Deutschland

Demografie: Gräben zwischen Städten und ländlichen Regionen werden tiefer

Einer Studie zufolge werden sich in Zukunft die Verwerfungen zwischen den relativ erfolgreichen Großstädten und den strukturschwachen ländlichen Regionen in Deutschland verschärfen.
14.04.2019 21:37
Lesezeit: 2 min
Demografie: Gräben zwischen Städten und ländlichen Regionen werden tiefer
Grafik: Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Deutschland erlebt aktuell ein demografisches Zwischenhoch. Die Herausforderungen des demografischen Wandels sind damit aber nicht verschwunden, sondern stehen unmittelbar bevor: Weniger Arbeitskräfte, steigende Kosten in den Sozialsystemen und immer stärker zu Tage tretende regionale Verwerfungen verlangen nach neuen Antworten von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat die demografische Lage der Nation untersucht und erstmals eine eigene, regionale Bevölkerungsprognose für alle 401 Kreise und kreisfreien Städte berechnen lassen. 

Dank Zuwanderung und leicht gestiegener Kinderzahlen ist die Einwohnerzahl entgegen früherer Voraussagen mit rund 83 Millionen auf eine neue Rekordmarke geklettert. Auch in den nächsten Jahren dürfte die Bevölkerung laut der neuen Prognose kaum schrumpfen und 2035 bei etwa 82,3 Millionen Menschen liegen. „Allerdings verschärfen sich in Deutschland die regionalen Verwerfungen zwischen den prosperierenden Großstädten und den entlegenen, strukturschwachen Regionen,“ sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts.

In allen fünf ostdeutschen Flächenländern werden der Prognose zufolge die Bevölkerungszahlen bis 2035 zurückgehen – am stärksten mit fast 16 Prozent in Sachsen-Anhalt. Weite Regionen zwischen Rügen und dem Erzgebirge werden mehr als jeden fünften Einwohner verlieren. Die Alterung der Gesellschaft führt dazu, dass im brandenburgischen Landkreis Spree-Neiße 2035 auf eine Geburt vier Beerdigungen kommen dürften. Gleichzeitig liegt im Osten aber auch die am schnellsten wachsende Stadt der Republik: Leipzig muss bis 2035 ein weiteres Einwohnerplus von rund 16 Prozent verkraften. Zu den wenigen weiteren Leuchttürmen in den fünf ostdeutschen Flächenländern zählen Potsdam, Dresden, Erfurt, Jena, Rostock, Halle und Magdeburg.

„Wachstum und Schrumpfung liegen somit dicht beieinander und beides muss gestaltet werden. Keine leichte Aufgabe für die Politik,“ meint Manuel Slupina, Mitautor der Studie. „In den Wachstumsregionen mangelt es an Wohnraum, Kitas und Schulen. Wo aber die Einwohnerzahlen massiv zurückgehen, sind neue, unkonventionelle Ideen zur Daseinsvorsorge nötig, um die stark gealterte Bevölkerung gut zu versorgen.“

Ein ähnliches Bild wie im Osten zeigt sich in den westlichen Bundesländern, allerdings deutlich weniger ausgeprägt. Die heute schon attraktiven Städte von Hamburg über Frankfurt am Main bis München können sich auf Zugewinne einstellen. Doch vielerorts im Ruhrgebiet und im Saarland, sowie in ländlichen Regionen entlang der früheren innerdeutschen Grenze, in der Südwestpfalz oder an den Küsten werden die Einwohnerzahlen weiter sinken.

Urbane Großräume wachsen, das Land schrumpft weiträumig

Welche Zukunft Deutschlands Regionen zu erwarten haben

Um die „Zukunftsfähigkeit“ der Regionen vergleichbar zu bewerten, hat das Berlin-Institut 21 Indikatoren ausgewählt – aus den Bereichen Demografie, Wirtschaft, Bildung und Familienfreundlichkeit. „Die Politik wünscht sich zwar eine „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, doch die Realität zeigt, dass wir es eher mit einer Vielfalt der Lebensbedingungen zu tun haben,“ sagt Reiner Klingholz. Das zeigt sich auch in den Gesamtnoten des Index, die von 2,32 für die bayerische Landeshauptstadt München bis 4,71 für die Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen reichen.

Das Ranking offenbart ein bekanntes Nord-Süd-Gefälle, vorne liegen vor allem wirtschaftsstarke Städte mit ihren Umlandkreisen in Bayern und Baden-Württemberg. Am Ende finden sich Regionen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und dem Saarland. Im Osten liegen zwar viele vom demografischen Wandel schwer gezeichnete Kreise, aber in den Problemzonen des Westens ist die Lage mittlerweile schwieriger. „Daran zeigen sich die punktuellen Erfolge des Aufbaus Ost und die Tatsache, dass die jahrzehntelange Abwanderung von Ost nach West gestoppt ist,“ sagt Manuel Slupina. Mit Dresden hat sich sogar eine ostdeutsche Großstadt in die Gruppe der Top-20 vorgearbeitet.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...