Wirtschaft

Die afrikanische Freihandelszone: Mehr Schein als Sein

Die afrikanische Freihandelszone „AfCFTA“ wirkt gigantisch: 54 Länder – keine andere Freihandelszone der Welt umfasst mehr Märkte – mit 1,2 Milliarden Einwohnern sollen uneingeschränkt Handel treiben dürfen. Doch bisher haben sich die Hoffnungen nicht erfüllt.
19.03.2022 01:25
Aktualisiert: 19.03.2022 01:25
Lesezeit: 5 min
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Die afrikanische Freihandelszone: Mehr Schein als Sein
Im deutsch-afrikanischen Handel sieht es eher düster aus. (Foto: dpa) Foto: Ingo Wagner

„AfCFTA – die afrikanisch-kontinentale Freihandelszone – die größte der Welt.“ Das steht in großen Lettern auf der Website der Organisation, die der ganze Stolz der afrikanischen Staaten ist, die sie gegründet haben. Und ihre Ausmaße wirken tatsächlich gigantisch: So gehören ihr 54 Staaten an, womit sie in dieser Hinsicht alle anderen Freihandelszonen der Erde übertrifft. Ein Vergleich: Die EU hat nur halb so viele Mitgliedsländer.

Rund 90 Prozent der bisherigen Zölle und Handelsschranken sollen in naher Zukunft abgebaut werden – damit 1,2 Milliarden Konsumenten und unzählige Unternehmen auf diese Weise fast uneingeschränkten Handel treiben können. So zumindest die Erwartungen der Mitgliedsstaaten.

Seit dem 1. Januar 2021 befindet sich die AfCFTA nunmehr in Kraft – seit etwas mehr als einem Jahr also: Doch ist das bisherige Ergebnis enttäuschend – aller großen Ambitionen zum Trotz. „Bislang hat es wenig Handel unter dem neuen Schema in der Praxis gegeben“, analysiert GTAI-Korrespondentin Corinna Päffgen auf Anfrage der DWN. Päffgen hat ihr Büro in Accra, der Hauptstadt von Ghana, wo die AfCFTA ihr Sekretariat unterhält. Die deutsche Wirtschaftsförderungsgesellschaft GTAI wird vom Bundesministerium für Wirtschaft unterstützt und fördert den internationalen Handel der deutschen Firmen.

Damit ist klar, dass die AfCFTA ihren eigenen Plänen weit hinterherhinkt. Sie sollte eigentlich schon Jahre früher an den Start gehen, doch gab es mehrere Aufschübe, unter anderem wegen der Pandemie. Darüber hinaus hatten die Mitgliedsstaaten sehr lange gebraucht, um sich so weit einig zu werden, dass es überhaupt zur Gründung der Organisation kam.

Viel Potenzial – keine Resultate

Grundsätzlich hat der Kontinent viel zu bieten: Die Afrikaner können gegenüber den anderen Erdteilen insbesondere mit reichhaltigen Ressourcen an Rohstoffen wie Erdöl und Gold punkten. So stammen sieben von 13 Mitglieder des Ölkartells OPEC aus Afrika. Darüber hinaus sind die (potenziellen) Arbeitnehmer im Vergleich zu denen anderer Kontinente sehr jung – die AfCFTA schätzt, dass 200 Millionen Menschen zwischen 15 und 24 Jahre alt sind. Allerdings sind die AfCFTA-Mitgliedsländer in sämtlichen Bereichen nicht annähernd so entwickelt wie die Mitgliedsstaaten ihres Vorbilds EU oder anderer bedeutender Freihandelszonen.

Deswegen ist es kein Wunder, dass auch die AfCFTA ihre Pläne nicht einhalten kann. Wie groß die Verspätung ist, wird unter anderem an folgenden Zahlen deutlich: Eigentlich sollte sich der innerafrikanische Freihandel bis Ende 2022 massiv vergrößern – doch geschehen ist bisher kaum etwas (Hintergrund: Bis vor drei Jahren hatte der Binnenhandel in Afrika gerade einmal einen Anteil von 16 Prozent am gesamten Handel. Der Vergleichswert für Europa beträgt 69 Prozent, der für Asien 59 Prozent).

„Dies liegt nur zum Teil daran, dass noch nicht alle Ursprungsregeln und Zoll-Formalia der Mitgliedsländer vorliegen. Bislang sind nur sehr wenige Länder in der Lage, um den Handel unter dem Schema überhaupt abwickeln zu können“, erklärt Päffgen. Und weiter: „Dazu gehören unter anderem Ghana, aber auch Südafrika und Ägypten. Für Ghana steht derzeit eher das Interims-Partnerschaftsabkommen mit der Europäischen Union (EU) im Vordergrund, das seit dem 1. Juli 2021 in beide Richtungen in Kraft ist. Nun können auch europäische Produkte nach Ghana von der Liberalisierung des Abkommens profitieren.“

„Erst müssen Ursprungsregeln (RoO) und Zollzugeständnisse der Vertragsparteien über den ersten Zollabbau von 90 Prozent der Zolltariflinien vorliegen, bevor Freihandel beginnen kann“, fügt Samira Akrach, Expertin der GTAI für Afrika und Nahost, hinzu. Der formale Startschuss am 1. Januar 2021 sei zu früh erfolgt, jetzt herrsche eher Verwirrung: „87,3 Prozent der RoO sind verhandelt. 43 Vertragsparteien haben ein Zollangebot vorgelegt. Davon entsprechen nur 29 den Vorgaben. Die Verhandlungen (…) benötigen einfach mehr Zeit!“

Aus deutscher Sicht ist ein zusätzliches Problem, dass deutsche Firmen im Afrika-Handel kaum eine Rolle spielen. Der Exportweltmeister Bundesrepublik liegt im Mittelfeld. China ist der ganz große Abräumer, teilweise auch Indien, zudem sind lokal die jeweiligen ehemaligen Kolonialmächte etabliert – beispielsweise Frankreich.

„Ein Mini-Markt“

Die Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat zeigen, dass Exporteure aus Deutschland im Jahr 2020 weniger nach Afrika lieferten als nach Ungarn. In absoluten Zahlen stagnierte der Absatz im letzten Jahrzehnt, relativ nahm er sogar ab. Und dass, obwohl der Anteil Afrikas an der Weltbevölkerung in dieser Zeit von 14,9 Prozent auf 17,2 Prozent zunahm.

„Ein Mini-Markt“, kommentiert die GTAI in einer ihrer Publikationen – und hält sich mit diesem Urteil noch sehr zurück. Fakt ist: Es wirkt schon fast wie Satire, wenn ein ganzer Kontinent weniger aus Deutschland importiert als ein verhältnismäßig kleines Land in Osteuropa.

Doch das ist noch nicht alles: Die Exportumsätze mit Afrika konzentrieren sich zudem auf einige wenige Länder, zuvorderst auf Südafrika. Ins Land am Kap allein gingen in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich 37 Prozent aller Afrika-Exporte. Weitere 44 Prozent gelangten in die Anrainerstaaten am Mittelmeer: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Der große Rest des Kontinents nimmt damit nicht einmal ein Fünftel der deutschen Afrika-Ausfuhren auf. Anders ausgedrückt: Die fast 50 Subsahara-Staaten – ohne Südafrika – importieren zusammen weniger deutsche Produkte als Bulgarien.

Ganz Afrika hat die Wirtschaftsleistung Deutschlands

Dass der Handel mit Afrika bisher so gering ausfällt, liegt vor allem daran, dass die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents so wenig Fortschritte macht. So liegt er in aktuellen ökonomischen Statistiken unter allen internationalen Freihandelszonen nur auf dem letzten Platz: Wie die AfCFTA auf ihrer Website mitteilt, beträgt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Freihandelszone gerade einmal 3,4 Billionen Euro (andere Quellen gehen sogar von 2,4 Billionen Euro aus). Das entspricht knapp der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands.

Zum Vergleich: Die „Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft“ (RCEP) in Asien, der auch China angehört, generiert ein BIP von 25 Billionen Dollar (mit 2,2 Milliarden Menschen). Damit liegen die Asiaten weltweit auf dem ersten Rang.

Dahinter rangiert die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA, die ein BIP von weit über 20 Billionen erzielt (mit 465 Millionen Menschen). Danach platziert sich die EU auf dem dritten Platz: Sie kommt auf etwa 13 Billionen Euro (mit 500 Millionen Menschen). Den vorletzten Platz in dieser Welttabelle nimmt die lateinamerikanische Freihandelszone LAFTA (Latin American Free Trade Association) mit etwas mehr als fünf Billionen Euro an wirtschaftlicher Leistung ein, die von 600 Millionen Menschen erzielt werden. Der AfCFTA bleibt nur der letzte Rang – eine Freihandelszone, die einen ganzen Kontinent umfasst, der ein BIP erzielt, das nicht größer ist als das von Deutschland.

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