Die Schifffahrtsbranche wurde von der Coronakrise hart getroffen. Aufträge für neue Schiffe sind tief im Keller und machten Stand August weniger als 10 Prozent der gesamten Kapazität aus, wie „Freightwaves“ berichtet. Laut Angaben des Branchendienstleister Clarkson wurden im ersten Halbjahr wegen Produktions-Stilllegungen und -verzögerungen in den Werften weltweit rund 20 Prozent weniger Schiffe fertiggestellt als im Vorjahreszeitraum. Und bei laufenden Aufträgen häufen sich Zahlungsprobleme.
Im Transportgeschäft mit der bestehenden Flotte läuft es ebenfalls nicht berauschend. Besonders leiden die auf Kreuzfahrtschiffe spezialisierten Reedereien. Der Frachttransport lässt sich mit einer relativ kleinen Besatzung bewerkstelligen, aber das Kreuzfahrtgeschäft ist auf eine hohe Auslastung mit Gästen angewiesen.
Der Welthandel erholt sich zunehmend, auch wenn die Handelsumsätze 2020 nach Schätzungen von Ökonomen der Welthandelsorganisation (WHO) insgesamt um 9,2 Prozent zurückgehen werden. Der Baltic Dry Index (Frachtraten im Seehandel für Hauptfrachtgüter wie Kohle, Eisenerz, Kupfer und Getreide) reflektiert diese Erholung.
Anders sieht es in der Kreuzfahrt aus: Die Corona-Bestimmungen sind für die Branche schlichtweg ruinös. Für manchen Reeder wäre eine Unterauslastung sogar noch das geringste Problem. In vielen Regionen der Welt dürfen die Schiffe weiterhin gar nicht erst vom Anker gehen. Im März haben zum Beispiel US-Behörden Kreuzfahrten aus Häfen in den USA offiziell verboten. Vor kurzem wurde die Bestimmung bis Ende Oktober verlängert. 2019 machte die Industrie weltweit noch etwa 24 Milliarden Euro Umsatz. In diesem Jahr werden die Erlöse auf schätzungsweise 7 Milliarden sinken.
Unter den widrigen Umständen bleibt den Betreibern häufig nur noch ein letzter Ausweg: Die Zerlegung ihrer Schiffe beziehungsweise der Verkauf der Schiffe an ein darauf spezialisiertes Unternehmen. Damit soll wenigstens noch ein bisschen Geld in die leeren Kassen gespült werden.
Im Hafen von Aliaga in der Türkei floriert jetzt das Zerlegungsgeschäft. Der Großteil dieses Geschäfts findet in China, Indien und Bangladesch statt. In Europa aber ist Aliaga die erste Adresse, wenn es um das Verschrotten von Wasserfahrzeugen geht. In der Abwrackwerft namens „Aliaga Ship Recycling Facility“ in der Bucht von Candarli im Ägäischen Meer sind rund 20 Betriebe mit insgesamt 2500 Arbeitskräften ansässig. Die meisten Schiffe kommen aus den USA, Großbrittanien und Italien. Vor Corona legten hier überwiegend Containerschiffe an, aktuell sind es auch vermehrt Kreuzfahrt-Modelle. Das Volumen an zerlegtem Stahl wird für das laufende Jahr circa 1,1 Millionen Tonnen betragen. Durch die zusätzliche Nachfrage an Kreuzfahrtschiffen ist der Umsatz im ersten Halbjahr gegenüber 2019 um 30 Prozent gestiegen.
Die Zerlegung eines durchschnittlichen Passagier-Schiffes dauert etwa ein halbes Jahr. Bei der Verschrottung geht es primär um die verbauten Metalle. Aber auch andere Einzelteile wecken Begehrlichkeiten. In Aliaga werden diese teilweise von lokalen Hoteliers gekauft.
Reuters zitiert Kamil Onan, Vorsitzender einer lokalen Schiffsrecycling-Gesellschaft: „Wie versuchen, aus der Krise eine Chance zu machen“. Chancen sind für die (Kreuzfahrt-)Reedereien nicht in Sicht. Man versucht einfach, noch das Beste aus der katastrophalen Situation zu machen.