kurden in ihrem Kampf gegen die Islamisten mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Die Türkei sieht dies mit Argwohn, da es im eigenen Land eine kurdische Minderheit gibt, die nach Jahren des Kampfes erst seit vorigem Jahr zu einer Waffenruhe übergegangen ist. Die Türkei lehnt einen eigenen Kurdenstaat strikt ab.

Davutoğlu dürfte so mit Startschwierigkeiten zu kämpfen haben: „Im Nahen Osten ist er quasi persona non grata. Er ist isoliert“, meint ein europäischer Diplomat hinter vorgehaltener Hand. Dabei hatte sich Davutoğlu das Ziel gesetzt, eine "Null-Problem-Politik" mit den Nachbarn zu fahren und die Türkei stärker zu einer Regionalmacht an der Grenze zwischen Orient und Okzident aufzubauen. Doch stattdessen kam es zu einer Abkühlung der Beziehungen - insbesondere auch zu Israel. Die Türkei hatte sich im Gaza-Konflikt klar auf die Seite der Palästinenser geschlagen, bei denen die extremistische Hamas mitregiert. Erdoğan verglich Israels Vorgehen sogar mit der Strategie Hitlers und zog damit heftige Kritik aus dem jüdischen Staat auf sich.

Im Wahlkampf hat Erdoğan seinen Anhängern versprochen, eine „neue Türkei“ zu schaffen. Gegner warnen jedoch, er polarisiere das Land mit seiner Strategie. Erdoğan wurde im August als erster Präsident der Türkei direkt gewählt und kann mit diesem Votum des Volkes im Rücken ganz anders auftreten als sein scheidender Vorgänger Abdullah Gül. Der hatte ein weitgehend zeremonielles Amt inne. Zugleich durchkreuzte Erdoğan dessen Ambitionen auf einen Wechsel in das Amt des Ministerpräsidenten durch einen geschickten Schachzug: Indem er den Parteikonvent zur Bestätigung des Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten auf den 27. August legte, nahm er Gül die Möglichkeit zur Kandidatur. Dieser darf als Staatschef nicht in der Partei aktiv sein. Dieses Gebot unterläuft Erdoğan hingegen elegant, indem er seinen Gefolgsmann Davutoğlu an die Spitze der Partei hievt. Eine Strategie, die aufgehen dürfte: „Davutoğlu ist wohl der gefügigste Ministerpräsident, der sich denken lässt“, meint ein europäischer Diplomat, der sich damit aber nicht offen zitieren lassen möchte. Der langjährige Außenminister habe keine Hausmacht in der Partei und sei somit voll auf die Unterstützung Erdoğans angewiesen.

Nachdem er sein Haus bestellt hat, schielt Erdoğan bereits auf die Parlamentswahlen im Juni 2015, die der AKP einen großen Triumph bescheren sollen. Für eine Umwandlung in eine Präsidialdemokratie bedarf es einer Verfassungsänderung, die nur mit eine Zweidrittelmehrheit im Parlament oder einem Votum des Volkes möglich ist.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...