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USA spionieren deutsche Unternehmen seit Jahren aus

Lesezeit: 3 min
09.03.2017 02:25
Die US-Dienste spionieren deutsche Unternehmen seit Jahren im großen Stil aus. Nur in der Zeit nach der Wiedervereinigung lehnte sich eine Bundesregierung kurz gegen die CIA-Machenschaften auf. Mit dem Abgang von Helmut Kohl endete diese Periode.
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Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass es keine konkreten Hinweise für Wirtschaftsspionage-Aktivitäten der USA in Deutschland gibt. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag aus dem Jahr 2014 hervor. „Der Bundesregierung liegen aktuell keine Konkreten Hinweise auf Wirtschaftsspionage US-amerikanischer Nachrichtendienste gegen deutsche Unternehmen vor. Die US-Regierung hat der Bundesregierung mehrfach versichert, dass die dortigen Dienste keine Wirtschaftsspionage betreiben“ so die Regierung in einer Antwort. Es gebe auch keine „Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch private ausländische Einrichtungen auf deutschem Boden“.

Auf Nachfrage, welche Ergebnisse die „Sonderauswertung Technische Aufklärung durch US-amerikanische, britische und französische Nachrichtendienste“ zur Überprüfung der Enthüllungen durch Edward Snowden in Bezug auf Wirtschaftsspionage bisher ergeben haben, antwortet die Bundesregierung: „Der Bundesregierung liegen keine bestätigenden Erkenntnisse vor, dass die durch die NSA erhobenen Daten auch zu Zwecken der Wirtschaftsspionage verwandt werden. Auch aus der deutschen Wirtschaft erfolgten bislang keine Verdachtsmeldungen über eine solche Tätigkeit der US-amerikanischen Dienste (…) Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder andere US-Dienste in anderen Staaten.“

Die Unternehmen seien in erster Linie selbst für ihre Sicherheit verantwortlich. Der Staat könne die deutschen Unternehmen lediglich auf der Grundlage „Hilfe zur Selbsthilfe“ mit Broschüren und Handlungsempfehlungen unterstützen.

Die Schäden, die sich aus der Wirtschaftsspionage ergeben, belaufen sich nach Angaben des Bundesinnenministeriums auf jährlich 50 Milliarden Euro. Doch die Dunkelziffer sei weitaus höher, zumal die meisten Angriffe unentdeckt bleiben.

Doch Wirtschaftsspionage der USA in Deutschland wird offenbar bereits seit Jahrzehnten betrieben. Am 7. März 2000 bestätigte der ehemalige CIA-Chef James Woolsey bei einer Pressekonferenz im Foreign Press Center, dass die USA Wirtschaftsspionage in Europa betreiben würden. „Wir stehlen Geheimnisse mit Spionage, über Abhöraktionen und Aufklärungssatelliten“, so Woolsey. Es geben „verstärkte Anstrengungen“ im Bereich der Wirtschaftsspionage. Wirtschaftsspionage in Europa sei deshalb gerechtfertigt, weil europäische Unternehmen eine „nationale Kultur“ der Bestechung hätten. Woolsey wörtlich: „Einige unserer ältesten Freunde und Alliierten haben eine nationale Kultur und Praxis, die darin besteht, dass Bestechung ein wichtiger Teil der Art und Weise ist, wie sie im internationalen Handel ihre Geschäfte abzuwickeln versuchen. ... Jener Teil der Welt, in dem es üblich ist, Aufträge durch Bestechung zu erhalten, in dem es auch wirklich sehr viel Geld gibt und der aktiv in internationalen Geschäften ist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Europa.“

Er hoffe, dass die US-Geheimdienste auch weiterhin auf Bestechung setzen werden, um Wirtschaftsspionage zu betreiben. „Es gibt einige technologische Bereiche, in denen die amerikanische Industrie gegenüber Unternehmen anderer Länder zurück liegt. Doch im Großen und Ganzen haben amerikanische Unternehmen keine Notwendigkeit, ausländische Technologien zu stehlen, um vorne zu bleiben“, meint Woolsey.

Europa stehe zuerst im Verdacht, wenn es darum gehe, Bestechungsgelder zu bezahlen, um große internationale Aufträge zu erhalten. Und tatsächlich seien es auch einige bestimmte Unternehmen, und Unternehmen in bestimmten Ländern, in denen am meisten Aufregung über angebliche US-amerikanische Wirtschaftsspionage entstanden ist.

Dabei seien die europäischen „Freunde und Verbündeten“ der USA genauso in Aktivitäten der Wirtschaftsspionage verwickelt.

The Daily Beast berichtet, dass nach der Deutschen Einheit Deutschland von den USA nicht mehr nur als potenzieller Konkurrent um die Dominanz in Europa angesehen wurde, sondern auch als wirtschaftlicher Rivale auf dem Weltmarkt. „Überraschenderweise hat sich die CIA-Spionage in Deutschland in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich verschärft, wobei der Schwerpunkt der Agentur auf deutsche diplomatische, finanzielle und handelspolitische Beziehungen mit Ländern wie Libyen, Syrien, Irak und Iran verlagert wurde, so das Blatt. Die intensivierten Spionageaktivitäten der CIA in Deutschland verliefen nicht unbemerkt durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der die CIA-Offiziere in Deutschland aufmerksam beobachtete und still notierte, mit welchen deutschen Regierungsbeamten die CIA-Offiziere sprachen.“

Allerdings passierte im Jahr 1995 etwas, was die Betrachtungsweise der Deutschen auf die Spionageaktivitäten der CIA in Deutschland veränderte. Im Januar 1995 erklärte die französische Regierung öffentlich den CIA-Chef in Paris, Richard L. „Dick“ Holm, seinen Stellvertreter und drei weitere CIA-Offiziere, darunter auch ein weiblicher CIA-Offizier zu personae non gratae. Die weibliche CIA-Agentin versuchte, sensible Wirtschaftsdaten von einem Mitglied der französischen Regierung zu erhalten. Frankreichs Entscheidung überzeugte eine Reihe von hochrangigen deutschen Regierungs- und Geheimdienstbeamten davon, dass vielleicht die Zeit gekommen war, das Recht über die Wirtschaftsspionage-Aktivitäten der CIA in Deutschland zu setzen.

Nach Informationen eines ehemaligen CIA-Beamten setzte der BfV im Jahr 1996 einen CIA-Offizier der US-Botschaft in Berlin fest, der versuchte, heimlich Informationen über deutsche Materialexporte zu erhalten, die für die iranische Atomindustrie gedacht waren. Der wichtige Hinweis an den BfV kam Ministerialbeamten Klaus Dieter von Horn aus dem Wirtschaftsministerium, der dort das Amt für Handelsbeziehungen mit dem Iran leitete. Ein CIA-Offizier hatte versucht, Informationen von dem deutschen Beamten zu bekommen. Der BfV informierte die Bundesregierung und diese forderte die sofortige Ausweisung des CIA-Offiziers. Im März 1997 machte das Auswärtige Amt den Fall publik.

Wütende Anstrengungen des damaligen CIA-Stationsleiters in Berlin, Floyd L. Paseman, die deutsche Regierung zu überzeugen, die Ausweisungsverfügung aufzuheben, blieb ergebnislos, und die CIA war gezwungen, den Offizier in einem Flugzeug zurück nach Washington zu bringen. Zwei Jahre später gab es im Zusammenhang mit dem US-Konsulat in München einen weiteren Wirtschaftsspionage-Fall. Zwei CIA-Offiziere des Konsulats versuchten, einen hochrangigen Beamten aus dem Wirtschaftsministerium abzuwerben, um an wichtige Wirtschaftsdaten heranzukommen. Die beiden Offiziere wurden vom BfV enttarnt. Das Auswärtige Amt erklärte daraufhin den CIA-Stationsleiter in Berlin David Edgar zur persona non grata. Doch das Auswärtige Amt konnte sich nicht durchsetzen und Edgar blieb bis zum Jahr 2001 in Berlin.

Das offensive Vorgehen gegen CIA-Offiziere in Deutschland, die Wirtschaftsspionage betrieben hatten, fällt in die Regierungszeit unter Helmut Kohl.

Allerdings hat sich im deutschen Geheimdienstapparat seit dem Ende der Kohl-Ära viel verändert. Nach einer Einschätzung des türkischen Analysten Celal Kazdagli in einem Artikel der türkischen Zeitung Haber 10 wird der Bundesnachrichtendienst (BND) von seinen türkischen Kollegen als „Filiale der CIA“ angesehen.


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