Politik

Nato vor Kehrtwende: Russland ist keine unmittelbare Gefahr

Lesezeit: 3 min
01.01.2017 23:22
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg deutet einen markanten Kurswechsel bei der Militär-Allianz an. Russland wird nicht mehr als unmittelbare Gefahr gesehen. Ob die Erkenntnis wirklich Überzeugung ist muss sich erst noch zeigen.
Nato vor Kehrtwende: Russland ist keine unmittelbare Gefahr

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Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat der dpa ein bemerkenswertes Interview gegeben. Anders als in den vergangenen Monaten bezeichnet die Nato Russland nicht mehr als unmittelbare Gefahr. US-Präsident Barack Obama hatte, wie seine Parteifreundin Hillary Clinton, Russland noch vor einem Jahr auf eine Stufe mit dem IS gestellt.

Die neue, gemäßigt Linie dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass der designierte US-Präsident Donald Trump den Kalten Krieg mit Russland beenden will. Dazu gehört auch das Thema Hacker: Während Obama in einer seiner letzten Amtshandlungen neue Sanktionen gegen Russland verhängte, kündigte Trump eine Erklärung zu diesem Thema an. Er wisse mehr als alle anderen, sagte Trump auf Twitter, und werde seine Erkenntnisse der Öffentlichkeit bekanntgeben. Das Übergangsteam von Trump hat erst vor wenigen Tagen eine Liste der nationalen Bedrohungen festgelegt, auf der sich Russland nicht mehr unter den größten Gefahren für die nationale Sicherheit findet.

Tatsächlich muss sich die verbale Mäßigung der Nato, die sich schon unmittelbar nach dem Sieg von Trump abgezeichnet hatte, nicht auf die reale Politik des Bündnisses auswirken: Die in Wales beschlossene Militär-Doktrin sieht Russland als Feind an. Auch Deutschland hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Solange diese Doktrin gilt, kann die Nato im Ton freundlich, in der Sache jedoch hart agieren.

Interessant an dem Interview: Die dpa stellt keine einzige Frage zum Verhältnis der Nato zu ihrem Mitglied Türkei. Die Türkei fährt aktuell eher einen Konfrontationskurs mit der Nato. Zuletzt hatte der türkische Präsident Erdogan die Nato aufgefordert, sich zu entscheiden, ob das Bündnis für Terroristen oder seine Mitglieder kämpfen wolle. Die Türkei hat mit Russland einen Waffenstillstand in Syrien organisiert. Zahlreiche Nato-Staaten wie Kanada, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Dänemark kämpfen in der US-Allianz, die ihrerseits mit Saudi-Arabien kooperieren, welches der Hauptsponsor der Söldner-Truppen ist, gegen die Russland und die Türkei kämpfen.

Das dpa-Interview im Wortlaut:

dpa: Herr Generalsekretär, die Nato ist das mächtigste Militärbündnis der Welt. Wieso hat sie es zugelassen, dass der Krieg in Syrien 2016 noch einmal eskalieren konnte - zugunsten von Machthaber Baschar al-Assad?

Jens Stoltenberg: Wir wissen, dass der Einsatz militärischer Gewalt ein sehr mächtiges Instrument ist, aber wir sind uns auch darüber bewusst, dass militärische Gewalt nicht immer die Probleme löst. Manchmal kann der Gebrauch militärischer Gewalt eine schreckliche Situation noch schlimmer machen.

dpa: In Bosnien-Herzegowina und in Libyen hat die Nato militärisch eingegriffen, um staatlich organisiertes Morden zu beenden.

Jens Stoltenberg: In diesen Fällen gab es ein Mandat der Vereinten Nationen. Im Fall Syrien sehen wir leider, dass die UN blockiert sind, wie es dem UN-Sicherheitsrat nicht möglich ist, sich zu einigen. Das schwächt die Handlungsfähigkeit der ganzen internationalen Gemeinschaft. (...) Der Einsatz militärischer Gewalt ohne klares UN-Mandat könnte den Konflikt in Syrien noch einmal verschlimmern und zu einem größeren regionalen Konflikt führen.

dpa: Ist der Verzicht auf ein Eingreifen nicht ein klares Signal an Kremlchef Wladimir Putin, dass er sich außerhalb des Nato-Gebiets alles erlauben kann?

Jens Stoltenberg: Die Hauptaufgabe der Nato ist es, die Bündnispartner und das Bündnisgebiet zu schützen. Die Nato ist keine Weltpolizei. (...) Aber klar, in dem Fall stecken wir in einem Dilemma.

dpa: Seit dem Wahlsieg von Donald Trump versuchen Sie und zahlreiche andere Politiker, die möglichen Auswirkungen auf das Bündnis herunterzuspielen. Denken sie wirklich, dass ein russlandfreundlicher US-Präsident und ein russlandfreundlicher Außenminister die aktuelle Nato-Politik mit der Aufrüstung in Osteuropa mittragen werden?

Jens Stoltenberg: Ich habe wie viele andere europäische Staats- und Regierungschefs vor ein paar Wochen mit Donald Trump telefoniert. Er hat gesagt, dass er sich der Nato und dem transatlantischen Bund verpflichtet fühlt. (...) Deswegen bin ich zuversichtlich, dass die Vereinigten Staaten zu ihren Verpflichtungen stehen werden. Was das Thema Russland angeht: Ich bin auch der Ansicht, dass es wichtig ist, mit den Russen zu reden. Das sagen auch die Deutschen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Abschreckung, Verteidigung und Dialog.

dpa: Herr Generalsekretär, ein Blick auf 2017: Wer wird im kommenden Jahr die größere Sicherheitsgefahr für die Nato-Staaten darstellen - Russland oder der internationale Terrorismus?

Jens Stoltenberg: Das sind extrem unterschiedliche Dinge. Von Russland geht keine unmittelbare Gefahr für einen Bündnispartner aus, Russland ist unser Nachbar und Russland wird unser Nachbar bleiben. Deswegen bemühen wir uns um Dialog und Deeskalation. Der IS ist etwas vollkommen anderes. Er ist für zahlreiche Terroranschläge in Hauptstädten von Nato-Staaten verantwortlich. (...) Mit der Terrorgefahr werden wir auch 2017 werden leben müssen. Unser Ziel ist es aber, den IS zu zerschlagen, ihn zu zerstören.

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