Politik

Maaßen kritisiert Medien wegen Verwendung von Zeckenbiss-Video

Lesezeit: 3 min
12.09.2018 23:29
Der Verfassungsschutz weiß nicht, wer hinter der Gruppe „Antifa Zeckenbiss“ steckt.
Maaßen kritisiert Medien wegen Verwendung von Zeckenbiss-Video

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellt sich trotz der umstrittenen Aussagen von Hans-Georg Maaßen zu den Ereignissen in Chemnitz hinter den Verfassungsschutzpräsidenten. Er sehe keinen Grund für Konsequenzen für den Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes, sagte Seehofer am Mittwoch nach Angaben von Teilnehmern einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestags in Berlin laut dpa. Seehofer bescheinigte Maaßen demnach, dieser habe differenziert und vollständig überzeugend argumentiert.

Maaßen selbst kritisierte bei seinem Auftritt im Ausschuss nach Angaben von Teilnehmern laut dpa die Medien. Demnach sagte er am Mittwoch in Berlin, man solle «Hetzjagden nicht herbeischreiben». Er sprach von einer negativen Stimmung der Bürger gegenüber Medien und Journalisten und erklärte, Medien hätten den Titel des Videos mit dem Begriff «Menschenjagd» vom Twitter-Nutzer «Antifa Zeckenbiss« übernommen.

In seinem Bericht an Seehofer hat Maaßen seine Äußerungen zu Chemnitz mit der Sorge vor einer Desinformationskampagne begründet. Maaßen erhob schwere Vorwürfe gegen einen Twitter-Nutzer, der sich «Antifa Zeckenbiss» nennt. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz schreibt, es sei davon auszugehen, dass dieser das Video, das eine «Hetzjagd» belegen sollte, vorsätzlich mit der falschen Überschrift «Menschenjagd in Chemnitz» versehen habe, «um eine bestimmte Wirkung zu erzielen».

Seehofer, der den Bericht von Maaßen angefordert hatte, sagte der Deutschen Presse-Agentur zu den Vorfällen in Chemnitz: «Die Vorgänge sind unschön. Wir haben es mit Rechtsradikalen zu tun. Wir haben es mit antisemitischen Vorfällen zu tun und haben es aber auch mit einem Fall eines Gewaltverbrechens zu tun.» Und weiter: «Wir müssen alle drei Dinge bekämpfen, analysieren und auch mit Konsequenzen versehen soweit es um das Verbrechen geht.»

Maaßen nimmt in seinem Schreiben zu Fragen des Innenministeriums Stellung - es geht um ihm vorliegende Belege oder Indizien. Er geht ausführlich auf die Beweg- und Hintergründe seines Interviews vom 7. September ein. Er schreibt, nicht er, sondern der Urheber des Videos habe zu belegen, dass damit «"Hetzjagden" in Chemnitz am 26. August 2018 dokumentiert werden». Dass es in der Stadt nach dem Tötungsdelikt auch «von Rechtsextremisten organisierte und durchgeführte Demonstrationen und Straftaten gab», habe er nicht in Zweifel gezogen.

Auf die Frage, was ihn vor dem Hintergrund laufender Ermittlungen in Sachsen veranlasst habe, in der Öffentlichkeit eine Einschätzung abzugeben, macht Maaßen deutlich, dass er Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) unterstützen wollte. Kretschmers hatte in einer Regierungserklärung gesagt, es habe in Chemnitz keine Hetzjagd und keinen Mob gegeben. Diese Feststellung entspreche auch den Erkenntnissen der sächsischen Sicherheitsbehörden, der Bundespolizei sowie des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV).

Angesichts dessen habe er es für richtig gehalten, «die bisherige Berichterstattung über angebliche "Hetzjagden" zu bewerten». Die Zuständigkeit des BfV umfasse «auch die Aufklärung von Desinformation» und sei «unabhängig von den Zuständigkeiten und Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden».

Der BfV-Präsident erklärte, anders als von Medien berichtet, habe er «zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass das Video gefälscht, verfälscht oder manipuliert worden ist». Hätte er dies zum Ausdruck bringen wollen, hätte er auch die entsprechenden Worte gewählt, schreibt Maaßen. Er habe dagegen in Frage gestellt, dass das betreffende Video «authentisch» eine «Menschenjagd in Chemnitz» am 26. August belege.

Wer sich hinter «Antifa Zeckenbiss» verberge, sei dem BfV nicht bekannt, schreibt Maaßen. Der Nutzer sei seit Oktober 2017 in diversen sozialen Netzwerken aktiv und äußere regelmäßig linke und linksextreme Ansichten. Es könne außerdem «nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Person, Gruppe oder Organisation handelt, die nichts mit der linken oder linksextremistischen Szene zu tun hat». Falls die Veröffentlichung des Videos nicht von Linksextremen erfolgt ist, komme als Motiv «auch ein Anheizen der Stimmung in der Öffentlichkeit in Frage».

Falls «Antifa Zeckenbiss» jedoch der linksextremistischen Szene angehöre, «könnte es auf Grund der bestehenden politischen Interessenlage der Szene möglich sein, dass die Falschetikettierung des Videos dem Ziel diente, die öffentliche Aufmerksamkeit von dem Tötungsdelikt abzulenken und auf angebliche rechtsextremistische "Hetzjagden" hinzulenken».

Seine Ausführungen verbindet Maaßen mit Erkenntnissen des BfV zum Einsatz von Falschinformationen durch extremistische Gruppen. So würden soziale Netzwerke von diesen «regelmäßig dazu genutzt, bestimmte Stimmungen zu erzielen oder anzuheizen». Dazu bediene man sich auch einer übertriebenen oder verzerrten Darstellung von Tatsachen «bis hin zu Entstellungen der Faktenlage». Dabei würden häufig Texte, Fotos und Videos in falschem Zusammenhang verwendet.

In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Tatverdächtig sind drei Männer, die als Asylbewerber nach Deutschland gekommen waren. Zwei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Nach dem dritten wird gefahndet. Nach der Tat gab es fremdenfeindliche Ausschreitungen, bei denen es auch zu Gewalt von Rechtsextremisten kam. Diese wurden unter anderem von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Regierungssprecher Steffen Seibert als «Hetzjagden» bezeichnet.

Die Kanzlerin bemühte sich am Mittwoch, den Konflikt zu entschärfen. In einer Rede im Bundestag sagte sie: «Begriffliche Auseinandersetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter.»

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...