Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Italien steigt aus der Energie-Charter der EU aus – warum?
Pia Eberhardt: Offiziell hat Italien angegeben, Kosten für die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen sparen zu wollen. Hinter den Kulissen spielen aber sicherlich zwei Entwicklungen eine Rolle: Erstens sieht sich Italien seit letztem Jahr mit einer Investor-Staat-Klage auf Basis des Energiecharta-Vertrags konfrontiert, wegen Entscheidungen im Solar-Sektor. Es gibt Gerüchte von weiteren Klagen, die gerade vorbereitet werden. Und zweitens plant Italien gerade eine Reihe von Mega-Energie-Infrastruktur Projekten wie die Trans-Adria Pipeline. Das Land will sich offensichtlich gegen weitere teure Klagen im Energiebereich in der Zukunft schützen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Italien wird derzeit mit Schiedsgerichtsklagen überzogen: Welche Kosten könnten auf die italienischen Steuerzahler im schlimmsten Fall zukommen?
Pia Eberhardt: Wir wissen bisher nur von einer Investor-Staat-Klage gegen Italien - was aber nicht heißt, dass es nicht andere gibt bzw. weitere in Vorbereitung sind. Von der laufenden Klage wissen wir nur, dass es um ein Photovoltaik-Projekt geht, aber wir wissen nicht, wie viel Schadensersatz die Investoren fordern. Nimmt man andere Investor-Staat-Klagen sowie die durchschnittlichen Rechtskosten in den Verfahren als Maßstab wird aber klar, dass die Kosten für die italienischen SteuerzahlerInnen im mehrfachen Milliardenbereich liegen könnten, wenn Italien die Klage verliert.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Italien hat gesagt, dass der Austritt erst in 20 Jahren vollzogen sein wird: Auf welche Kosten muss sich Italien aus den laufenden Verfahren einstellen?
Pia Eberhardt: Der Austritt wird bereits im Januar 2016 wirksam. Dank einer für Investitionsverträge typischen "Zombie-Klausel" wird der Investitionsschutz aber danach noch 20 Jahre weiter gelten. D.h. Italien muss weitere 20 Jahre mit Klagen auf Basis eines gekündigten Vertrages rechten. Das könnten unendlich viele Klagen mit unendlichen hohen Schadensersatzforderungen werden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was ist mit anderen Ländern – Spanien hat auch die Erneuerbaren Energien sehr stark gefördert. Könnte dort Ähnliches drohen?
Pia Eberhardt: Spanien wird wegen seiner Energiepolitik bereits übersät mit Klagen (siehe Kapitel 4). Allerdings hat das bisher nicht zu einem Umdenken in Punkto Investitionsschutz in der spanischen Regierung geführt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Bei Spanien ist es unseres Wissens so, dass die Spanier die ausländischen law-firms aus dem Land gejagt haben und es mit heimischen Kanzleien versucht haben, damit allerdings ziemlich erfolglos waren. Wissen Sie darüber?
Pia Eberhardt: Das ist mir neu, ist aber sehr interessant. Dass sie damit nicht sehr erfolgreich sind, würde mich nicht wundern. Die top-Kanzleien in dem Feld haben einen enormen Wissens- und Netzwerkvorsprung gegenüber den Rechtsabteilungen von Regierungen. Tschechien hat z.B. erst angefangen, Klagen nicht zu verlieren als das Land die teuren Kanzleien engagiert hat.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Könnte Deutschland in eine ähnliche Lage geraten?
Pia Eberhardt: Natürlich. Kein Land ist vor Investor-Staat-Klagen gefeit und der Energiesektor gehört bereits heute zu den Sektoren in denen Unternehmen aktiv klagen. Anwaltskanzleien machen weltweit Werbung für Investor-Staat-Klagen wegen gekürzter Förderungen im Bereich Erneuerbare Energien.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es schon Schiedsgerichtsklagen wegen gekürzter Förderungen im Bereich der Erneuerbaren Energien gegen Deutschland?
Pia Eberhardt: Nicht, dass ich wüsste. Ausschließen lässt sich das aufgrund der Intransparenz der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aber nicht - manchmal weiß die Öffentlichkeit leider noch nicht einmal, dass es eine Klage gibt. Gut möglich ist außerdem, dass mit Klagen gedroht wird, um politische Entscheidungen in diesem Bereich zu beeinflussen. Die Hauptfunktion der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit liegt nämlich heute nicht mehr in den tatsächlichen Klagen, sondern in der einzigartigen Drohkulisse, die sich damit aufbauen lässt und die wie ein globales Zwangskorsett für die Politik wirkt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Deutschland will aus der Kohle aussteigen – man kann erwarten, dass zum Beispiel Vattenfall auch hier klagen wird?
Pia Eberhardt: Ausschließen kann man das nicht.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im CETA sind die ISDS festgeschrieben – was bedeutet das für die einzelnen Mitgliedsstaaten?
Pia Eberhardt: CETA räumt kanadischen Investoren in der EU weitreichende Klagerechte ein. Damit erhöht sich sowohl für die EU als auch ihre Mitgliedstaaten das Risiko, von kanadischen Investoren verklagt zu werden. Wir befürchten besonders Klagen im Bergbau, Öl- und Gassektor, in denen kanadische Unternehmen sehr aktiv sind und es bereits umstrittene Projekte in einigen EU-Staaten gibt.
Auch kanadische Tochterformen von in den USA ansässigen Multis können auf Basis von CETA europäische Regierungen verklagen, wenn sie ihre Investitionen entsprechend strukturieren. Selbst dann, wenn es ISDS im TTIP möglicherweise nicht gibt. Laut Recherchen der kanadischen Verbraucherschutzorganisation Public Citizen könnten das 4 von 5 in Europa aktiven US-Unternehmen sein (oder auch über 41,000 von insgesamt über 51,000 Unternehmen).
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Bezüglich TTIP wird nun argumentiert, man könne überlegen, ISDS aus dem TTIP rauszunehmen. Geht das überhaupt? Oder ist das eher eine Finte?
Pia Eberhardt: Das ist rein eine Frage des politischen Willens. Natürlich könnte es TTIP ohne ISDS geben - so wie die USA auch ein Freihandelsabkommen mit Australien ohne ISDS unterzeichnet haben. In Punkto TTIP hat die Europäische Kommission aber jüngst klar gemacht, dass sie ISDS unbedingt im TTIP verhandeln will, d.h. hier ist kein Umdenken zu erkennen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EU will künftig selbst die Schiedsgerichte besetzen. Wie weit sind diese Pläne gediehen – und ist das eine gute Idee?
Pia Eberhardt: Es gibt von Seiten der EU viel Propaganda in Bezug auf die Reform der Schiedsgerichte. Relevant ist aber nicht, was die Kommission in Propaganda-Papieren verspricht, sondern was sie tatsächlich verhandelt. Und da ist der CETA-Vertrag aufschlussreich, der ja erst im September fertig verhandelt wurde und demnächst den Mitgliedstaaten und dem Europaparlament zur Ratifizierung vorgelegt werden wird.
Im CETA wird am System der von den Streitparteien ernannten SchiedsrichterInnen nicht gerüttelt. D.h. Investoren wird in zukünftigen CETA-Klagen weiterhin das Privileg eingeräumt, 50% des Tribunals zu bestimmen. Das wäre so als würden Sie in einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht 50% der RichterInnen auswählen können, so dass sie Ihnen möglichst freundlich gesinnt sind. Die SchiedsrichterInnen in zukünftigen Klagen auf Basis von CETA werden weiterhin aus einem kleinen Pool privater AnwältInnen kommen, die einen starken systemischen Anreiz haben, zugunsten des Investors zu entscheiden. Der CETA-Vertrag verbietet noch nicht einmal, dass diese SchiedsrichterInnen in anderen Verfahren nebenher als AnwältInnen für Investoren arbeiten - ein schreiender Interessenkonflikt, der in einem unabhängigen Rechtssystem undenkbar wäre.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Laut Ceta haben die Unternehmen nicht 50% der Mitglieder des Tribunals. Das Unternehmen stellt einen, der Staat einen und auf den dritten müssen sich die beiden einigen. Dieser darf keinem Unternehmen angehören oder mit ihm verbunden sein...
Pia Eberhardt: Aber genau das bedeutet doch de facto, dass sie 50% des Schiedsgerichts auswählen. Eine Person bestimmen sie direkt, und den Vorsitzenden können sie eben auch mitbestimmen. Einer als "staatsfreundlich" geltenden Person würden sie nie zustimmen. Das ist wirklich ein ganz enormes Privileg in einem Rechtssystem (neben anderen Privilegien wie dem direkten Zugang zu rückwirkenden Kompensationszahlungen, den es so vor nationalen Gerichten nicht gibt sowie der Möglichkeit, für Dinge entschädigt zu werden, die im nationalen Verfassungsrecht und auch im Europarecht schlicht nicht entschädigbar wären).
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie können sich die Staaten und Bürger gegen diese Verfahren schützen? Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen, um zu verhindern, dass die Steuerzahler mit Milliarden-Risiken konfrontiert werden, von denen sie nicht einmal erfahren?
Pia Eberhardt: Der einzig wirksame Schutz gegen Investor-Staat-Klagen ist, keine Verträge zu unterzeichnen, die solche Klagen ermöglichen. Mit anderen Worten: kein ISDS in TTIP, CETA und auch nicht in anderen Verträgen. Sobald sie Investoren die Klagerechte übertragen und sobald sie die Entscheidungen über die Klagen in die Hände von privaten Schiedsgerichten mit einem Eigeninteresse an dem System legen (Interesse an immer mehr Klagen, an länger dauernden Klagen, an immer teureren Klagen etc. - eben alles, was Geld, Karriere und Prestige dieser Leute in die Höhe treibt), machen die mit ihnen, was sie wollen.
Es gibt ausreichend Schutz von Privateigentum in Europa - in nationalen Verfassungen, dem Europarecht, der Europäischen Menschenrechtskonvention etc. Und es gibt Gerichte, die zu den unabhängigsten und effizientesten der Welt gehören - von Verwaltungsgerichten bis zum EuGH und dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Es gibt daher überhaupt keine Rechtfertigung für irgendwelche Sonder-Privateigentumsrechte und Sonder-Gerichte für ausländische Investoren, die letztendlich nichts anderes konstituieren als ein neues Supergrundrecht auf ungestörte Investitionsausübung.
Pia Eberhardt arbeitet für den Brüsseler Watchdog Corporate Europe Observatory (CEO), der sich die Überwachung von Transparenz und Rechtsstaatlichkeit in der EU zum Ziel gesetzt hat.