Politik

Analyse: EuGH bestätigt exklusive Rolle der EU beim Freihandel

Lesezeit: 2 min
16.05.2017 13:17
Der Kern eines EuGH-Gutachtens: Die EU-Staaten haben kein Recht auf Zustimmung bei Handelsabkommen.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Das EuGH-Gutachten zum Freihandelsabkommen mit Singapur ist nur auf den ersten Blick eine Stärkung der Nationalstaaten: Faktisch geht die EU gestärkt aus dem Gutachten hervor: Die nationalen Parlamente haben, so der EuGH, kein Recht auf Mitwirkung in den entscheidenden Handelsfragen.

Der EuGH hält fest, dass die EU in folgenden zentralen Punkten die „ausschließliche Zuständigkeit hat“:

• den Zugang zum Markt der Union und zum Markt für Waren und Dienstleistungen des Vertragspartners

• Schutz ausländischer Direktinvestitionen

• Rechte des geistigen Eigentum

• Wettbewerbsrecht und Subventionen

• Nachhaltige Entwicklung

• Rechtsstreitigkeiten außer Portfolioinvestitionen und Schiedsgerichtsbarkeit

Der EuGH hält ausdrücklich fest dass die „die Union nur für zwei Teile des Abkommens nicht ausschließlich zuständig“ ist - „nämlich für den Bereich der anderen ausländischen Investitionen als Direktinvestitionen („Portfolioinvestitionen“, die getätigt werden, ohne dass eine Einflussnahme auf die Verwaltung und Kontrolle eines Unternehmens beabsichtigt ist) und für die Regelung der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten“.

Bei den ausländischen Investitionen stellt der EuGH darauf ab, dass die Ausschließlichkeit der EU nur gegeben wäre, wenn „ der Abschluss des Abkommens Handlungen der Union beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte“. Interessant ist, dass die EU hier zumindest ein Mitspracherecht auf nationaler Ebene hat – nämlich in Form einer „mit den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeit“.

Im Hinblick auf die Schiedsgerichte sieht der EuGh ebenfalls eine geteilte Zuständigkeit.

Damit wird klar, dass die EU auch künftig, wie im Vertrag von Lissabon vorgesehen, die Zuständigkeit für den Freihandel ohne die Mitwirkung der nationalen Parlamente behält. Der Bundestag hat demnach keine Mitwirkung in den entscheidenden Fragen.

Die EU-Kommission kann nämlich alle wesentlichen Punkte verhandeln, ohne dass die Mitgliedsstaaten dagegen stimmen können. Für die EU bedeutet das konkret, dass sie nun zügig mit den Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den USA beginnen kann. EU-Präsident Jean-Claude Juncker hatte noch vor dem CETA eine Ehrenrunde eingelegt und das Abkommen an die nationalen Parlamente geschickt.

Für die neuen Verhandlungen muss die EU lediglich den Charakter ihrer Freihandelsabkommen verändern: Sie muss die Themen der Portfolioinvestitionen und die Schiedsgerichte ausklammern und kann – ohne großen Zeitverlust – im Namen der EU-Staaten jedes Abkommen abschließen.

Der EuGH geht sogar noch ein Stück weiter: Der Gerichtshof stellt fest, "dass das Ziel der nachhaltigen Entwicklung nunmehr fester Bestandteil der gemeinsamen Handelspolitik der Union ist". Ein Abkommen über die "Liberalisierung der Handelsbeziehungen" kann auch davon abhängig gemacht werden, "dass die Vertragsparteien ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen in den Bereichen sozialer Schutz von Arbeitnehmern und Umweltschutz erfüllen". Damit ist den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit genommen, Abkommen mit Staaten zu verlangen, für die EU feststellt, dass diese Staaten nicht den ökologischen oder sozialen Kriterien der EU entsprechen.

Im Bereich der Schiedsgerichte hat die EU bereits beim CETA reagiert und die Investorschutzklauseln vom vorläufigen Inkrafttreten ausgenommen. Die Regelung, die im CETA für die Schiedsgerichte vorgesehen sind, sind eigentlich moderner und transparenter als sie in vielen Mitgliedsstaaten vorgesehen sind. Die EU strebt langfristig einen Europäischen Schiedsgerichtshof vor. Dieser dürfte allerdings auf den Widerstand der Briten stoßen, die Im Hinblick auf supranationale Gerichte eine ablehnende Haltung einnehmen.

Das Gutachten zu Singapur wird in Großbritannien daher mit Erleichterung aufgenommen, wie man der Berichterstattung in der FT entnehmen kann. London hat nämlich nun nach dem Austritt die Möglichkeit, mit der EU ein exklusives Handelsabkommen zu schließen, das nicht durch Querschüsse aus den Mitgliedsstaaten torpediert werden kann. In den EU-Staaten dürfte man allerdings, wenn man sich der Bedeutung des Gutachtens erst einmal bewusst wird, die Faust in der Tasche ballen: Denn die EU-Kommission hat tatsächlich die Möglichkeit, ein Handelsabkommen mit Großbritannien auch über die Köpfe der Mitgliedsstaaten abzuschließen.


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mittelstand geht in Rente: Der große Mangel an Nachfolgern - Wie viele übergabereife Unternehmen stehen bald vorm Aus?
04.01.2025

Viele deutsche Mittelständler finden keinen geeigneten Nachfolger und sehen sich perspektivisch zur Geschäftsaufgabe gezwungen, denn...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schwarzarbeit: Schattenwirtschaft auf Höchststand - Immer mehr Schwarzarbeiter durch das Bürgergeld?
04.01.2025

Keine Sozialversicherungsbeiträge, keine Lohnsteuer – stattdessen das Geld bar auf die Hand: Wachstumsschwäche, Arbeitslosigkeit und...

DWN
Politik
Politik Streit um das Warten auf Arzttermine in Deutschland
04.01.2025

Vor allem beim Facharzt machen gesetzlich Versicherte die Erfahrung, dass sie bis zum Termin oft lange warten müssen. Privatversicherte...

DWN
Panorama
Panorama Revolutioniert ein neues KI-Tool den Buchmarkt?
04.01.2025

Media Control verfügt über große Datenmengen zum Buchhandel im deutschsprachigen Raum. Algorithmen sollen sie analysieren und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Rekord bei Erwerbstätigen 2024, doch trübe Prognose für 2025
04.01.2025

Die Erwerbstätigenzahl in Deutschland hat 2024 einen historischen Höchststand erreicht – ein Erfolg, der täuscht. Während...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Schwarzarbeit in Deutschland: Fast 500 Milliarden Euro Umsatz
04.01.2025

Seit 2021 steigt die Schwarzarbeit in Deutschland kontinuierlich an. Im vergangenen Jahr wurden geschätzte 433 Milliarden Euro schwarz...

DWN
Technologie
Technologie Windows 10: Millionen PCs in Deutschland benötigen einen Update
04.01.2025

Nach fünf Jahren steht im Jahr 2025 erneut ein größeres Update bei Windows-PCs an. Die Geräte einfach mit Windows 10 weiterlaufen zu...

DWN
Panorama
Panorama Gurken, Chemnitz, Abstinenz: Was 2025 angesagt sein könnte
04.01.2025

Neues Jahr, neue Trends: Wird der Dry January nun aufs ganze Jahr ausgeweitet? Welche Farbe ist «in»? Essen wir nun alle ganz viele...