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Jungmakler mit TikTok: Wie eine Generation den Versicherungsmarkt neu denkt

TikTok-Reichweite, neue Rollenbilder, klare Erwartungen: Junge Makler treiben die Disruption im unabhängigen Versicherungsvertrieb voran. Die Studie „Jungmaklermarkt 2025“ zeigt, was das für Versicherer bedeutet – und wo diese jetzt handeln müssen.
06.07.2025 10:57
Lesezeit: 4 min
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Der unabhängige Versicherungsvertrieb befindet sich in einem strategischen und operativen Umbruch. Junge Maklerinnen und Makler treiben mit digitalen Tools, TikTok-Reichweite, schlanken Geschäftsmodellen und einem neuen Selbstverständnis den Wandel voran. Das zeigt die gemeinsame Branchenstudie „Jungmaklermarkt 2025“ der Beratungsunternehmen BearingPoint, Coachmenetto und den Versicherungsforen Leipzig.

Maklerpools dominieren den Markt

Ein zentraler Befund der Studie ist der Aufstieg von Maklerpools. Diese Dienstleister bündeln Schnittstellen zu verschiedenen Versicherern, stellen IT-Systeme bereit und übernehmen administrative Aufgaben. 92 Prozent der befragten Jungmakler arbeiten mit einem oder mehreren Pools zusammen, lediglich acht Prozent setzen auf Direktanbindungen. Die Beweggründe sind sowohl strategischer als auch operativer Natur: 78 Prozent der Befragten sehen in der Poolanbindung eine stärkere Verhandlungsposition, 61 Prozent schätzen effizientere Abläufe. Mehr als die Hälfte nennt zudem eine verbesserte Ertragslage als Motiv. 47 Prozent nutzen mehrere Pools parallel, 35 Prozent haben in den vergangenen Jahren den Hauptanbieter gewechselt. 26 Prozent planen bereits den nächsten Wechsel, ausgelöst durch die Suche nach leistungsfähigerer Technologie.

Ein Hamburger Makler etwa entschied sich 2024 für einen neuen Pool, um ein moderneres CRM-System zu implementieren. Das Ergebnis: 30 Prozent weniger Verwaltungsaufwand. „Versicherer müssen ihre Courtage- und Betreuungsmodelle neu denken, um die Erwartungen der Maklergeneration an Technik und Prozesse zu erfüllen“, mahnt Sven Gerhardus, Partner bei BearingPoint im Segment Versicherungen und Mitautor der Studie.

Der Makler als Vertrauenscoachs

Die Studie macht deutlich: Junge Maklerinnen und Makler verstehen sich nicht mehr als Produktvermittler. 82 Prozent bezeichnen sich als „Vertrauenscoach“ mit dem Ziel langfristiger Kundenbindung auf Augenhöhe. Diese neue Beratungsrolle erfordert auch neue Rahmenbedingungen. 67 Prozent der Befragten erwarten gezielte Unterstützung durch digitale Tools für Beratung und Dokumentation. Gleichzeitig nennen 60 Prozent den administrativen Aufwand als zentrales Hemmnis – ein Grund dafür, warum laut der Studie nur ein Viertel der Maklerinnen und Makler ihre Beratung vollständig dokumentiert.

Die individuelle Arbeitsbelastung reicht dabei weit über die klassische 40-Stunden-Woche hinaus. Einzelne Jungmakler berichten von wöchentlichen Arbeitszeiten zwischen 50 und 120 Stunden, vor allem, um Beratung, Administration, Weiterbildung und Markenaufbau unter einen Hut zu bringen. Auch bei der Vergütung ist Bewegung im Markt: 38 Prozent der Befragten setzen mittlerweile auf Honorarberatung statt klassische Provision. Ein Blick nach Schweden zeigt das mögliche Zukunftsbild: Laut der Nordic Insurance Study aus dem Jahr 2024 arbeiten dort bereits 60 Prozent der Maklerinnen und Makler ausschließlich auf Honorarbasis.

Digitalisierung: Anspruch und Umsetzungsdefizite

Digitalisierung gilt als Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit des Vertriebs – doch die Umsetzung hinkt hinterher. Es fehlt an durchgängigen Schnittstellen, stabilen Plattformen und vernetzten Systemen. Studienautor Gerhardus warnt: Ohne robuste IT-Infrastruktur droht der Bruch mit den Erwartungen der jungen Vermittlerschaft. Der Blick ins Ausland unterstreicht den Rückstand. In Großbritannien sind vollintegrierte Plattformen längst Standard. Der digitale Rückstand in Deutschland resultiert laut Studie nicht nur aus technologischen Versäumnissen, auch Investitionen und strategisches Commitment der Versicherer fehlen vielerorts.

Viele Makler fühlen sich mit diesen Herausforderungen alleingelassen. Gerhardus zufolge braucht die Branche jetzt mutige Investitionen und echte Partnerschaftsmodelle, sonst übernimmt die Konkurrenz durch Insurtechs und internationale Akteure.

In welchen Bereichen Jungmakler sich mehr Unterstützung wünschen

Sichtbar auf TikTok, aber nicht wirksam

Trotz starker Präsenz auf Plattformen wie TikTok, Instagram und Facebook gelingt es vielen Jungmaklern bislang nur bedingt, diese Kanäle für eine systematische Neukundengewinnung zu nutzen. Die Studie spricht von einer „digitalen Transformation mit begrenzter Wirkung“.

Die digitale Sichtbarkeit sei zwar vorhanden, jedoch fehle es häufig an einer klaren Zielgruppenansprache und strategischer Ausrichtung. Nur 29 Prozent der Befragten steuern ihr Geschäft aktiv über KPIs, eine verpasste Chance, wie Studienautor Justus Lücke von den Versicherungsforen Leipzig betont: „Entscheidend ist, dass sie ihr Geschäft klar an Kennzahlen ausrichten, um Zielgruppen gezielt anzusprechen und die Neukundengewinnung nachhaltig zu steigern.“

Kollege KI ergänzt Beratung

Während Social Media häufig noch unter ihren Möglichkeiten bleibt, zeigt sich ein anderes digitales Werkzeug bereits deutlich wirkungsvoller: Künstliche Intelligenz (KI) hat den Sprung vom Buzzword zur praktischen Unterstützung geschafft. 65 Prozent der befragten Jungmaklerinnen und -makler erleben durch KI konkrete Veränderungen in der Neukundengewinnung und der Betreuung bestehender Mandate. Beratungstools, Produktempfehlungen und Risikoanalysen auf Basis intelligenter Algorithmen sind für viele bereits Teil des Tagesgeschäfts.

Entscheidend ist laut der Studie der beginnende Rollenwandel im Berufsbild: KI ersetzt nicht die persönliche Beratung, sondern ergänzt sie gezielt. Die befragten Maklerinnen und Makler setzen KI ein, um Routineaufgaben auszulagern und sich stärker auf strategische Gespräche, individuelle Betreuung und fachliche Tiefe zu konzentrieren. „Kollege KI“ wird damit nicht als Bedrohung wahrgenommen, sondern als Tool zur Effizienzsteigerung und professionellen Positionierung im Vertrieb.

ESG: Pflicht und Differenzierungsfaktor

Nachhaltigkeit ist fest im Selbstverständnis vieler junger Makler verankert und längst mehr als ein Trend. ESG, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, gilt ihnen als Pflicht und Chance zugleich. Sie erwarten von Versicherern deshalb echte ESG-Konzepte, praxisnahe Unterstützung bei der Dokumentation sowie glaubwürdige Produktangebote.

Viele nutzen ESG strategisch zur Positionierung und um gezielt nachhaltigkeitsorientierte Kundschaft zu gewinnen. Denn die Nachfrage nach zertifizierten Angeboten, verständlichen ESG-Ratings und praktikablen Beratungshilfen nimmt nachweislich zu. Ein Berliner Makler entwickelte dazu eine eigene ESG-Roadmap zur gezielten Neukundengewinnung. Die Befragung von BearingPoint zeigt: Wer ESG nicht glaubwürdig integriert, verliert in dieser Zielgruppe an Relevanz.

Regulatorik: Belastung und Reformbedarf

Auch die regulatorischen Anforderungen nehmen spürbar zu und beanspruchen einen großen Teil der Arbeitszeit. Viele Maklerinnen und Makler berichten, dass Beratung immer stärker durch administrative Pflichten verdrängt wird. Die Erwartungen an Versicherer und Pools fallen deshalb eindeutig aus: Es braucht funktionale Systeme, die Prozesse automatisieren und den Dokumentationsaufwand reduzieren.

In Dänemark bieten Versicherer schon längst automatische Beratungsdokumentationen an, die spürbare Entlastung bringen. Die Studie fordert daher auch für den deutschen Markt moderne Lösungen, um der Regulatorik mit Effizienz zu begegnen.

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