Generalbundesanwalt Harald Range will die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org vorerst ruhen lassen. Range sagte der FAZ, er wolle mit „Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit“ von „nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen" absehen.
Der Generalbundesanwalt sagte der FAZ, die Einleitung der Ermittlungen sei formal notwendig gewesen, um per Gutachten festzustellen, ob es sich bei der Veröffentlichung überhaupt um den Verrat von Staatsgeheimnissen handle.
Netzpolitik hatte über die Tätigkeit der NASA SNA NSA in Deutschland berichtet.
Das klingt allerdings nicht besonders glaubwürdig. Denn wenn es sich witklich um eine ergebnisoffene Formalie gehandelt hätte, hätte die Behörde die Blogger vorher informieren können.
Tatsächlich ist eher davon auszugehen, dass die Regierung einen Testballon starten wollte. Vermutlich sollte überprüft werden, ob die Öffentlichkeit massiv reagiert, wenn die Pressefreiheit eingeschränkt wird.
Es ist allerdings noch wahrscheinlicher, dass mit dem Angriff potentielle Informanten abgeschreckt werden sollten. Insidern sollte gezeigt werden, dass die Regierung gegen Leaks mit großer Härte Vorgehen will.
So argumentiert auch Anwalt Thomas Stadler, ein Experte in diesem Themenkomplex. Er erklärt auf dem Lawblog, dass von Anfang an mit freiem Auge zu erkennen sei, dass der Tatbestand des Landesverrats nicht erfüllt ist. Ein Gutachten sei nicht nötig, dürfte jedoch nach Stadlers Einschätzung zu dem Ergebnis kommen, dass kein Straftatbestand vorliegt. Damit stelle sich die Frage, warum der Generalbundesanwalt überhaupt tätig geworden sei. Stadler:
Denn der Verfahrenszweck dürfte von Anfang an primär die Einschüchterung von Bloggern, Journalisten und potentiellen Whistleblowern gewesen sein. Ob der Generalbundesanwalt diesen Zweck angesichts der breiten Empörung und der Solidarisierungswelle erreicht hat, darf man bezweifeln. Das Vorgehen von Range, der offenbar nicht nach dem Legalitäts- sondern nach dem Opportunitätsprinzip ermittelt, beschädigt das Amt des Generalbundesanwalts jedenfalls schwer.
Bundesjustizminister Heiko Maas, dem der Generalbundesanwalt unterstellt ist, erklärte, er bezweifele, dass es sich bei den Dokumenten um Staatsgeheimnisse handele, deren Veröffentlichung Deutschland gefährde. Sein Ministerium werde der Karlsruher Behörde bald eine eigene Einschätzung übermitteln. Der Schutz der Pressefreiheit sei ein hohes Gut.
Zeitgleich mit dem seltsamen Rückzieher des Generalbundesanwalts hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Presse keinen Anspruch habe, vom Bundesnachrichtendienst Auskunft über die umstrittene Spionageliste des US-Geheimdienstes NSA zu erhalten. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden. Damit wurde der Antrag einer Tageszeitung abgewiesen, den durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, entsprechende Auskünfte zu erteilen, wie das Gericht am Freitag mitteilte. In dem Urteil heißt es:
Der begehrten Auskunft stehen aber berechtigte schutzwürdige Interessen des Bundesnachrichtendienstes an der Vertraulichkeit der streitigen Selektorenliste entgegen. Für operative Vorgänge im Bereich des Bundesnachrichtendienstes, nämlich die Beschaffung und Auswertung von Informationen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind Auskünfte an die Presse generell ausgeschlossen, ohne dass es insoweit einer einzelfallbezogene Abwägung mit gegenläufigen Informationsinteressen der Presse bedürfte.
Die Zeitung hatte den um Auskunft gebeten, welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen auf der ihm überreichten «Selektorenliste» der NSA stehen. Das hatte der abgelehnt.
Die ganze Mitteilung im Wortlaut:
Kein Auskunftsanspruch der Presse zur Selektorenliste der NSA
Pressevertreter haben keinen Anspruch darauf, dass der Bundesnachrichtendienst ihnen Auskunft zum Inhalt der Selektorenliste der National Security Agency (NSA) der USA erteilt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit einem Beschluss vom 20. Juli 2015 entschieden.
Die Antragstellerin verlegt eine Tageszeitung. Deren Redaktionsleiter bat den Bundesnachrichtendienst um Auskunft darüber, welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen auf der Selektorenliste der NSA gestanden hätten, die dem Bundesnachrichtendienst überreicht worden sei, welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen der Bundesnachrichtendienst von der ihm überreichten Selektorenliste der NSA gestrichen habe, welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen der Bundesnachrichtendienst auf der ihm überreichten Selektorenliste der NSA belassen und abgehört habe.
Der Bundesnachrichtendienst lehnte die Beantwortung dieser Fragen ab: Er äußere sich zu operativen Aspekten seiner Arbeit nur gegenüber der Bundesregierung und den geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages. Die Antragstellerin hat daraufhin beim Bundesverwaltungsgericht beantragt, die Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, die erbetene Auskunft zu erteilen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt. Ein Anspruch auf die begehrte Auskunft ergibt sich nicht aus dem Grundrecht der Pressefreiheit.
Dieses Grundrecht verleiht der Presse zwar einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden, soweit auf sie die Landespressegesetze wegen einer entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht anwendbar sind, wie dies unter anderem für den Bundesnachrichtendienst zutrifft.
Der begehrten Auskunft stehen aber berechtigte schutzwürdige Interessen des Bundesnachrichtendienstes an der Vertraulichkeit der streitigen Selektorenliste entgegen. Für operative Vorgänge im Bereich des Bundesnachrichtendienstes, nämlich die Beschaffung und Auswertung von Informationen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind Auskünfte an die Presse generell ausgeschlossen, ohne dass es insoweit einer einzelfallbezogene Abwägung mit gegenläufigen Informationsinteressen der Presse bedürfte.
Der Bundesnachrichtendienst hat die ihm gesetzlich zugewiesene Aufgabe, zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen zu sammeln und auszuwerten.
Derartige Informationen darf der Bundesnachrichtendienst nach der für ihn geltenden gesetzlichen Grundlage heimlich unter anderem mit nachrichtendienstlichen Mitteln beschaffen und muss dies in vielen Fällen tun. Um die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben erfüllen zu können, ist der Bundesnachrichtendienst mithin darauf angewiesen, verdeckt zu arbeiten.
Müssten Auskünfte über solche Vorgänge erteilt werden, würde die Gewinnung von weiteren Informationen erschwert, wenn nicht verhindert, und wäre damit die Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes gefährdet.
Zu den operativen Vorgängen im Bereich des Bundesnachrichtendienstes gehören das Ob sowie Art und Umfang der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten. Um außen- und sicherheitspolitisch relevante Erkenntnisse zu gewinnen, ist der Bundesnachrichtendienst in vielen Fällen auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten angewiesen, indem in gemeinsamem Zusammenwirken Informationen von beiderseitigem Interesse beschafft werden oder anderweit gewonnene Erkenntnisse ausgetauscht werden.
Dabei erfährt der Bundesnachrichtendienst beispielsweise, welches Erkenntnisinteresse der ausländische Nachrichtendienst verfolgt. Die Zusammenarbeit setzt voraus, dass die beteiligten Nachrichtendienste sich wechselseitig darauf verlassen können, dass von ihnen für geheimhaltungsbedürftig angesehene Informationen auch von der anderen Seite geheim gehalten werden.
Die künftige Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes kann mithin dadurch beeinträchtigt werden, dass im Falle einer Offenlegung von Informationen die Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten anderer Staaten und damit die künftige eigene Gewinnung von außen- und sicherheitspolitischen Erkenntnissen erschwert würde. Dazu käme es, wenn die Antragsgegnerin Informationen unter Missachtung einer zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit gleichwohl an Dritte bekannt gibt.