„Das Sahneteilchen unseres Bauprojekts ist gelungen, ich bin stolz auf unser Team. Es war Präzisionsarbeit“, sagte Hochtief-Projektleiter Jan Felgendreher. „Dass der Verschub heute so gut gelungen ist, stellt die Weichen für künftige Bauprojekte“, sagte Auftraggeberin Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH des Bundes.
Damit kommentierten der größte deutsche Baukonzern und eine Vertreterin des deutschen Staates ein spektakulären Abschnitt eines Projektes, den Hochtief gerade beendet hat: Das Unternehmen hat die Lennetalbrücke in Nordrhein-Westfalen, die 30.000 Tonnen schwer und fast einen Kilometer lang ist, um fast 20 Meter seitlich verschoben. Die Fachleute, die in das Vorhaben eingebunden waren, benötigten dafür sechseinhalb Stunden.
Nie zuvor hatte jemand in Deutschland versucht, eine Brücke von dieser Dimension so zu bewegen. Die ersten Arbeiten hatten Ende 2013 begonnen, mit der Verkehrsfreigabe des sechsspurigen Verbindungsweges wird im Sommer des laufenden Jahres gerechnet - mit einer Verspätung um ein halbes Jahr.
Das Unternehmen hatte in der ersten Bauphase westlich der bestehenden Brücke provisorische Pfeiler errichtet, die zunächst eine Fahrbahn des neuen Viaduktes trugen. Als Hochtief die Säulen baute, lief der Verkehr weiter über die alte Strecke. Nach Beendigung dieser Bauarbeiten wurde der Verkehr seit März 2017 über den neuen Brückenteil geleitet. Dann folgte der Abriss der alten Brücke sowie der Bau von Pfeilern am endgültigen Standort. Und schließlich verschob jetzt Hochtief vor einer Woche die Fahrbahn von den provisorischen Säulen weg an ihren letztlich vorgesehenen Platz.
Fast 90.000 Fahrzeuge passieren pro Tag die Lennetalbrücke
Dass das Projekt verkehrspolitisch besonders bedeutsam ist, wird auch an folgenden Zahlen deutlich: Denn hier passieren pro Tag rund 90.000 Autos und LKW diese Stelle der Autobahn. Folglich stellt es für Hochtief einen erheblichen Prestige-Gewinn dar.
Doch ist dies nur ein spektakulärer Einzelerfolg des Konzerns, der nicht unbedingt die gesamten Geschäfte des Konzerns widerspiegelt. So spricht das Unternehmen zwar in seiner offiziellen Mitteilung für die Bilanz 2020 von „robusten Ergebnissen“. Doch finden sich in nahezu allen Teilen des Zahlenwerkes, das sehr viele unübersichtliche Posten auflistet, Rückgänge im zweistelligen Prozentbereich:
Die Umsätze sind im Vergleich zum Vorjahr um 11,2 Prozent auf etwas weniger als 23 Milliarden Euro gefallen. Darüber hinaus ist der operative Konzerngewinn um 28,7 Prozent auf 476,8 Millionen Euro geschrumpft. Und der Auftragseingang hat sich um 24,2 Prozent auf fast 23,1 Milliarden Euro verringert, während sich der Auftragsbestand um 10,8 Prozent auf 45,8 Milliarden Euro verkleinert hat.
Das Besondere an Hochtief ist nicht nur seine Umsatzgröße, sondern auch die Tatsache, dass das Unternehmen in keinem der zahlreichen Bau-Verbände mehr Mitglied ist. Ende 2016 war der Essener Konzern aus dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) ausgetreten. Jetzt spart das Essener Unternehmen dadurch pro Jahr 700.000 bis 800.000 Euro, wie das Fachblatt "WirtschaftsWoche" berichtete. Das Unternehmen sieht sich als politisch stark genug, um seine Interessen allein zu vertreten. So steuert Hochtief grundsätzlich sechs bis sieben Prozent zu den Gesamtumsätzen des Wirtschaftszweiges bei.
Doch heißt dies nicht, dass es sich deswegen wesentlich besser entwickelt als die kleineren Firmen, die Mitglieder bei einem Bauverband sind – beispielsweise bei der Bundesvereinigung Bauwirtschaft (BVB): „Wir blicken auf ein kompliziertes Jahr 2020 zurück, das uns immerhin noch ein Umsatzwachstum von 2,5 Prozent gebracht hat. Allerdings ist das Jahr bei unseren Mitgliedern sehr unterschiedlich verlaufen“, schätzte der Vorsitzende Marcus Nachbauer die Lage der rund 370.000 Mitgliedsbetriebe ein.
Damit haben die Firmen der BVB einen Gesamtumsatz von 363,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Die Corona-Krise hat sich zwar grundsätzlich nicht so stark auf die Branche ausgewirkt, weil viele Mitarbeiter im Freien auf den Baustellen arbeiten. Branchenfachleute sagen, dass sich der Wirtschaftszweig im Großen und Ganzen nicht beklagen kann.
Doch war der Ausbruch der Pandemie bei manchen Aufträgen schon zu spüren. Beispielsweise beim Wohnungsbau, weil die Privatkunden die Bau-Fachleute nicht mehr in die Wohnungen lassen wollten. Darüber hinaus gestaltete sich mitunter die Organisation der Hygiene-Maßnahmen als schwierig, weil die Kollegen bei der Arbeit nicht immer den notwendigen Mindestabstand einhalten konnten.
Immerhin gibt Nachbauer vom BVB für das laufende Jahr einen leicht positiven Ausblick: „Und auch für 2021 erwarten wir nur ein geringfügiges Wachstum von 1,3 Prozent. Unsere Mitglieder würden dann 368,2 Millarden Euro Umsatz erwirtschaften.“