Politik

Moral predigen, Macht ausüben: Die Herrschaft der internationalen Organisationen

Eine neue Art von Akteuren spielt auf der Bühne der globalen Machtkämpfe mit. Doch ihnen und den etablierten internationalen Organisationen schlägt seit einiger Zeit Gegenwind entgegen.
04.12.2019 10:00
Lesezeit: 5 min
Moral predigen, Macht ausüben: Die Herrschaft der internationalen Organisationen
Demonstranten in Paris. (Foto: dpa)

Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle eine neue Art von internationalen Organisationen, die seit den 90er Jahren auf der Weltbühne eine gewichtige Rolle spielen: Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Diese nichtstaatlichen Organisationen verfolgen in der Regel ein einziges, mehr oder minder klar umrissenes Ziel, beispielsweise den Klimaschutz oder die Armutsbekämpfung. Die Mehrheit dieser Organisationen selbst und ihre Repräsentanten sind in aller Regel einem Spektrum zuzuordnen, innerhalb dessen linke politische Ansichten gepflegt werden. Die Stärke dieser Organisationen ist es häufig, Missstände aufzuzeigen und Druck auf offizielle Stellen auszuüben, um auf diese Weise zu erreichen, dass die Bekämpfung der Missstände angegangen wird.

Gleichzeitig ist das Wirken vieler NGOs jedoch auch kritisch zu sehen. Demokratisch nicht legitimiert, üben sie häufig starken Druck auf staatliche Institutionen aus. Das tun Lobby-Verbände auch, allerdings mit dem Unterschied, dass sie sich nicht des moralischen Impetus´ bemächtigen können, über den NGOs verfügen. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler spricht im Hinblick auf die Rhetorik vieler NGOs von einem „Unterton der moralischen Anklage“. Die hohe Zahl von Marketing- und Medien-Fachleuten, die sich viele NGOs leisten, bringt ihnen häufig ein äußerst hohes Spendenaufkommen ein und sorgt für eine wirksame Platzierung ihrer Agenda im öffentlichen Diskurs. Gleichzeitig ist die Wirkung des konkreten Handelns vieler NGOs, zurückhaltend ausgedrückt, bescheiden. Aber mit Hilfe ihrer Fähigkeit, sich Deutungsmacht anzueignen und - wie oben bereits gesagt - (moralischen) Druck auszuüben, bestimmen sie eben in nicht geringem Maße mit, was politisch umgesetzt wird und was nicht.

Gegenbewegung

Seit den 90er Jahren sind die internationalen Organisationen - mit Ausnahme der NGOs - dabei, an Bedeutung einzubüßen. Gründe hierfür gibt es viele: Der Unterschied zwischen Anspruch und Realität im Hinblick auf das, was sie zu leisten vorgeben, und dem, was sie tatsächlich bewerkstelligen (man denke nur an die militärische Wirkungslosigkeit von UN-Blauhelmen). Weiterhin der disproportionale Einfluss starker und schwacher Mitglieder: So gibt in der Weltbank die Supermacht USA den Ton an, während in der EU die Interessen der südeuropäischen Länder über alle Maßen verfolgt werden (was beispielsweise dazu führt, dass die deutschen Sparer durch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank enteignet werden). Und schließlich - nicht zuletzt als Reaktion auf die eben erwähnten Missstände - setzen sich bei Wahlen zunehmend solche Parteien und Politiker durch, die eben nicht die Abtretung der nationalen Souveränität als höchste politische Tugend propagieren, sprich, internationalen Organisationen mehr und mehr Machtfülle einräumen wollen, sondern wieder vermehrt auf den Nationalstaat setzen.

Den Befürwortern eines immer stärker ausufernden Internationalismus schmeckt das natürlich gar nicht. Wobei viele wahrscheinlich wirklich guten Glaubens und der Meinung sind, kulturelle Nivellierung (man kann es auch plastischer ausdrücken: kultureller Einheitsbrei) leite den Beginn der absoluten Gleichheit und des „ewigen Friedens“ (Immanuel Kant) ein. Was sie dabei vergessen: Kant hat sich explizit gegen die Zerstörung der Souveränität von Staaten ausgesprochen.

Andere (beispielsweise Draghi und viele Mitglieder des EU-Wasserkopfs) sind dagegen wenig bis überhaupt nicht gutmeinend. Sie fürchten um ihre Pfründe, sie verfolgen höchst zielstrebig ihre eigenen Interessen und klammern sich an die Macht. Und tun damit genau das, was sie den Gegnern eines sich immer mehr ausbreitenden Internationalismus vorwerfen: Handeln um des Eigenwohl willens.

Keine Deutschen

Zum Schluss sei noch auf einen interessanten Umstand hingewiesen: deutsche Staatsbürger sind in internationalen Organisationen vergleichsweise selten vertreten. Das hat nicht zuletzt historische Gründe: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte niemand die Deutschen, und die meldeten keine Ansprüche an. Aber selbst nach der Wiedervereinigung und seit nunmehr 74 Jahren nach Ende des Krieges sind die Deutschen in internationalen Organisationen nach wie vor unterrepräsentiert. Das liegt unter anderem an ihren fehlenden Englisch-Kenntnissen. Natürlich sprechen viele Deutsche Englisch, allerdings nicht gut genug, um komplexe Sachverhalte in Wort und Schrift auszudrücken, und das ist auf internationaler Ebene nun mal unerlässlich. Die Angehörigen kleinerer Staaten sind da im Vorteil: Wer etwa aus den Niederlanden oder Skandinavien stammt, lernt Englisch weitaus intensiver - seine Sprache wird außerhalb seines Heimatlandes nämlich von niemandem gesprochen. Und so ist es keine Überraschung, dass die Staatsbürger kleinerer Staaten sowohl in den Bürokratien als auch auf den Entscheider-Ebenen internationaler Organisationen überrepräsentiert sind.

Dazu kommt noch, dass es in Deutschland jahrzehntelang keine praxisnahe universitäre Ausbildung im Bereich der Internationalen Beziehungen gab. „Internationale Politik“ war ein Teilbereich der Politischen Wissenschaften und hatte somit eine eher theoretische Ausrichtung. In Ländern wie den USA, Großbritannien und Frankreich war das anders - dort gab und gibt es regelrechte Kaderschmieden für den Dienst auf dem internationalen Parkett. Seit Einführung des Bachelor/Master-Systems wurden auch in der Bundesrepublik eine Reihe von Master-Studiengängen „Internationale Beziehungen“ gegründet. Nach wie vor verfügen aber sehr viele der, wie gesagt, insgesamt relativ wenigen Deutschen, die bei einer internationalen Organisation arbeiten, über einen Abschluss in Jura oder Ökonomie. Es wäre im Interesse dieses Landes, das Ausbildungs-Angebot zu erweitern, qualitativ und quantitativ. Die Bedeutung internationaler Organisationen mag derzeit eher zurückgehen. Relevant sind sie dennoch - es ist wichtig, dass Deutschland mit kompetenten Leuten vertreten ist, dort, wo globale Politik betrieben wird.

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