Politik

Flüchtlinge: Erdogan nimmt EU-Gelder erst, wenn die EU seinem Krieg zustimmt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat der EU die kalte Schulter gezeigt: Die EU hat Erdogan Milliarden an Steuergeldern angeboten, damit die Flüchtlinge in der Türkei bleiben. Doch Erdogan will mehr: Er will die Zustimmung der EU zu seinem Krieg gegen die Kurden. Die Lage ist günstig für Erdogan: Die EU ist wegen der Flüchtlingskrise heillos zerstritten und faktisch nicht mehr handlungsfähig.
06.10.2015 00:39
Lesezeit: 3 min

Die EU hat am Montag in Brüssel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan erfolglos verhandelt, den Flüchtlingsstrom in Richtung Europa bereits in der Türkei zu stoppen. Dazu wollte die EU künftig mit Ankara enger zusammenarbeiten. Die EU hat Milliarden-Zahlungen aus europäischen Steuergeldern angeboten, damit die Türkei die Flüchtlinge nicht in die EU-Staaten schickt. Eine Überprüfung, was mit dem Geld geschieht, wird wie beim Ukraine-Abenteuer nicht möglich sein. Es ist nicht zu erwarten, dass die Türkei das Geld dazu verwenden wird, die Lebensbedingungen der Flüchtlinge zu verbessern.

Doch Erdogan will ohnehin mehr als nur Geld: Er fordert die Zustimmung der EU zu seinem Militäreinsatz gegen die Kurden. Seit Monaten fliegt die Türkei Angriffe gegen, wie sie sagt, PKK-Stellungen in Syrien und im Nordirak. Sie macht gemeinsame Sache mit dem syrischen al-Kaida-Ableger, der al-Nusra Front. Es ist völlig unbekannt, wie viele zivile Opfer die Einsätze der Türkei gefordert haben. Über die militärischen Aktivitäten des Nato-Mitglieds wurde der Mantel des Schweigens gelegt. Kritik an Erdogans Kampf, der die Türkei auch selbst an den Rand des Bürgerkriegs getrieben hat, ist nicht bekannt.

Doch Erdogan reicht das Schweigen nicht: Er will, dass sich die EU hinter seine Ziele stellt. Erst dann ist er bereit, auch das von der EU angebotene Geld anzunehmen.

Erdogan sagte, es sei „traurig zu sehen“, dass einige Staaten die PKK in der Praxis nicht als Terrororganisation behandelten. Er setze kurdische Kämpfer und Verbände mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gleich. Der Kampf der Kurden gegen den IS dürfe der kurdischen Organisation keinen „Mantel der Legitimität“ verleihen.

Die EU hat zu dem außenpolitischen Thema wenig zu sagen. Denn die Außenpolitik der EU wird von der Nato und den USA bestimmt. Diese brauchen die Türkei, weil sie als Verbündeter im Nahen Osten unverzichtbar zu sein scheint.

Die EU will mit Erdogan lieber darüber reden, wie die Türkei sich weiter um die Flüchtlinge kümmern könnte. Der Plan, Nicht-EU-Länder zum Wartesaal für die Flüchtlinge zu machen, besteht schon länger. Er hat jedoch nicht funktioniert, weil die Überweisungen nach Ankara und in andere Länder wie Serbien nicht schnell genug getätigt wurden. Doch die Ereignisse der vergangenen Wochen haben die Position der EU dramatisch geschwächt. Die chaotische Flüchtlingspolitik von Angela Merkel sowie die Weigerung der Staaten in Osteuropa, sich eine Flüchtlingsquote vorschreiben zu lassen, haben die EU faktisch handlungsunfähig gemacht. Das weiß auch Erdogan. Es ist zu erwarten, dass der türkische Präsident die Schockstarre der EU ausnutzen wird.

Tusk sagte, die EU müsse ihre Außengrenzen besser schützen. „Wir erwarten von der Türkei das Gleiche.“ Erdogan wies darauf hin, dass die Türkei seit nunmehr vier Jahren Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs gastfreundlich aufnehme – unabhängig von der Religion. Derzeit befänden sich beinahe 2,5 Millionen Migranten im Land, 2,2 Millionen davon aus Syrien.

EU-Präsident Jean-Claude Juncker habe Erdogan bei einem gemeinsamen Abendessen mit EU-Präsident Martin Schulz und Tusk einen ersten Aktionsplan für eine stärkere Kooperation übergeben, hieß es aus der EU-Kommission.

In dem Papier geht es den Angaben nach um besseren Grenzschutz zwischen Griechenland und der Türkei und um die Versorgung und Integration von Flüchtlingen in der Türkei. Dazu und für die Einrichtung von sechs Aufnahmezentren könnte die EU erhebliche Finanzhilfen in Aussicht stellen. Die Umsetzung solcher Forderungen könne ein Schritt hin zur Visafreiheit für türkische Bürger sein. Details sollen nun hohe EU-Beamte mit der Regierung in Ankara ausarbeiten; ein Gerüst soll bis zum Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am 15. und 16. Oktober stehen.

Die Grünen warnten im Vorfeld davor, den Flüchtlingsstrom durch einen „schmutzigen Deal“ mit der Türkei begrenzen zu wollen. Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter lehnte eine Übereinkunft ab, wenn sie nach dem Muster laufe: „Erdogan nimmt einen Großteil der Flüchtlinge, und dafür drücken wir zum Ausgleich beide Augen zu, wenn dort die Menschenrechte zum Beispiel der Kurden in der Türkei verletzt werden.“ Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erklärte, sollten türkische und griechische Grenzschutzeinheiten gemeinsam mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex die Seegrenze im Mittelmeer abriegeln, wäre das „eine moralische Bankrotterklärung Europas“.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri forderte eine koordinierte Überwachung der Außengrenzen Europas. Frontex könnte den Kern eines schnell aktionsfähigen europäischen Netzwerkes bilden, sagte Leggeri der französischen Regionalzeitung Dernières Nouvelles d’Alsace. Von Januar bis Ende September sind nach seinen Angaben an den EU-Außengrenzen etwa 630.000 illegale Einwanderer registriert worden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

DWN
Politik
Politik Rückkehr der Wehrplicht trotz Wirtschaftsflaute? Nato-Ziele nur mit Pflicht zum Wehrdienst möglich
05.07.2025

Die Nato drängt: „Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen“, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Made in Germany: Duale Berufsausbildung - das deutsche Erfolgsmodell der Zukunft
05.07.2025

Die duale Berufsausbildung in Deutschland gilt als Erfolgsmodell: Dieses System ermöglicht jungen Menschen einen direkten Einstieg ins...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftskriminalität: Insider-Betrug kostet Millionen - Geschäftsführer haften privat
05.07.2025

Jede zweite Tat geschieht im eigenen Büro - jeder fünfte Schaden sprengt die fünf Millionen Euro Marke. Wer die Kontrollen schleifen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Microsoft kippt den Bluescreen, doch das wahre Problem bleibt
05.07.2025

Microsoft schafft den berühmten „Blauen Bildschirm“ ab – doch Experten warnen: Kosmetische Änderungen lösen keine...

DWN
Panorama
Panorama So bleiben Medikamente bei Sommerhitze wirksam
05.07.2025

Im Sommer leiden nicht nur wir unter der Hitze – auch Medikamente reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen. Doch wie schützt man...