US-Außenminister Rex Tillerson hat in einer ersten, bemerkenswerten Grundsatzrede vor den Mitarbeitern des US-Außenministeriums erklärt, dass die US-Außenpolitik künftig nicht mehr die Durchsetzung von Werten, sondern von politischen und wirtschaftlichen Interessen verfolgen werde. Die Werte wie "Freiheit" und "Menschenwürde" seien zwar für die US-Regierung verpflichtend und hätten in jedem Fall Bestand. Doch in der Außenpolitik könne es nicht darum gehen, anderen die amerikanischen Werte aufzudrängen. Es müsse "unter Umständen" auch möglich sein, Deals mit Regierungen zu schließen, die andere Werte vertreten. Die US-Außenpolitik soll demnach entideologisiert werden und sich ausschließlich danach richten, welche Interessen der USA im Sinn des "America first" zu verfolgen seien. Dies können politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Aspekte sein.
Tillerson bricht mit dieser Positionierung mit dem Ausrichtung des Außenministeriums unter Barack Obama. Das Problem der Werte bestand für Obama oft darin, dass Werte nicht direkt in politische Aktion umgesetzt werden können, ohne Überzeugung oder notfalls Gewalt anzuwenden. In den vergangenen Jahren hatten die USA oft hegemoniale Ziele mit der Berufung auf "Werte" verbrämt. Die Werte dienten oft nur als Vorwand, um unliebsame Regierungen zu stürzen oder eigene Netzwerke in anderen Staaten und Gesellschaften in Stellung zu bringen.
Tillerson scheint die Unterscheidung von Politik und Werten sehr ernst zu sein: Er will auch personell mit der Kultur der Vorgängerregierung brechen und plant, 2.300 Jobs im US-Außenministerium zu streichen, um mehr als ein Viertel der Budgetausgaben des Ministeriums für das nächste Haushaltsjahr einzusparen, berichtet Bloomberg. Das US-Außenministerium hat derzeit ein Jahresbudget von 50,1 Milliarden Dollar. Das Personalvolumen des US-Außenministeriums beläuft sich derzeit auf 75.000 Beamte. Sollte Tillersons Plan wirklich umgesetzt werden, würden dadurch drei Prozent des Personals entlassen werden. Dieser Schritt geht zurück auf einen Vorschlag des Office of Management and Budget, wonach 31 Prozent des Budgets des US-Außenministeriums und von USAID gekürzt werden soll. Betroffen sind vor allem Programme des Ministeriums und von USAID, die im Ausland durchgeführt werden.
In einem Interview mit NPR sagte Tillerson, er beabsichtige, das US-Ministerium zu reorganisieren, um es effizienter und fokussierter zu machen. Er wolle auch die Meinungen der Mitarbeiter der Diplomaten in den US-Botschaften und weiteren Dienststellen einholen, um sich ein Bild über die Lage zu machen.
Mehrere konservative US-Abgeordnete teilen Tillersons Ansicht, weil sie der Meinung sind, dass das US-Außenministerium und weitere Regierungsbehörden zu groß geworden sind und ihre Kern-Missionen nicht mehr erfüllen können. Als Tillerson sein Amt antrat, war er verblüfft darüber, wie viel Geld das US-Außenministerium für Wohnraum und Schuldbildung seines Personals im Ausland ausgibt, so Bloomberg. Allerdings stößt Tillersons Vorstoß auf Widerstand bei einigen US-Abgeordneten und Diplomaten. „Kürzungen vorzunehmen, ohne zu entscheiden, welche Veränderungen sie machen wollen, ist schlichtweg hirnlos“, sagt Stephen Sestanovich, Professor an der Columbia University School of International und Public Affairs, der als U.S.-Botschafter in der ehemaligen Sowjetunion diente.
In der vergangenen Woche haben 43 Senatoren aus beiden politischen Lagern einen offenen Brief verfasst, um sich gegen Tillersons Pläne zu stemmen. Die Senatoren schreiben: „In einer Zeit, in der wir uns mit zahlreichen nationalen Sicherheitsherausforderungen auf der ganzen Welt konfrontiert sehen, wären tiefe Einschnitte in diesem Bereich kurzsichtig, kontraproduktiv und sogar gefährlich (…). Tiefe Einschnitte beim Budgets für internationale Angelegenheiten würden die wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen unseres Landes sowie die humanitären und demokratischen Prinzipien, die wir unterstützen, untergraben.“ Vor allem die Neocons haben in den vergangenen Jahre "Werte" vorgeschoben, um Einfluss auf andere Regierungen zu gewinnen.
Nun sind sie beunruhigt und schreiben, es wäre "weise, den Ratschlägen von Pentagon-Chef James Mattis, von Ex-CIA-Chef Robert Gates und von Ex-Außenminister Colin Powell zu folgen". Gates und Powell hätten darauf hingewiesen, dass die USA ihre Ziele diplomatisch in Zusammenarbeit mit zivilen Einrichtungen im Ausland erreichen müssen. Ausschließlich militärisch seien die Ziele nicht zu erreichen. James Mattis habe hingegen als Oberbefehlshaber von CENTCOM gesagt: „Wenn das US-Außenministerium nicht vollständig finanziert wird, muss ich mehr Munition kaufen.“ Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Durchsetzung der politischen Interessen notfalls mit Gewalt erfolgen muss.
Die US-Senatoren sind der Ansicht, dass das Budget für das US-Außenministerium auch dazu diene, US-amerikanische Werte wie humanitäre und demokratische Prinzipien in die Welt zu tragen. Doch auch an diesem Punkt hat Tillerson eine andere Ansicht. Die US-Außenpolitik müsse manchmal die Ziele der US-Außenpolitik von humanitären Werten trennen. „Wenn wir zu stark behaupten, dass andere diese Werte annehmen müssen, die wir über eine lange Zeit selbst umgesetzt haben, schafft dies wirklich Hindernisse für unsere Fähigkeit, unsere nationalen Sicherheitsinteressen und unsere wirtschaftlichen Interessen voranzutreiben“, sagte Tillerson den Mitarbeitern des Außenministeriums.
Wie problematisch eine unredliche Verknüpfung von Werten mit handfesten Interessen sein kann, zeigt ein spektakulärer Schritt der US-Buchautor Stephen Kinzer. Kinzer, der unter anderem ein Standardwerk über die CIA geschrieben hat, kritisiert die Verquickung der Aktivitäten von NGOs und dem US-Außenministerium. Der Autor hat am 3. Mai 2017 seine Mitgliedschaft bei der Schriftstellervereinigung PEN gekündigt. PEN-Geschäftsführerin Suzane Nossel habe während ihrer Zeit als Diplomatin im US-Außenministerium den Irak-Krieg unterstützt. Die Schriftstellervereinigung sei voll mit Leuten, die in der US-Regierung ein- und ausgehen sowie Amerikas „liberale Hegemonie“ unterstützen würden. Sie seien Werkzeuge der Macht geworden und unterstützen weltweite US-Interventionen. „Ich wurde Journalist, weil ich Menschenrechte fördern sollte. Heute werde ich argwöhnisch, wenn ich diesen Begriff höre“, schreibt Kinzer auf seiner Facebook-Seite.
Kinzers Meinung deckt sich offenbar teilweise mit den Ansichten von Tillerson. Doch der eigentliche Hintergrund für Tillersons Reform des US-Außenministeriums hängt mit den Beziehungen der USA zu Russland zusammen. Die neue US-Regierung hat ein Interesse daran, mit dem Kreml in diversen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bereichen zu kooperieren. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn die US-Regierung sich nicht in die Menschenrechtsproblematik in Russland aktiv einmischt. Zuvor dienten hierfür US-Nichtregierungsorganisationen und USAID, die vom US-Außenministerium massiv gestützt werden.
Tillerson wiederholte vor den Mitarbeitern, was er schon bei der Pressekonferenz mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow gesagt hatte: Dass nämlich das erkaltete Verhältnisse zwischen den beiden nuklearen Supermächten USA und Russland nicht auf dem niedrigen Niveau bleiben könne, auf dem es sich derzeit befinde.
Auf dem G-20-Gipfel im Februar in Bonn sagte Tillerson, dass die USA in Erwägung ziehen, mit Russland zusammenzuarbeiten, wenn praktische Bereiche der Zusammenarbeit gefunden werden, die dem amerikanischen Volk zugutekommen, berichtet The Independent.
Eine praktische Zusammenarbeit wurde bereits in Syrien eingegangen. US-Präsident Donald Trump und sein russischer Kollege Wladimir Putin haben sich Anfang Mai in einem Telefonat darauf verständigt, ihr Vorgehen im Kampf gegen den Terrorismus auch künftig miteinander abzustimmen. „Der Fokus lag darauf, wie das Vorgehen der USA und Russlands bei der Terrorbekämpfung abgestimmt werden kann“, teilte der Kreml nach dem Telefongespräch der Präsidenten am Dienstag mit. Das Weiße Haus bezeichnete das Telefonat in einer Erklärung als „sehr gut“.
Ein weiterer Bereich der geplanten Zusammenarbeit findet sich im Energiebereich. Im Jahr 2011 hatten der US-Ölriese Exxon und der russische Ölkonzern Rosneft ein Energieförderabkommen bezüglich der Arktis geschlossen. Der Deal hat einen Wert von 500 Milliarden Dollar. Damals war Tillerson noch der Exxon-Chef.
Exxon erhielt damals einen Zugang zu den riesigen Energieressourcen unter der russischen Arktis. Als Gegenleistung sollte Rosneft in die Auslandsaktivitäten Exxons investieren dürfen, berichtet der Guardian. Die geplante gemeinsame Öl- und Gasförderung in der Arktis hat ein Vertragsvolumen von 500 Milliarden Dollar.
Der Umfang des Deals sorgte sowohl bei Befürwortern als auch bei den Gegnern einer russisch-amerikanischen Annäherung für Erstaunen. Die Moderatorin von MSNBC, Rachel Maddow, sagt, dass es sich bei dem Deal zwischen Exxon und Rosneft um den größten Energie-Deal aller Zeiten handele, der die „historische Flugbahn von Russland ändern“ wird.
Doch das Abkommen zwischen beiden Energie-Riesen wurde aufgrund der Russland-Sanktionen ab dem Jahr 2014 eingefroren. Nach Schätzungen von Exxon kosteten die Sanktionen den US-Ölkonzern bisher eine Milliarde Dollar. Der US-Außenminister Tillerson setzt sich sehr dafür ein, dass die Sanktionsvorgaben für Exxon gelockert werden. Exxon hatte in diesem Zusammenhang zu Beginn des Jahres eine Ausnahme von den Sanktionen gegen Russland beantragt. Unklar bleibt, ob das US-Finanzministerium dem Antrag stattgeben wird.