Deutschland

Im DWN-Interview: Wolfgang Kubicki spricht in Sachen Corona-Maßnahmen von "Verfassungswidrigkeit"

Lesezeit: 2 min
30.10.2020 18:30  Aktualisiert: 30.10.2020 18:30
Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben den Vizepräsidenten des Bundestages, Wolfgang Kubicki, zu den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung befragt.
Im DWN-Interview: Wolfgang Kubicki spricht in Sachen Corona-Maßnahmen von "Verfassungswidrigkeit"
Wolfgang Kubicki (FDP), Vizepräsident des Deutschen Bundestages. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten bezieht der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Kubicki (FDP), zu den Corona-Maßnahmen Stellung.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie die jüngsten Anti-Corona-Maßnahmen der Bundesregierung?

Wolfgang Kubicki: Ich halte die Maßnahmen in Teilen für rechtswidrig. Die jüngsten Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte in Niedersachsen und im Saarland, die am selben Tag beziehungsweise einen Tag nach der Runde der Regierungs-Chefs ergangen sind, weisen in diese Richtung. In beiden Fällen wurde die Sperrstunde ab 23 Uhr als rechtswidrig moniert und aufgehoben. Wenn aber bereits die Sperrstunde infektionsrechtlich nicht begründet werden kann, dann kann die komplette Sperrung der Gastronomie-Betriebe noch weniger begründet werden. Ich gehe davon aus, dass eine Reihe von obergerichtlichen Entscheidungen dieses Maßnahmenpaket perforieren wird. Das ist übrigens das Risiko, das die Regierungen hier selbst eingegangen sind. Mit einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage, die durch die Parlamente geschaffen wird, wäre das Risiko der Verfassungswidrigkeit deutlich geringer als mit einer Verordnung durch die Exekutive.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ nach Auffassung der Bundesregierung nach wie vor Bestand hat?

Wolfgang Kubicki: Was die Bundesregierung hierbei denkt, ist mir ziemlich egal. Entscheidend ist, dass die Unionsfraktion diese Ansicht hat. Und weil ihr Partner SPD aus koalitionsvertraglichen Erwägungen hiergegen nicht vorgehen kann, bleibt dies auch bis Ende März 2021 so (bis spätestens März 2021 gilt die

„epidemische Lage von nationaler Tragweite“ – Anm. d. Red.). Wir müssen also akzeptieren, dass die Abgeordneten von CDU und CSU sich auf Arbeitsverweigerung zurückziehen. Ich rufe deshalb jede Bürgerin und jeden Bürger auf, sich mit dem lokalen Unions-Abgeordneten in Verbindung zu setzen und zu fragen: Was macht Ihr eigentlich zur Corona-Bekämpfung?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ließen sich die Anti-Corona-Maßnahmen und ein Regieren durch Verordnungen unter Berufung auf eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ zeitlich unbegrenzt fortsetzen?

Wolfgang Kubicki: Nein, nicht einmal wenn die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird. Denn dann wäre ein entsprechendes Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sicher erfolgreich. Das Parlament kann sich nicht dauerhaft zur Selbstentmächtigung zwingen und der Bundesregierung freie Hand geben. Das wäre verfassungswidrig.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind die Maßnahmen der Bundesregierung verfassungsrechtlich gedeckt?

Wolfgang Kubicki: Wie erwähnt: Wahrscheinlich nicht. Es bedarf guter Gründe, um zum Beispiel das Grundrecht auf Berufsfreiheit einzuschränken. Wenn Kantinen geöffnet, aber Restaurants geschlossen werden sollen, dann bedarf es einer tragfähigen infektionsrechtlichen (!) Begründung. Wenn Nagelstudios geschlossen, aber Frisöre geöffnet bleiben, haben wir das gleiche Problem. Dieses Maßnahmenpaket ist so inkonsistent und deshalb logisch nicht nachvollziehbar. Wir müssen wirklich aufpassen, dass die Akzeptanz für die Anti-Corona-Maßnahmen hoch bleibt. So wird das nicht gelingen.

***

Info zur Person: Wolfgang Kubicki, Jahrgang 1952, trat 1971 in die FDP ein. Dem Kieler Landtag gehörte er von 1992 bis 2017 an. Zwischen 1989 und 1993 war er Landesvorsitzender der FDP Schleswig-Holstein und Mitglied des Bundesvorstands. 1992/93, und von 1996 bis 2017 war er Vorsitzender der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Er kandidierte insgesamt bei sieben Landtagswahlen als Spitzenkandidat der Liberalen und erreichte 2009, 2012 und 2017 die drei besten Wahlergebnisse in der Geschichte seiner Partei. Er ist seit 2013 stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Seit 2017 gehört er wieder dem Bundestag an. Er wurde Ende Oktober 2017 zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Von der Ausbildung her ist er Rechtsanwalt. Kürzlich erschien sein Buch „Meinungsunfreiheit“ im Westend Verlag. www.westendverlag.de/buch/meinungsunfreiheit/.


Mehr zum Thema:  

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Bahn Infrastruktur: Rekordinvestitionen von 17 Milliarden Euro in 2024
02.01.2025

Die Deutsche Bahn investiert 2024 knapp 17 Milliarden Euro in ihre Infrastruktur – ein Rekord. Mit erneuerten Gleisen, modernisierten...

DWN
Politik
Politik US-Industriepolitik: Warum Biden und Trump unterschiedliche Wege zur Industrieankurbelung wählen
02.01.2025

Die US-Industriepolitik steht im Fokus der wirtschaftlichen Debatten zwischen Trump und Biden. Während die Biden-Regierung mit...

DWN
Politik
Politik Russland stoppt Gaslieferungen: Moldau unter Druck, Rumänien hilft aus
02.01.2025

Russland setzt Moldau mit einem Gaslieferstopp unter Druck. Vor allem Transnistrien, die prorussische Separatistenregion, spürt die Folgen...

DWN
Politik
Politik Estlink 2: Kabelschäden ohne Folgen für Anschluss an EU-Stromnetz
02.01.2025

Estlink 2: Der Ausfall des Unterseekabels sorgt für Unsicherheit in den baltischen Staaten. Dennoch bleibt die litauische Regierung...

DWN
Finanzen
Finanzen Strompreise 2025: Wie sich Kosten durch Netzentgelte und Umlagen entwickeln
02.01.2025

Strompreise 2025 bleiben ein heißes Thema: Verbraucher:innen erwarten steigende Kosten durch höhere Netzentgelte und CO2-Preise. Doch...

DWN
Politik
Politik CSU verschärft Ton in der Migrationspolitik
02.01.2025

Zur CSU-Winterklausur gehören traditionell lautstarke Forderungen an die Bundesregierung. Dieses Mal hofft die Partei, viele davon nach...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis anno 2025: Konflikte und Verschuldungen bleiben die Hauptsorgen der Anleger
02.01.2025

Die Gold-Verwalter von BullionVault in London haben mal wieder seine Kunden befragt, warum sie in Gold und Edelmetalle investieren....

DWN
Panorama
Panorama New Orleans und ein explodierter Cybertruck vor Trumps Hotel: Gibt es einen Zusammenhang?
02.01.2025

Mit voller Absicht soll der Attentäter in die Menge gerast sein und 15 Menschen getötet haben. Das FBI geht von einem Terroranschlag aus,...