Finanzen

Wer am stärksten vom Rückgang der Reallöhne in Deutschland betroffen ist

Die Löhne der Deutschen sind im laufenden Jahr erstmals seit Langem wieder gesunken.
28.09.2020 10:00
Lesezeit: 2 min
Wer am stärksten vom Rückgang der Reallöhne in Deutschland betroffen ist
Geldscheine. (Foto: dpa) Foto: Federico Gambarini

Die Löhne in Deutschland sind inmitten der Corona-Rezession so stark geschrumpft wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2007. Die Bruttomonatsverdienste einschließlich Sonderzahlungen fielen demnach im zweiten Quartal um 4,0 Prozent niedriger aus als im Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Da die Verbraucherpreise zugleich um knapp 0,8 Prozent zulegten, ergibt sich nach Abzug der Inflation ein realer Verdienstrückgang von 4,7 Prozent. „Es ist die historisch stärkste Abnahme der Nominal- und auch der Reallöhne im Vorjahresvergleich seit Beginn der Zeitreihe 2007“, betonten die Statistiker. Sie falle stärker aus als in der Finanzkrise 2008/2009 – was sich tendenziell in einem schwächelnden Binnenkonsum infolge der verringerten Kaufkraft bemerkbar machen könnte.

Doch das Bild der Nominal- und Reallöhne ist verzerrt. „Da das gezahlte Kurzarbeitergeld nicht zum Lohn gerechnet wird, führt das rein statistisch zu fallenden Löhnen pro Beschäftigten“, sagte der Wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien. „In den verfügbaren Einkommen spiegelt sich dieser Rückgang glücklicherweise nicht in gleichem Maße wieder.“ Das zeige die stabilisierende Bedeutung des Kurzarbeitergeldes.

Hauptgrund für die negative Lohnentwicklung ist die verkürzte Arbeitszeit: Im Vergleich zum Vorjahresquartal sank für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer die bezahlte Wochenarbeitszeit um 6,2 Prozent auf durchschnittlich 36,8 Stunden. Die Wirtschaftsleistung war im Frühjahr wegen der Maßnahmen im Kampf gegen Corona mit 9,7 Prozent so stark eingebrochen wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik.

Experten gehen davon aus, dass sich mit der wirtschaftlichen Erholung auch das Bild bei den Löhnen aufhellt. Im Quartalsvergleich dürfte es schon im zu Ende gehenden Sommerquartal saisonbereinigt ein Lohnplus geben, auch wenn das Niveau noch unter dem Vorjahreszeitraum verharre, sagte IMK-Direktor Dullien. „Gleichzeitig bleibt das Kurzarbeitergeld ein wichtiges Stabilisationselement für die Einkommen der privaten Haushalte.“ Ohne die in der Krise von der Bundesregierung gelockerten Bedingungen zur Kurzarbeit würden die verfügbaren Einkommen zurückgehen und damit Konsum und Erholung belastet.

Untere Einkommensgruppen waren am stärksten von Lohneinbußen betroffen. Bei un- und angelernten Arbeitnehmern in Vollzeit sanken die bezahlten Arbeitsstunden um 9,8 beziehungsweise 9,4 Prozent. Die Verdienste reduzierten sich für diese beiden Gruppen um 7,4 beziehungsweise 8,9 Prozent. Dullien führt das darauf zurück, dass solche Jobs oft in besonders betroffenen Branchen wie Einzelhandel oder Gastgewerbe vorkommen oder sich schwer per „Home Office“ erledigen ließen. Im Vergleich dazu gingen für Arbeitnehmer in leitender Stellung sowohl Verdienste (-2,0 Prozent) als auch Wochenarbeitszeit (-3,0 Prozent) unterdurchschnittlich zurück.

Seit Beginn der Statistik 2007 stiegen die Löhne bis 2019 insgesamt um 33,0 Prozent. In den neuen Ländern fiel das Plus mit 41,0 Prozent stärker aus als im Westen mit 32,1 Prozent. Trotzdem besteht ein großes Gefälle: Der durchschnittliche Bruttojahresverdienst mit Sonderzahlungen lag bei vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern im Westen bei 54.550 Euro, im Osten mit 41.534 Euro fast ein Viertel niedriger.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik EU im Abseits: Trump bevorzugt London und Peking – Brüssel droht der strategische Bedeutungsverlust
12.05.2025

Während Washington und London Handelsabkommen schließen und die USA gegenüber China überraschend Konzessionen zeigen, steht die EU ohne...

DWN
Panorama
Panorama Nach Corona nie wieder gesund? Die stille Epidemie der Erschöpfung
12.05.2025

Seit der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der ME/CFS-Betroffenen in Deutschland nahezu verdoppelt. Rund 600.000 Menschen leiden inzwischen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Machtkampf der Tech-Eliten: Bill Gates attackiert Elon Musk – „Er tötet die ärmsten Kinder der Welt“
12.05.2025

Ein milliardenschwerer Konflikt zwischen zwei Symbolfiguren des globalen Technologiekapitalismus tritt offen zutage. Der frühere...

DWN
Politik
Politik Pflege am Limit? Ministerin fordert Reform für mehr Eigenverantwortung
12.05.2025

Pflegekräfte sollen mehr dürfen und besser arbeiten können – das fordert Gesundheitsministerin Nina Warken zum Tag der Pflegenden....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Milliarden ungenutzt: Irischer Top-Investor fordert Einsatz von Pensionsgeldern zur Stärkung europäischer Technologie
12.05.2025

Die europäische Technologiebranche droht im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten. Der Grund: Staatlich geförderte...

DWN
Politik
Politik Geheime Waffenlieferungen: Kritik an Intransparenz – Ukrainischer Botschafter lobt Merz’ Kurs
12.05.2025

Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz hat entschieden, Waffenlieferungen an die Ukraine künftig wieder geheim zu halten – ein...

DWN
Politik
Politik SPD-Spitze im Umbruch: Bas spricht von historischer Verantwortung
12.05.2025

Die SPD steht nach dem desaströsen Wahlergebnis von 16,4 Prozent bei der Bundestagswahl vor einem umfassenden Neuanfang. In Berlin haben...

DWN
Politik
Politik Beamte in die Rente? SPD und Experten unterstützen Reformidee
12.05.2025

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas erhält Unterstützung aus der SPD für ihren Vorschlag, künftig auch Beamte, Selbstständige und...