Es gibt zwei Sätze im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP, die niemand überlesen sollte:
„Das verlangt den von uns angestrebten massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken. (...) Die bis zur Versorgungssicherheit durch Erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke müssen so gebaut werden, dass sie auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden können."
Mit diesen beiden Sätzen stellen die drei Parteien unmissverständlich fest, dass die Energiewende mit 100 Prozent erneuerbaren Energien nach 30 Jahren der intensiven Förderung gescheitert ist. Sie stellen fest, dass wegen des wachsenden Strom- und Energiebedarfs zusätzlich zu den bestehenden Gaskraftwerken sogar neue moderne Gaskraftwerke hinzugebaut werden müssen. Diese werden mit Erdgas befeuert. Ob in Zukunft ein nennenswerter Teil davon mit Speichergasen wie Wasserstoff betrieben werden kann, ist wegen den damit verbundenen hohen Wirkungsgradverlusten aus heutiger Sicht eher fraglich.
Die Grünen korrigieren mit diesen Sätzen ihre Politik der letzten Jahre, in denen sie – gemeinsam mit Umweltverbänden - neben dem Atom- und schnellstmöglichen Kohleausstieg beständig auch noch den zügigen Ausstieg aus der Stromerzeugung mit Gaskraftwerken gefordert hatten.
Aus Gründen der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit weisen SPD, Grüne und FDP mit diesen beiden Sätzen entsprechende Forderungen des Deutschen Naturschutzrings (DNR), des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), von Greenpeace, World Wide Fund For Nature (WWF), Deutscher Umwelthilfe (DUH) und anderen NGOs zurück, die in Brüssel seit Jahren massiv gegen Gaskraftwerke lobbyieren, obwohl Umweltverbände im Kontext der "Kohlekommission" zuvor die Notwendigkeit dieser Kraftwerke eingeräumt hatten. In verantwortungsloser Weise forderte die Deutsche Umwelthilfe noch in diesem Jahr, die so genannte EU-Taxonomie-Verordnung "sauber zu halten und sich für einen Ausschluss von Erdgas einzusetzen".
Mit diesem Sondierungspapier ist es nun quasi "amtlich", dass Wind- und Solaranlagen einen (vollständigen) Backup-Kraftwerkspark benötigen, weil die Sonne nachts nicht scheint und der Wind oftmals so wenig weht, dass die Windenergieanlagen weniger als ein Prozent ihrer bundesweit installierten Leistung ins Stromnetz einspeisen. 30 Jahre nach Beginn der intensiven Förderung der Wind- und Solarenergie wissen wir, was geht und was nicht geht.
Wenn man Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 100 Gigawatt (GW) installiert, die aber zeitweise nur zwischen Null und 1 GW Strom erzeugen können, während der Strombedarf bei 80 GW und künftig sogar bei mehr als 100 GW liegt, dann ist das keine gute Bilanz.
Es bedarf nun einer grundlegend neuen Diskussion über die Energiepolitik. Das Vorhaben von SPD, Grünen und FDP, einfach so weitere hohe Milliardenbeträge in dieses System zu pumpen, zumal „auf Pump", sollte dringend überdacht werden. Es bedarf einer fundamentalen Korrektur dieser Energiewende.
Der Journalist Roland Tichy, Chefredakteur von "Tichys Einblick" (ehemals Wirtschaftswoche, Handelsblatt und Capital, sowie ehemaliger Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung) empfiehlt eine Zäsur. Bezugnehmend auf das Buch „StromMangelWirtschaft - Warum eine Korrektur der Energiewende nötig ist" schreibt er:
„Das Buch greift detailliert alle Fehler auf, die im Zuge des großen Traums von der Energiewende gemacht wurden – und mit aller Entschlossenheit, Gefahren und Fakten gleichermaßen zu negieren, weiterhin gemacht werden. So ist ein Kompendium entstanden, das vermutlich einen der größten politischen Irrtümer in der Geschichte der Menschheit beschreibt: Merkels Energiewende. (...)
Letztlich muss sich Deutschland die Frage stellen: Wie konnte sich eine Gesellschaft derart selbst täuschen und sich von ihren Politikern und Mainstream-Medien so täuschen lassen? Die Parteien CDU, CSU, FDP, Grüne und Linke haben begeistert mitgemacht, unterstützt von Wirtschaftsforschungsinstituten wie dem DIW, vielen NGOs, Greenpeace und Lobbyverbänden. Sie stehen jetzt vor den Ruinen ihrer Ideologie."
Es ist jetzt nicht die Zeit für Sentimentalitäten. Unserem Land droht ein Abwandern von erheblichen Teilen seiner Industrie, wenn die Energiepolitik so fortgeführt wird wie bisher. In manchen Unternehmen sind die Groschen längst gefallen: Sofern es nicht schnellstmöglich zu einer Korrektur der Energiepolitik kommt, werden die bestehenden Industrieanlagen zwar noch zu Ende genutzt, Neu-Investitionen erfolgen aber nicht mehr in Deutschland. Dies würde mit einem massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen, und der Sozialstaat, auf den sich immer mehr Bürger stützen, wäre in diesem Umfang nicht länger finanzierbar.
Wagen wir jetzt einen Neuanfang in der energiepolitischen Debatte, auch im Interesse unserer europäischen Nachbarstaaten, die über die deutsche Energiepolitik vielfach einfach nur noch den Kopf schütteln. Denn würden wir so weitermachen, würden wir nicht zuletzt auch schwerste Konflikte in Europa und in der Europäischen Union riskieren, wenn die Stabilität des Europäischen Verbundnetzes durch die deutsche Energiewende immer stärker gefährdet wird.
LESEN SIE AM SONNTAG DIE GROSSE ANALYSE VON ENERGIE-EXPERTE HENRIK PAULITZ: