Die sogenannte Phillips-Kurve ist das Bindeglied zwischen realer Konjunktur und der Inflation. Sie ist seit den 1960er Jahren eine der am heftigsten debattierten Beziehungen der Makroökonomie. Sie steht auch im Zentrum für die Analyse der zukünftigen Geldpolitik der Fed. Das gängige Verständnis der Verantwortlichen der Fed besagt, dass die Wirtschaft bald die Vollbeschäftigung erreichen wird. Ein weiterer kräftiger Abbau der Arbeitslosigkeit würde sich normalerweise in einer deutlichen Inflationsbeschleunigung in den Folgejahren niederschlagen. Deshalb besteht Bedarf nach geldpolitischer Normalisierung und Aufgabe der Nullzinspolitik. Ausschlaggebend für die Effekte der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ist die Vorstellung der inflationsneutralen Vollbeschäftigung. Sie wird aber umgekehrt formuliert als Arbeitslosenrate, welche nicht inflationstreibend ist. In der Fachsprache wird sie als NAIRU (Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment) bezeichnet. Bei dieser Arbeitslosenquote gehen von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage keine Inflationseinflüsse aus. Liegt die effektive Arbeitslosenrate darüber, so dämpft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die Inflation. Je weiter sie entfernt ist, desto stärker ist dieser Effekt. Liegt sie darunter, so beschleunigt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die Inflationsrate. Liegt die effektive Arbeitslosenquote mehrere Quartale oder erst recht Jahre unter dieser NAIRU, beschleunigt dies die Inflationsrate in den Folgejahren. Die NAIRU wird entweder als über die Zeit konstant oder als zeitlich leicht variierend angesehen. In der Fed dominierte lange die Vorstellung, dass die NAIRU ungefähr bei 5 Prozent liegt, wenn die offizielle Arbeitslosenrate als Maßstab genommen wird. Es gibt empirische Arbeiten, welche für die Zeit der großen Rezession (für die Jahre 2012, 2013) einen Anstieg der NAIRU auf gegen 6 Prozent ermittelten. Die Effekte der Nachfrage auf die Inflation sind sehr stark, sobald die Vollbeschäftigung erreicht ist. Sie fallen zeitlich aber deutlich verzögert an: etwa über 2-3 Jahre verteilt. Ein wesentlicher empirischer Befund ist ferner, dass nicht die gesamte Arbeitslosenrate wirksam oder ausschlaggebend ist. Maßgeblich ist nur die kurzfristige oder konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Gemessen wird diese durch die Arbeitslosigkeit, die zwischen 0 und 26 Wochen, also bis zu einem halben Jahr, dauert. Die Langzeit-Arbeitslosigkeit wird ausgedrückt durch die Arbeitslosigkeit, die mehr als ein halbes Jahr dauert. Sie enthält zwei verschiedene Komponenten: -Eine strukturelle Komponente: Diese betrifft Personen, die aus verschiedenen Gründen (Lebenslauf, Alter, Leistungsfähigkeit, Krankheit, Unfall, Invalidität, Bildungsstand) auf dem Arbeitsmarkt schwierig zu vermitteln sind. Lange Absenz von beruflicher Erfahrung und effektiver oder vermeintlicher Verlust von Fähigkeitskapital behindern die rasche Eingliederung, wenn sie ihren Job verlieren. -Eine sektorspezifische zyklische Komponente. Typisch für die USA ist die geringe durchschnittliche langfristige Arbeitslosigkeit. Sie betrug seit 1970 im Mittel rund 1 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung mit Abweichungen von rund einem halben Prozent in beiden Richtungen. Nach der Krise von 2009 ist sie auf völlig ungewöhnliche Größenordnungen von rund 4 Prozent angestiegen – ein einmaliger Vorgang in der ganzen Nachkriegszeit. Zu erklären ist dies mit massiven Stellenverlusten vor allem im Finanz-, Bau- und Immobiliensektor und in der verarbeitenden Industrie. Diese Stellenverluste betrafen gerade auch qualifizierte und gut verdienende Berufsleute. Der Bausektor und die verarbeitende Industrie waren mit schweren, lang anhaltenden Einbrüchen nach 2008 konfrontiert, stehen jetzt aber vor einer Rückkehr zur Normalität.
Die gesamte Arbeitslosigkeit war in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg strukturell und im Zyklus von der kurzfristigen Arbeitslosigkeit dominiert. Dies unterscheidet den Arbeitsmarkt von Europa, wo der Anteil der Langzeit-Arbeitslosigkeit typischerweise in der Größenordnung von rund 30-50 Prozent an der gesamten Arbeitslosigkeit beträgt. Nach 2009 stieg auch in den USA die langfristige Arbeitslosigkeit erstmalig sehr stark an. Seither geht sie wieder deutlich zurück. Kernpunkt in der heutigen Fed-Diskussion ist die Tatsache, dass die empirisch für die Nachfrageeffekte einzig relevante, kurzfristige Arbeitslosenquote auf einem der niedrigsten Niveaus der gesamten Nachkriegszeit steht. Seit Beginn der 1960er Jahre war sie nur in den Jahren 1999/2000 und 1969/70 niedriger als jetzt. Dies ist ein scharfes Warnzeichen für eine kommende Inflationsbeschleunigung, denn im Nachgang zu beiden Episoden stieg die Inflationsrate deutlich an. Doch auch die langfristige Arbeitslosenquote wird in den nächsten Quartalen weiter deutlich zurückfallen. Dies ist durch die Auftragseingänge im Baugewerbe und durch die begonnen Häuserbauten praktisch garantiert. Der Bau- und Immobiliensektor war der bedeutendste Sektor mit dem gesamtwirtschaftlich bei weitem schärfsten Produktionseinbruch und Beschäftigungsverlust seit 2008. Die Zahl der neu begonnen Häuserbauten fiel von fast 2.5 Millionen im Jahr 2006 auf gerade noch 500.000 im Jahr 2012/13. Jetzt nähern sich die vorlaufenden Baubewilligungen wieder ungefähr der Mitte der Niveaus der vergangenen 50 Jahre an.
Der Wohnungsbau oder generell die Bautätigkeit ist für Konjunktur und Wachstum ein absolut zentraler Motor. Das Baugewerbe ist eine Montage-Industrie mit besonders hohem inländischem Vorleistungsanteil. Der Bausektor ist ein wichtiger Kunde der verarbeitenden Industrie und auch des Dienstleistungssektors: Immobilien-Entwicklung, Projektierung, Architektur, Bauingenieurswesen, Finanzsektor etc. Der Neubau von Wohnungen, vor allem von Einfamilienhäusern, ist auch besonders stark mit kommunalen Infrastruktur-Erschließungsbauten (Straßenbau, Wasser-, Gas-, Elektrizitäts-, Telefonleitungen) verbunden. All diese Effekte bezeichnet man als Kopplungseffekte. Kein anderer Sektor in der Volkswirtschaft hat derart starke Kopplungseffekte wie der Wohnungsbau. Weil der Wohnungsbau einerseits enorm zinssensitiv und zyklisch ist, und andererseits ein sehr breites Spektrum inländischer Güterproduktion und Dienstleistungen mit sich zieht, stellt er ein zentrales Bindeglied in der Übertragungswirkung der Geldpolitik dar.
Der Wohnungsbau ist traditionell extrem zinssensitiv, wobei für die USA die langfristigen Zinssätze maßgebend waren und es teilweise immer noch sind. In den USA dominieren immer noch langfristige, teilweise 30-jährige Hypotheken, welche für den Hypothekenschuldner eine wichtige Option enthalten. Sie garantieren eine feste Verzinsung und damit eine Barriere nach oben. Und sie haben Potential zur Refinanzierung, wenn die Marktsätze deutlich unter die festen Sätze abgeschlossener Hypotheken fallen. Um die Konjunktur weiter zu festigen, müssen die langfristigen Zinsen niedrig bleiben. Sie sind nominell auf dem tiefsten Stand seit 60 Jahren. In der Phase ab 2009 bis 2013 wurde dies durch die verschiedenen Stufen quantitativer Lockerung erreicht, also durch einen direkten Liquiditätseffekt. Die Notenbank dominierte mit ihren Käufen den Markt in den mittleren Laufzeiten und drückte die Zinsen dadurch zusammen. Darum die Differenz zwischen 10- und 30-jährigen Renditen. Nachdem dieses Kaufprogramm abgeschlossen ist, kehrt die traditionelle Steuerung der Zinskurve in den Mittelpunkt der Geldpolitik zurück. Um die langen und ganz langen Zinsen niedrig zu halten, muss die Notenbank die langfristigen Inflationserwartungen gering halten und gleichzeitig die Erwartung starker Zinssteigerungen am kurzen Ende vermeiden. Dies macht sie nicht, indem sie die Fed Funds Rate ewig bei 0 Prozent stabil hält. Sie erreicht dies besser, indem sie rechtzeitig die Zinsen langsam anhebt. Ein etwas stärkerer Dollar hält dann die Rohwaren- und Importpreise und die langfristigen Zinssätze niedrig. Erreicht sie dies, so kann sie – ihrem Mandat entsprechend – die Beschäftigung massiv steigern, indem der Wohnungsbau richtig anspringt. Dann dürften auch die langfristige Arbeitslosigkeit sowie die versteckte Arbeitslosigkeit stark zurückgehen. Der Indikator dafür ist die Arbeitslosenrate U-6. Sie enthält nicht nur die offiziell gemessenen Arbeitslosen, sondern auch diejenigen, welche sich resigniert vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben oder die eigentlich eine Vollzeitstelle wünschten, aber nur Teilzeit arbeiten können.
Alle Indikatoren für den Arbeitsmarkt signalisieren, dass dieser sich in den nächsten Quartalen erheblich festigt bzw. völlig austrocknet. Die Quote neu eröffneter Stellen ist auf einem Rekordstand. Die ausgewiesene Arbeitslosenquote dürfte vor den Wahlen auf 4 bis 4,5 Prozent zurückfallen, eine der niedrigsten Quoten der Nachkriegszeit. Der Arbeitsmarkt ist tatsächlich viel robuster als wahrgenommen. Hinzu kommt ein politischer Gesichtspunkt: Zentrales Wahlkampfthema jedes demokratischen Präsidentschaftskandidaten wird eine massive Anhebung der gesetzlichen Mindestlöhne sein. Hillary Clinton will gemäß ihrem Programm den gesetzlichen Mindestlohn auf Bundesebene von 7,25 Dollars pro Stunde auf 15 Dollar anheben. In den USA orientieren sich die meisten Staaten am Mindestlohn des Bundes. Sie übernehmen ihn direkt oder legen ihn mit einem Zusatz zu diesem fest. Dieses Anliegen ist extrem populär und betrifft außerordentlich viele Menschen. Durch die Einkommensdisparität der letzten 15 Jahre verdienen viele Beschäftigte knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn. Bei erreichter Vollbeschäftigung wird dieses Thema über allen anderen Themen dominieren und die Wahlen entscheiden. Die demokratische Kandidatin (oder allenfalls ein anderer Kandidat) wird gewiss Präsidentin werden, weil die Republikaner auf ihren traditionellen Themen festgefahren sind und keine Antworten für die wichtigste soziale Frage haben. Der durchschlagende Erfolg des Rassisten Trump innerhalb der Republikaner zeigt, wie prekär die Situation vieler schlecht verdienender Amerikaner ist. Sie reagieren mit Ablehnung und Fremdenhass auf die als Lohndrücker empfunden, illegalen Immigranten. Der Mindestlohn wird 2017-2020 nicht in einem Schub verdoppelt werden. Aber der Trend wird in die Richtung deutlicher Anhebung des Mindestlohnes gehen – und damit bedeutender Lohnsteigerungen über alle Lohnstufen hinweg. Diese Konstellation zwingt der Notenbank eine vorausschauende Politik auf. Passt die Notenbank die Zinsen nicht bald an, so riskiert sie, später eine Vollbremsung mit massiv höheren Zinsen einleiten zu müssen. Die Fed hat gar keine andere Wahl, als kontinuierlich mit leichten Zinssteigerungen den Dollar zu festigen. Versetzt die US-Notenbank damit, was sie aus binnenwirtschaftlichen Gründen tun müsste, nicht den Schwellenländern einen Nackenschlag? Möglicherweise kann dies wie ein Auslöser einer offenen Krise einzelner Schwellenländer wirken. Doch im Grundsatz ist die Sache ohnehin gelaufen. Wenn die Rohwarenpreise um 40-70 Prozent gefallen sind und China in eine harte Landung übergeht, können auch Nullzinsen das Unheil nicht abwenden. Das Gewicht der Schulden aus der Vergangenheit wird erdrückend sein. Die Konjunktur in den nächsten fünf Jahren wird von der Binnenkonjunktur in den USA und – allenfalls – in Europa getragen. Die Schwellenländer werden in eine schwere Krise abrutschen. Sich bequem auf China und sein Konjunkturdoping zu verlassen und mit Exporterfolgen wie in der Vergangenheit zu glänzen, wird nicht mehr möglich sein. Im Export außerhalb dieser beiden Währungsräume – Dollar und Euro – ist nur noch Schadensbegrenzung angesagt. Außerdem: Wer glaubt ernsthaft, dass Brasilien, Venezuela oder andere Wackelkandidaten in einem Jahr besser als jetzt dastehen werden? Zu warten würde nur bedeuten, noch viel mehr geschwächte Volkswirtschaften mit einer brutalen Zinsaktion in eine Katastrophe zu stürzen.