Nach Volkswagen wollen Verbraucherschützer im Skandal um manipulierte Dieselmotoren mit einer Musterfeststellungsklage auch den Autobauer Daimler zum Einlenken zwingen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erhob am Mittwoch nach eigenen Angaben vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) eine solche Klage, mit der grundsätzliche Fragen vorab für alle einzelnen Schadenersatz-Verfahren von Mercedes-Kunden geklärt werden können. Der Verband wirft dem Stuttgarter Autobauer vor, in vielen seiner Mercedes-Oberklasse-Modelle Abschalteinrichtungen verbaut zu haben, die auf dem Prüfstand niedrigere Abgaswerte vorspiegelten als im wirklichen Straßenverkehr. Daimler bestreitet Manipulationen und kündigte an, sich auch in einem Musterverfahren gegen alle Ansprüche zur Wehr zu setzen. Mit einer Musterklage entlaste man die Gerichte, die dann nicht mehr in jedem Einzelfall klären müssten, ob Daimler solche Abschalteinrichtungen vorsätzlich eingebaut habe und ob das sittenwidrig gewesen sei, sagte vzbw-Vorstand Klaus Müller in einer Telefonkonferenz. Anders als bei VW gehe es bei Daimler um „ein ganzes Sammelsurium von Manipulationen“. „Bei Daimler ist das System erheblich ausgereifter als bei anderen Herstellern“, sagte Rechtsanwalt Christian Grotz von der Anwaltskanzlei Stoll & Sauer. Die Landgerichte hätten oft gar keine Zeit, sich mit technischen Einzelheiten zu befassen.
Knackpunkt bei den Verfahren ist, ob die temperaturabhängige Abgassteuerung eine sittenwidrige Täuschung ist und damit einen Schadenersatzanspruch begründet. Müller sagte, die Verbraucherschützer seien bereit zu Vergleichsverhandlungen mit dem Autobauer: „Sollte sich Daimler das ersparen wollen - unsere Telefonnummer ist bekannt.“ Mit Volkswagen hatte der vzbv einen Vergleich ausgehandelt, nach dem 200.000 Kunden insgesamt 620 Millionen Euro ausgezahlt bekommen sollten.
Daimler will sich darauf nicht einlassen. Ein Sprecher verwies darauf, dass die Urteile im Zusammenhang mit Dieselklagen bisher „fast ausschließlich zu unseren Gunsten“ ausgegangen seien. Die deutschen Land- und Oberlandesgerichte hätten in rund 95 Prozent der Fälle Daimler Recht gegeben. Vor Oberlandesgerichten seien nur zwei von mehr als 500 Urteilen zugunsten der Kunden ausgegangen, vor Landesgerichten setzten sich in 600 von mehr als 10.000 Fällen die Kläger durch. Dazu kommt nach Unternehmensangaben eine dreistellige Zahl außergerichtlicher Vergleiche. Ob eine Musterklage auch gegen BMW geplant sei, wollte Müller nicht sagen: „Immer einer nach dem anderen.“ Der Münchner Autobauer bestreitet Manipulationsvorwürfe.
Bei der Musterklage gegen Daimler bezieht sich der vzbv auf knapp 50.000 Geländewagen-Modelle der Serien GLC und GLK, die auf Geheiß des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) in den Jahren 2018 und 2019 für ein Software-Update in die Werkstätten zurückgerufen worden waren. Neu kosten die Fahrzeuge rund 40.000 Euro. Grotz schätzt die Schadenersatzklagen allein bei dem dort verbauten Motoren-Typ OM651 auf eine "klar vierstellige" Zahl. Neben einer Rückabwicklung des Kaufs komme auch eine Wertminderung von 10 bis 15 Prozent in Betracht. Insgesamt sind nach Angaben des vzbv mehr als 250.000 Mercedes-Modelle von Rückrufen im Zusammenhang mit Abschalteinrichtungen betroffen.
Kunden, die sich der Musterklage anschließen wollen, müssen sich beim Bundesamt für Justiz in ein Klageregister eintragen. Damit verhinderten sie, dass mögliche Ansprüche Ende des Jahres verjährten, erklärte der Verband.