Gemischtes

Spanien: Protestieren steht ab sofort unter Strafe

Spaniens rigides Anti-Demonstrationsgesetz ist trotz massiver Proteste aus Bevölkerung, Politik und Justiz in Kraft getreten. Ab sofort können Behörden für Teilnahme oder den Aufruf zu Demonstrationen Geldbußen bis zu 600.000 Euro verhängen. Die Polizei kann Bürger für die Ausübung ihrer Grundrechte ohne jede richterliche Entscheidung finanziell bestrafen.
08.07.2015 03:20
Lesezeit: 2 min

Spaniens höchst umstrittenes Anti-Protest Gesetz trat trotz massiver Proteste Anfang Juli in Kraft. Das neue Sicherheitsgesetz – von Gegnern „Knebelgesetz“ genannt, wird von Bürgern, Oppositionsparteien, Richtern, Anwälten und Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen und dem Europarat gleichermaßen kritisiert. Sie werfen der Regierung von Mariano Rajoy vor, mit dem Gesetz grundlegende Bürgerrechte wie die Freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht aushebeln, um Proteste zu verhindern.

Die Beschränkungen beinhalten das Demonstrieren in der Nähe der Regierungsgebäude, die zu Geldstrafen von bis zu 600.000 € führen können. Auch das Fotografieren von Polizisten ist ab sofort per Strafe verboten. Die Polizei bekommt weitreichende Befugnisse, kann Bürger direkt mit bis zu 600 Euro bestrafen, wenn sie sich „respektlos“ behandelt fühlen und jede friedliche Versammlung in der Öffentlichkeit auflösen, sofern eine „zuständige Behörde“ dies anordnet. Das Gesetz kriminalisiert auch das Blockieren von Zwangs-Räumungen - eine seit dem Beginn der Wirtschaftskrise weit verbreitete Solidaritätspraxis in Spanien, wo zahllose Bürger mit ihrem Arbeitsplatz auch ihre Häuser verloren, da sie nicht mehr in der Lage waren, ihre Hypotheken zu bezahlen. Nicht nur das Mitmachen, bereits das Verbreiten einer solchen Demonstration etwa über Twitter oder Facebook-Posts wird strafbar.

Nur 7 Prozent der Bürger unterstützen laut Umfrage das Gesetz, seit Monaten gibt Massendemonstrationen gegen die Einführung. Dazu haben die Bürger sogar eine Hologramm-Demo organisiert, bei der statt physischen Menschen eine virtuelle Masse von  Protestierenden auf die Straße vor das Parlament projiziert wurde.

Alle Oppositionsparteien haben bereits gesagt, dass sie das Gesetz aufheben, wenn sie eine Mehrheit in der spanischen Wahlen noch in diesem Jahr zu erreichen. „Die ,Knebelgesetze' dauern so lange wie die Regierung Rajoy. Sobald wir in der Regierung sind werden sie aufgehoben“, so die sozialdemokratischen Führer Pedro. Die Protestpartei Podemos hat ebenfalls die sofortige Abschaffung der „unnötigen und ungerechten Gesetze“ in ihr Wahlprogramm geschrieben. Die spanische Zeitung El Diario schreibt: "Was auch passiert - nach diesem Gesetz hat die Regierung immer Recht."

Richter Joaquim Bosch, Sprecher der Organisation Richter für Demokratie kritisiert im EU-Observer: „Es ist kein Gesetz für die Sicherheit der Bürger, sondern ein Gesetz für die Regierung, um die Bürger vom Protestieren abzuhalten. Alle Meinungsumfragen zeigen, dass die spanischen Bürger sich keine Sorgen um ihre Sicherheit machen, sondern um die Wirtschaftslage und die politische Korruption.“

Das Hauptproblem sei, dass das Gesetz versucht, die Gerichte bei Entscheidungen zu umgehen, die die die Grundrechte der Bürger berühren. Um die Justiz zu umgehen, werden alle Delikte als Vergehen geahndet: So können die Geldstrafen direkt ohne Gerichtsverfahren durchgesetzt werden. Allerdings sind die Straf-Beträge nicht weniger abschreckend als Gefängnis: Schwere Vergehen können zwischen 30.000 € und 600.000 € kosten. „Die politische Macht bestraft direkt, durch Verwaltungsbehörden ein bestimmtes Verhalten das mit Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht verbunden ist. Auf diese Weise verwandelt sich die Regierung in Richter und Jury, um die Kritiker ihrer Regierungsweise zum Schweigen zu bringen“, so der Richter.

Bosch kritisierte außerdem die ebenfalls in Kraft getretenen Strafgesetz-Reformen, die Gefängnisstrafen auch für diejenigen vorsehen, die friedlich in einer Bank protestieren oder Inhalte über soziale Netzwerke verbreiten, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen könnten. „Strafen wurden verschärft. Dies ist unnötig, in einem Land, das die niedrigsten Quote von Straftaten pro Kopf in ganz Europa hat“, fügt er hinzu.

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Frühere AfD-Chefin: Frauke Petry kündigt Gründung neuer Partei an - Alternative für die FDP?
11.05.2025

Die frühere Vorsitzende der AfD will vom kommenden Jahr an mit einer neuen Partei bei Wahlen antreten. Ziel der Partei soll sein, dass...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands Zukunft? Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung
11.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Ölpreis: OPEC-Konflikt eskaliert – Saudi-Arabien warnt vor Marktchaos
11.05.2025

Ein gefährlicher Riss geht durch die mächtige Allianz der OPEC-Plus-Staaten. Statt mit geschlossener Strategie die Preise zu...

DWN
Politik
Politik Kann Deutschland Europa retten? Der neue Koalitionsvertrag offenbart alte Schwächen
11.05.2025

Zum Europatag 2025 richtet sich der Blick erneut nach Berlin. Die Erwartungen an Deutschland sind hoch – nicht nur innerhalb der Union,...

DWN
Finanzen
Finanzen Börsenkrisen: Warum Volatilität kein Risiko ist
11.05.2025

Wenn die Börsen Achterbahn fahren, zittern viele Anleger. Doch Panik ist oft der schlechteste Berater – denn was aussieht wie ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...